Zweites Kapitel: Sorgfaltspflichten der Versicherungsunternehmen

3. Abschnitt: Besondere Sorgfaltspflichten und Massnahmen

Art. 16

Dokumentationspflicht



Das Versicherungsunternehmen muss über die getätigten Vertragsabschlüsse, über die Identifizierungen und die besonderen Abklärungen nach den Art. 4–14 Belege so erstellen, dass es fachkundigen Dritten, insbesondere der Aufsichtsbehörde, möglich ist:

  1. sich ein zuverlässiges Urteil darüber zu bilden, wie das Versicherungsunternehmen den Vorschriften des GwG und des Reglements SRO-SVV nachkommt;
  2. die Identifizierung der Vertragspartei und die Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person zu überprüfen.


Vorbemerkungen


Art. 7 GwG statuiert eine Dokumentationspflicht. Sie dient der Überprüfbarkeit der Einhaltung der gesetzlichen und reglementarischen Sorgfaltspflichten. Die Pflicht zur Identifizierung der Vertragspartei nach Art. 3 ff. GwG und die Abklärungspflicht nach Art. 6 GwG würden erheblich an Gehalt verlieren, wenn der Finanzintermediär nicht gleichzeitig dazu angehalten wäre, das Resultat seiner verschiedenen Nachprüfungen festzuhalten und die erstellten Belege aufzubewahren (Botschaft-1996, Erläuterungen zu Art. 7 E-GwG). Seinerzeit erhobene Auskünfte oder getroffene Feststellungen können mit späteren nur dann zuverlässig verglichen werden, wenn sie in ihrer ursprünglichen Form verfügbar sind (De Capitani, a.a.O., Komm. zu Art. 7 GwG N 8). Dabei ist auch elektronische Archivierung zulässig.


Die Dokumentationspflicht beginnt mit den Verhandlungen zur Aufnahme einer Geschäftsbeziehung, d.h. in der Lebensassekuranz mit dem Eintreffen des unterzeichneten Antrages beim Versicherungsunternehmen. Nur so können begründete Verdachtsmomente nach Art. 9 Abs. 1 lit. b GwG aktenkundig der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) beigebracht werden (vgl. dazu die Botschaft zur Umsetzung der revidierten Empfehlungen der Groupe d’action financière (GAFI) vom 15. Juni 2007, Ziffer 1.3.6 «Meldepflicht bei Nichtzustandekommen einer Geschäftsbeziehung» (Art. 9 Abs. 1 Bst. b GwG; BBl 07.064, S. 6285). Führt ein Kundenkontakt zu keinem Vertragsabschluss und zu keiner Eröffnung einer Geschäftsbeziehung und ist zudem kein unterzeichneter Antrag dem Versicherungsunternehmen zugestellt worden, besteht keine Dokumentationspflicht. Ist aus Vorsichtsgründen kein Antrag unterzeichnet und eingereicht worden, steht es dem Versicherungsunternehmen jedoch frei, allenfalls vom Melderecht Gebrauch zu machen und seine Wahrnehmungen nach Art. 305ter Abs. 2 StGB der zuständigen Behörde zu melden. Ist der Antrag aber unterzeichnet am Hauptsitz des Versicherungsunternehmens oder eine Einzahlung auf einem Prämienkonto oder -depot eingegangen, und es entstehen Zweifel im Zeitraum zwischen Eintreffen des unterzeichneten Antrags beim Versicherungsunternehmen und der Annahme des Antrags (Vertragsabschluss und Eröffnung der Geschäftsbeziehung), besteht bei begründetem Verdacht eine Meldepflicht nach Art. 9 Abs. 1 lit. b GwG.


Die Dokumentationspflicht betrifft einerseits abgeschlossene Versicherungsverträge, andererseits aber auch die nach GwG erforderlichen Abklärungen wie die

  • Identifikation der Vertragspartei und allfällige Wiederholungen (Art. 3 und 5 GwG und Art. 3–8 und 12 R SRO-SVV);
  • Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person (Art. 4 GwG und Art. 9–10 R SRO-SVV) sowie allfällige Wiederholungen nach Art. 5 GwG und Art. 12 R SRO-SVV;
  • Feststellung des Begünstigten nach Art. 11 R SRO-SVV;
  • Besondere Abklärungen nach Art. 6 GwG und Art. 14 R SRO-SVV.

(Siehe auch Graber, GwG, Art. 7 Rz 4)


Die Frage, ob ein Finanzintermediär verpflichtet ist, die von der Vertragspartei erhaltenen Angaben im Einzelnen zu dokumentieren oder ob es genügt, über die Abklärungen als Ganzes eine Aktennotiz anzufertigen, kann nicht abschliessend beantwortet werden. Entscheidend ist, dass der Ablauf der Geschäftsbeziehungen rekonstruiert werden kann (siehe nachstehende Ausführungen). Zweckmässig ist, wenn die Vertragspartei zur Stützung ihrer Aussagen entsprechende Belege vorweisen kann, aus welchen zweifelsfrei hervorgeht, dass ein bestimmtes Rechtsgeschäft getätigt wurde und dieses letztlich den Vermögensanfall rechtfertigt. Zudem kann das Versicherungsunternehmen Informationen als Ergänzung der Aussagen der Vertragspartei im Internet beschaffen. Dies etwa dann, wenn die Vertragspartei über eine eigene Homepage verfügt. Solche Angaben sind aber nicht amtlich und auch nicht verifizierbar (Detlev M. Basse, Know your costumer/client [Referat Seminar SRO-SAV/SNV vom 24. September 2002] Anm. 42).


Die erstellten Belege dienen einsichtsberechtigten Dritten dazu, sich «jederzeit ein zuverlässiges Urteil» über die Art und Weise zu bilden, wie das Versicherungsunternehmen die gesetzlichen und reglementarischen Bestimmungen befolgt und wie die Verträge abgewickelt und überwacht wurden. Dafür müssen alle Informationen über die Vertragspartei und allenfalls über die wirtschaftlich berechtigte Person schriftlich und sorgfältig festgehalten werden (Botschaft-1996, Erläuterungen zu Art. 7 Abs. 1 E-GwG). Einsichtsberechtigte Dritte sind die FINMA, die Meldestelle für Geldwäscherei, die Selbstregulierungsorganisation des SVV, die Prüfgesellschaft des Versicherungsunternehmens sowie die Strafverfolgungsbehörden (a.M. bezüglich der Strafverfolgungsbehörden: Wyss, a.a.O., Komm. zu Art. GwG 7 Ziff. 8).


Für die Herausgabe der Belege an einsichtsberechtigte Dritte sind fünf Arbeitstage angemessen (so auch Wyss, a.a.O., Komm. zu Art. 7 GwG Ziff. 7).


zu Art. 16:


Die vertragsrelevanten Belege sind so zu erstellen, dass der Vertragsabschluss und die einzelnen Transaktionen rekonstruiert werden können. Rekonstruierbarkeit setzt Lückenlosigkeit, Richtigkeit und systematische Gruppierung der Belege voraus.


Rekonstruierbar müssen insbesondere sein:

  • alle Vertragsabschüsse und Transaktionen anhand von Belegen (Paper Trail);
  • die Vornahme der Identifikation der Vertragspartei aufgrund von Belegen und Notizen;
  • die Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person;
  • die Abklärung der Hintergründe einer ungewöhnlichen Geschäftsbeziehung oder von ungewöhnlichen Transaktionen.

Die Belege dienen nicht zuletzt dem Schutz des Versicherungsunternehmens. So kann kontrolliert werden, ob es die Vorschriften von Art. 305bis und 305ter Abs. 1 StGB eingehalten hat (Botschaft-1996, Erläuterungen zu Art. 7 Abs. 1 E-GwG).


Das Versicherungsunternehmen erfüllt die gesetzliche Dokumentationspflicht, indem es von jeder Vertragspartei ein aktuelles und vollständiges Dossier unterhält.


Zu dokumentieren sind insbesondere die folgenden Geschäftsvorgänge:

  • Identifizierung der Vertragspartei (Art. 3–8 R SRO-SVV);
  • Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person/Kontrollinhaber (Art. 9–10 R SRO-SVV); d.h. die schriftliche Erklärung der Vertragspartei. Die Vermutung, dass die Vertragspartei wirtschaftlich berechtigt ist, ergibt sich aus dem Versicherungsantrag und muss neu in geeigneter Weise als «Nichtzweifel» dokumentiert werden, falls nicht eine schriftliche Erklärung über die wirtschaftliche Berechtigung eingeholt wird. Dabei genügt eine Markierung in einem elektronischen Geschäftsanbahnungsprozess durchaus.
  • Feststellung des Begünstigten (Art. 11 R SRO-SVV);
  • Erneute Identifizierung oder Feststellung (Art. 12 R SRO-SVV);
  • Abklärung der Hintergründe (Art. 14 R SRO-SVV).

Das Versicherungsunternehmen muss in der Lage sein, auf Anfrage hin genau sagen zu können, ob eine Person mit ihr in vertraglicher Beziehung steht und ob eine Identifizierungspflicht der Vertragspartei bestand. Zudem muss ersichtlich sein, wer die wirtschaftlich berechtigte Person ist, falls eine diesbezügliche Abklärungspflicht bestand, und an wen die Zahlung der Versicherungsleistung erfolgte. Auch Unterlagen über eine Geschäftsbeziehung, welche wegen nicht ausgeräumter Zweifel nicht abgeschlossen wurde, sind aufzubewahren. Um diese Auskünfte «jederzeit» erteilen zu können, hat das Versicherungsunternehmen alle notwendigen organisatorischen Massnahmen zu treffen (Botschaft-1996, Erläuterungen zu Art. 7 Abs. 2 E-GwG). Empfehlenswert ist, die Vertragsunterlagen (Dossiers) so abzulegen, dass sie unter Angabe des Kundennamens innerhalb eines Arbeitstages greifbar sind.