Zweites Kapitel: Sorgfaltspflichten der Versicherungsunternehmen

2. Abschnitt: Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person

Art. 9

Kriterien



1

Das Versicherungsunternehmen muss von der Vertragspartei eine schriftliche Erklärung darüber einholen, welche natürliche Person die wirtschaftlich berechtigte Person ist, wenn die Vertragspartei nicht wirtschaftlich berechtigt ist oder daran Zweifel bestehen, insbesondere wenn:

  1. die Vertragspartei sich durch einen bevollmächtigten Dritten vertreten lässt;
  2. die Vertragspartei eine Sitzgesellschaft ist;
  3. zwischen den einzugehenden Verpflichtungen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Vertragspartei ein krasses Missverhältnis besteht;
  4. die Geschäftsbeziehung mit einer natürlichen Person ohne persönlichen Kontakt im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. b aufgenommen wird;
  5. die Vertragspartei eine operativ tätige juristische Person oder Personengesellschaft ist (Feststellung der Kontrollinhaber).

2

Auf die Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten kann analog der Anwendungsfälle in Art. 7 Abs. 1 verzichtet werden.



Vorbemerkungen


Art. 9 R SRO-SVV entspricht inhaltlich Art. 4 Abs. 1 GwG. Er bezweckt, die hinter einem Strohmann versteckte, tatsächlich wirtschaftlich berechtigte Person festzustellen. Die Identität der Vertragspartei ist von sekundärer Bedeutung, wenn die Vertragspartei an den Vermögenswerten, die Gegenstand der Finanztransaktion sind, wirtschaftlich gar nicht berechtigt ist. In diesem Fall muss das Augenmerk der wirtschaftlich berechtigten Person gelten (Botschaft-1996, Erläuterungen zu Art. 4 E-GwG).


Der Begriff der wirtschaftlich berechtigten Person kann, muss aber nicht mit den zivilrechtlichen Begriffen wie Eigentümer, Besitzer, Gläubiger, Gesellschafter, Erbe, Miteigentümer, etc. übereinstimmen. Das organisierte Verbrechen nimmt auf rechtliche Strukturen keine Rücksicht. Auch ein faktischer Zugriff auf fremde Vermögenswerte durch psychischen Einfluss oder physische Gewalt reicht aus (Detlev M. Basse, Know your costumer/client, Referat SRO-SAV/SNV vom 24. September 2002, II. Begriffserklärungen). Wirtschaftlich berechtigte Person ist bei Versicherungsverträgen (z.B. fondsgebundene Lebensversicherung) der für die Prämien bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise aufkommende Geldgeber und bei der Vermittlung von Fondsanteilen die den Kauf finanzierende Person.


In der Praxis darf ein Finanzintermediär bei natürlichen Personen von der Vermutung ausgehen, dass sein Vertragspartner an den Vermögenswerten, über die er verfügt, auch tatsächlich wirtschaftlich berechtigt ist. Ist dies unklar oder bestehen Zweifel, kann die Vermutung nicht mehr aufrechterhalten werden und die wirtschaftlich berechtigte Person ist festzustellen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein in Art. 9 geregeltes Kriterium erfüllt ist. Der Finanzintermediär ist verpflichtet, seinem Vertragspartner «den Umständen entsprechende, zusätzliche Fragen vorzulegen, auf die er eine plausible Antwort erhalten muss» (Botschaft-1996, Erläuterungen zu Art. 4 E-GwG).


Bestehen nach den Abklärungen weiterhin ernsthafte Zweifel und können diese auch durch zusätzliche Abklärungen nicht ausgeräumt werden, ist das Geschäft abzulehnen. Besteht der begründete Verdacht auf Geldwäscherei, ist zusätzlich Meldung nach Art. 9 Abs. 1 GwG bei der Meldestelle für Geldwäscherei zu erstatten (vgl. Kommentar zu Art. 19).


Das Reglement nennt drei Fälle, in welchen die Vermutung, dass die natürliche Person als Vertragspartei auf eigene Rechnung handelt, zerstört wird (lit. a, c und d). Hier besteht immer eine Pflicht zur Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person. Die Aufzählung ist nicht abschliessend. Die für die Identifikation festgelegten betraglichen Limiten gelten in diesem Falle nicht. Zudem muss die wirtschaftliche Berechtigung immer geklärt werden, wenn es sich bei der Vertragspartei um eine Sitzgesellschaft oder um eine operativ tätige Gesellschaft handelt.


Die Pflicht zur Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person ist von der Identifikationspflicht der Vertragspartei zu unterscheiden. Die wirtschaftlich berechtigte Person ist nicht zu identifizieren, sondern festzustellen. Die Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person erfolgt aufgrund der Erklärung des Vertragspartners und nicht wie dessen Identifizierung über die Dokumentation mittels Ausweisen. Es ist nicht Aufgabe des Versicherungsunternehmens, die Angaben auf ihre materielle Richtigkeit hin zu überprüfen. Doch ist das Versicherungsunternehmen gehalten, nach den Umständen zusätzliche Fragen zu stellen, falls die behauptete wirtschaftliche Berechtigung nicht plausibel erscheint (De Capitani, a.a.O., Komm. zu Art.4 GwG, N 109 ff.).


Eine Mustervorlage oder Musterformular für die Feststellung der wirtschaftlichen Berechtigung/des Kontrollinhabers besteht im Versicherungsbereich im Gegensatz zum Bankbereich nicht. Hintergrund dafür ist der Umstand, dass die Prozessabläufe und technischen Verfahren bei den einzelnen Versicherungsgesellschaften sehr unterschiedlich sein können. Zudem sind die Erklärungen oftmals Teil der Antragsformulare oder von anderen Formularen, welche weitere, unternehmens- oder versicherungsspezifische Aspekte abdecken. Die Formulare/Erklärungen des Vertragspartners zu den Kontrollinhabern haben aber immer mindestens folgende Elemente zu umfassen.

  1. Angaben zur Vertragspartei (oder der im Todesfall begünstigten Person), welche die Erklärung zum Kontrollinhaber abgeben.
  2. Erklärung zu den Kontrollinhabern (vgl. möglicher Text im Kommentar zu Art. 9, Rz. 8)
  3. Pflicht der Vertragspartei, Änderungen von sich aus mitzuteilen (falls diese Verpflichtung nicht in den Allgemeinen Vertragsbedingungen geregelt ist).
  4. Datum und Unterschriftenzeile

Die Feststellung der wirtschaftlichen Berechtigung/des Kontrollinhabers erfolgt durch eine schriftliche Erklärung des Vertragspartners. Dies hat durch ein handschriftlich unterzeichnetes Dokument zu erfolgen. Das Schriftformerfordernis ist dabei erfüllt, wenn eine handschriftlich unterzeichnete Erklärung über die wirtschaftliche Berechtigung/Kontrollinhaber mit den notwendigen Angaben vorliegt oder wenn die in der Erklärung selber fehlenden Elemente (z. B. Wohnsitzland oder Nationalität) aus weiteren Dokumenten oder Erklärungen des Vertragspartners (z. B. Ausweiskopie, Handelsregisterauszug, andere eingeholte Unterlagen) hervorgeht. Leistet der Vertragspartner die Unterschrift eigenhändig direkt auf einem elektronischen Gerät, so kann unter folgenden Voraussetzungen von einem handschriftlich unterzeichneten Dokument gemäss den SRO-SVV Vorgaben ausgegangen werden:

  • Der Kunde leistet seine Unterschrift im elektronischen Formular unter Anwesenheit eines Mitarbeiters im Sinne von Art. 2 lit. d oder eines Vermittlers mit einem Delegationsvertrag.
  • Die Unterschrift kann nicht ohne Nachverfolgbarkeit im elektronischen Dokument verändert oder herausgelöst werden.

zu lit. b:


Zum Begriff der Sitzgesellschaft: siehe Art. 2 lit. f. R SRO-SVV


Ungeachtet der Rechtsform kann eine Sitzgesellschaft selbst nicht wirtschaftlich Berechtigte sein.


zu lit. c:


Voraussetzung ist, dass das Versicherungsunternehmen die (prekären oder bescheidenen) Verhältnisse der Vertragspartei kennt oder bei gehöriger Sorgfalt kennen müsste.


zu lit. e:


Der Begriff des Kontrollinhabers ist in Art. 2 lit. c definiert (vgl. Kommentar zu Art. 2 lit. c). Dieser muss in folgenden Situationen festgestellt werden:

  1. im Antragsprozess, falls die Vertragspartei eine operativ tätige nicht börsenkotierte juristische Person oder Personengesellschaft ist (Art. 9 lit. e R SRO-SVV); die Kontrollinhaber der Vertragspartei müssen immer festgestellt werden, auch wenn sie nicht wirklich wirtschaftlich Berechtigte sind.
  2. bei der Zahlung von Prämien oder Zinsen/Amortisationen durch eine operativ tätige nicht börsenkotierte juristische Person oder Personengesellschaft (Art. 10 lit. c R SRO-SVV); die juristische Person selber muss nicht dokumentiert werden. Dies erfolgt analog zur Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person bei Sitzgesellschaften: Massgebend ist diejenige natürliche Person, welche die Vermögenswerte eingebracht hat resp. darüber verfügen kann (unabhängig davon, ob das Einbringen über mehrere juristische Personen erfolgt ist). Wichtig ist dabei, dass die wirtschaftliche Berechtigung der angegebenen natürlichen Person plausibel ist. Die Abklärungen/Begründungen sind im Dossier festzuhalten. Zudem müssen die Formulare so aufgebaut sein, dass der Vertragspartner erkennen kann, welche Informationen benötigt werden.
  3. bei Auszahlung von Versicherungsleistungen an eine juristische Person als Begünstigte, falls zusätzlich ein erhöhtes GwG-Risiko vorliegt (Art. 11 Ziff. 2 R SRO-SVV).
  4. bei Zweifel im Sinne von Art. 12 lit. b R SRO-SVV (Zweifel an der Identität der Vertragspartei oder an der wirtschaftlichen Berechtigung).
  5. bei der Durchführung von besonderen Abklärungen bei erhöhten Risiken (Art. 14 Abs. 1 lit. a).

Die Erklärung des Vertragspartners zu den Kontrollinhabern hat die in Art. 2 lit. c umschriebenen Definitionskriterien abzudecken. Ein möglicher Wortlaut ist wie folgt:


«Der Vertragspartner/Begünstigte erklärt hiermit, (das Zutreffende ankreuzen; mehrfaches Ankreuzen ist unzulässig):

  • dass die nachstehend aufgeführte/n Person/en an der juristischen Person/Personengesellschaft Anteile (Kapitals- oder Stimmrechtsanteile) von 25 Prozent oder mehr halten; oder
  • falls die Kapitals- oder Stimmrechtsanteile nicht festgestellt werden können oder falls keine Kapitals- oder Stimmrechtsanteile von 25% oder mehr bestehen, dass die nachstehend aufgeführte/n Person/en auf andere Weise die Kontrolle über die juristische Person/Personengesellschaft ausübt/ausüben; oder
  • falls auch diese Person/en nicht festgestellt werden kann/können, oder diese Person/en nicht besteht/bestehen, dass die nachstehend aufgeführte/n Person/en die Geschäftsführung ausübt/ausüben:

Name, Vorname:

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Geburtsdatum:

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Nationalität:

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Wohnsitzadresse:

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Wohnsitzland:

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