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5A_751/2023: Gültigkeit der Konkursübereinkunft mit dem Königreich Bayern vom 11. Mai 1834 (amtl. Publ.)

5A_751/2023: Gültigkeit der Konkursübereinkunft mit dem Königreich Bayern vom 11. Mai 1834 (amtl. Publ.)

von Stéphanie Oneyser am 18. Juli 2024

Im zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_751/2023 vom 29. April 2024 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob die Konkursübereinkunft mit dem Königreich Bayern vom 11. Mai 1834 im Kanton Thurgau noch Gültigkeit hat oder ob diese durch Art. 166 ff. IPRG verdrängt wird. Das Bundesgericht bestätigte, dass die Übereinkunft im Verhältnis zum Kanton ... weiterlesen

5A_751/2023: Gültigkeit der Konkursübereinkunft mit dem Königreich Bayern vom 11. Mai 1834 (amtl. Publ.)

von Stéphanie Oneyser am 18. Juli 2024

Im zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_751/2023 vom 29. April 2024 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob die Konkursübereinkunft mit dem Königreich Bayern vom 11. Mai 1834 im Kanton Thurgau noch Gültigkeit hat oder ob diese durch Art. 166 ff. IPRG verdrängt wird. Das Bundesgericht bestätigte, dass die Übereinkunft im Verhältnis zum Kanton Thurgau weiterhin gilt. Der deutsche Insolvenzverwalter war damit berechtigt, ein Abtretungsgesuch nach Art. 260 SchKG zu stellen, ohne das deutsche Insolvenzdekret vorgängig anerkennen zu lassen.

Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die C AG mit Sitz in U/Thurgau war insbesondere im Vertrieb wie auch im Handel mit Strom und Gas tätig und fungierte dabei als Beteiligungs- und Muttergesellschaft im Energiesektor. Die B mit Sitz in München/Deutschland war eine Tochtergesellschaft der C AG. A war u.a. Mitglied des Verwaltungsrates der C AG.

Mit Beschluss vom 29. Januar 2019 ordnete das Amtsgericht München auf Antrag der B eine vorläufige Insolvenzverwaltung an und ernannte Rechtsanwalt D in München als vorläufigen Insolvenzverwalter.

Kurz darauf — am 18. Februar 2019 — eröffnete das Bezirksgericht Kreuzlingen den Konkurs über die C AG. Der damalige Geschäftsführer der B meldete eine Forderung der B im Konkursverfahren der C AG an, die in der Folge in der dritten Klasse kolloziert wurde.

Mit Beschluss vom 16. Oktober 2019, 08.00 Uhr, eröffnete das Amtsgericht München das Insolvenzverfahren gegen die B wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung und bestellte Rechtsanwalt D zum definitiven Insolvenzverwalter.

Nach Auflage des Kollokationsplans erhob A (der ebenfalls als Konkursgläubiger kolloziert wurde) am 10. Dezember 2020 eine (negative) Kollokationsklage beim Bezirksgericht Kreuzlingen. Mit Entscheid vom 7. November 2022 wies das Bezirksgericht die Kollokationsklage ab. Die von A dagegen erhobene Berufung beim Obergericht des Kantons Thurgau ist noch hängig.

Mit Verfügung vom 23. August 2021 trat das Konkursamt Thurgau der Tochtergesellschaft B — vermutlich auf Begehren deren Insolvenzverwalters D hin — die Verantwortlichkeitsansprüche gegenüber den Organen der C AG gestützt auf Art. 260 SchKG ab.

Mit Entscheid vom 13. September 2021 erklärte das Konkursgericht das Konkursverfahren für geschlossen.

Am 26. April 2023 erhob A eine SchKG-Beschwerde beim Obergericht des Kantons Thurgau als Aufsichtsbehörde in Konkurssachen und beantragte die Feststellung der Nichtigkeit von Verfügungen des Konkursamtes im Konkursverfahren über die C AG (Kollokationsplan vom 12. November 2020, Kollokation der Forderung der B, Abtretung gemäss Art. 260 SchKG vom 23. August 2021 von Verantwortlichkeitsansprüchen an die B). Mit Entscheid vom 18. September 2023 wies das Obergericht das Gesuch ab.

Dagegen erhob A am 6. Oktober 2023 Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht, welches die Beschwerde mit Urteil vom 29. April 2024 abwies, soweit es darauf eintrat.


Wirkungen des Konkursschlusses auf das Beschwerderecht gegen Verfügungen, die im Laufe des Konkursverfahrens getroffen wurden

Das Bundesgericht wies die Einwände des Beschwerdeführers gegen den Kollokationsplan und die Kollokation der Forderung der B zurück, mit der Begründung, dass das Konkursverfahren für geschlossen erklärt wurde: Wenn das Konkursgericht das Konkursverfahren für geschlossen erklärt hat, ist  eine betreibungsrechtliche Beschwerde gegen die vom Konkursamt im Laufe des Verfahrens getroffenen Verfügungen grundsätzlich nicht mehr zulässig. Ein abgeschlossenes Konkursverfahren kann mit Ausnahme der Fälle nach Art. 269 SchKG nicht mehr wieder aufgenommen werden (E. 4.2.1). Eine Veränderung der passiven Konkursmasse nach Konkursschluss ist ausgeschlossen (E. 4.2.3).


Prüfung der Abtretungsverfügung im Lichte von Art. 166 ff. IPRG

In diesem Zusammenhang stellte das Bundesgericht jedoch klar, dass die Frage, ob eine Abtretung nach Art. 260 SchKG an eine ausländische Konkursverwaltung mit den Regeln über das internationale Konkursrecht (Art. 166 ff. IPRG) vereinbar ist, unter Anrufung der Nichtigkeit (Art. 22 SchKG) von den Aufsichtsbehörden trotz Konkursschluss geprüft werden kann:

  • Das Konkursamt bleibt zum Widerruf der Abtretungsverfügung auch nach Konkursschluss im Falle von Art. 95 KOV zuständig. Folglich ist auch die Prüfung und allfällige Feststellung der Nichtigkeit (Art. 22 SchKG) einer Abtretungsverfügung durch die Aufsichtsbehörde trotz Konkursschluss grundsätzlich möglich (E. 4.3.1–4.3.2).
  • Bei dieser konkreten Frage geht es um Vorschriften gemäss Art. 22 SchKG, die im öffentlichen Interesse (hier: Territorialitätsprinzip) und zum Schutz von am Verfahren nicht beteiligten Personen (hier: Gläubiger gemäss Art. 172 Abs. 1Art. 174a IPRG) erlassen worden sind (E. 4.4.1).

Befugnisse des ausländischen Konkursverwalters im Allgemeinen

In der Folge befasste sich das Bundesgericht mit der Gültigkeit der Abtretungsverfügung und rief seine Rechtsprechung zu den Befugnissen des ausländischen Konkursverwalters in Erinnerung (E. 4.4.1): Ein ausländischer Konkursverwalter ist in der Schweiz einzig berechtigt, die Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets sowie den Erlass sichernder Massnahmen zu beantragen (Art. 166 Abs. 1 und Art. 168 IPRG) und — nach erfolgter Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets in der Schweiz — gestützt auf Art. 171 IPRG Anfechtungsansprüche oder andere Ansprüche einzuklagen, sofern das schweizerische Konkursamt und die kollozierten Gläubiger darauf verzichtet haben. Demgegenüber ist eine ausländische Konkursmasse nicht befugt, in der Schweiz Betreibungshandlungen vorzunehmen, u.a. auch nicht eine Klage gegen einen angeblichen Schuldner des Konkursiten zu erheben. Wird das ausländische Konkursdekret anerkannt, so unterliegt das in der Schweiz befindliche Vermögen des Schuldners grundsätzlich den konkursrechtlichen Folgen des schweizerischen Rechts (Art. 170 Abs. 1 IPRG) mit der Folge, dass über das in der Schweiz befindliche Vermögen ein Hilfskonkurs eröffnet wird, der vom schweizerischen Konkursamt durchgeführt wird. Das Tätigwerden der ausländischen Konkursverwaltung ist nach Anerkennung des ausländischen Insolvenzentscheides und Verzicht auf die Durchführung eines inländischen Hilfsverfahrens allerdings möglich (Art. 174a Abs. 4 IPRG).


Gültigkeit der Übereinkunft mit dem Königreich Bayern vom 11. Mai 1834 im konkreten Fall

Gemäss Bundesgericht ist bei der Beurteilung der Gültigkeit der Abtretung von Ansprüchen nach Art. 260 SchKG der Vorbehalt der völkerrechtlichen Verträge zu beachten (Art. 30a SchKGArt. 1 Abs. 2 IPRG) (E. 4.5). Folglich setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob die Übereinkunft mit dem Königreich Bayern vom 11. Mai 1834 im konkreten Fall Art. 166 ff. IPRG vorgeht.

Das Bundesgericht erwog, dass die überwiegende Lehre der Auffassung ist, dass die Übereinkunft mit dem Königreich Bayern über die gleichmässige Behandlung der gegenseitigen Staatsangehörigen in Konkursfällen vom 11. Mai 1834 weiterhin in Kraft ist bzw. nicht ausser Kraft gesetzt wurde (E. 4.5.1).

In der Folge prüfte das Bundesgericht, ob die Übereinkunft im vorliegenden Fall (Abtretungsgesuch beim Konkursamt Thurgau) anwendbar ist. Das Bundesgericht bestätigte zunächst, dass der Kanton Thurgau Signatar der Konkursübereinkunft mit dem Königreich Bayern (publiziert in der Rechtssammlung des Kantons Thurgau, RB 281.32) ist, und dass eine Anerkennung des Konkursdekrets in der Schweiz nicht nötig ist wenn die Übereinkunft noch in Kraft ist (E. 4.5.2):

“Zutreffend hat das Obergericht (mit Hinw. auf Urteil 5A_665/2012 vom 28. März 2013 E. 3.2.1) festgehalten, dass damit (nach dem Wortlaut beschränkt auf bewegliches Vermögen) die Anerkennung der Universalität und Attraktivkraft des Konkurses im Staatsgebiet der Vertragsparteien verankert wird (…). Dies bedeutet, dass der in einem Staat eröffnete Konkurs im Hoheitsgebiet beider Vertragsparteien Wirkung haben soll, was die Konkurseröffnung über denselben Schuldner im anderen Staat ausschliesst und eine Anerkennung des Konkursdekretes nach Art. 166 ff. IPRG nicht notwendig macht (…).”

In diesem Zusammenhang setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob sich der Gesetzgeber für den Vorrang von Art. 166 ff. IPRG gegenüber den alten Konkursübereinkünften entschied, und verneinte dies (E. 4.5.4).

Sodann prüfte das Bundesgericht die Frage der Gültigkeit der alten Konkursübereinkünfte anhand der Regeln des Verfassungs- und Völkerrechts und erwog, dass es sich bei der Übereinkunft mit dem Königreich Bayern um kantonales Recht handelt und dass die Übereinkunft mangels Kündigung oder Aufhebung weiterhin in Kraft ist (E. 4.5.5):

“Gemäss Art. 56 Abs. 1 BV können die Kantone in ihren Zuständigkeitsbereichen mit dem Ausland Verträge schliessen. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses waren die Kantone souverän und zum Abschluss befugt, und die kantonalen völkerrechtliche Verträge, die vor 1848 mit dem Ausland abgeschlossen wurde, gelten grundsätzlich fort (…). Kantonale Staatsverträge mit dem Ausland werden zwar (bundesstaatsrechtlich, landesintern) dem kantonalen Recht zugewiesen (…). Wegen ihrer Natur gelten sie dennoch nach allgemeiner Auffassung als Völkerrecht (…). Die kantonalen Staatsverträge gehen dem internen kantonalen Recht vor, müssen aber einem späteren abgeschlossenen Staatsvertrag des Bundes weichen (…). Einen solchen einschlägigen Staatsvertrag gibt es nicht. Hingegen widerspricht das spätere IPRG mit seinem Erfordernis der Anerkennung des ausländischen Konkurses der grundsätzlichen Universalität des Konkurses, wie sie in der alten Konkursübereinkunft mit Bayern für das Vertragsgebiet völkerrechtlich festgelegt wird. In seiner Rechtsprechung bestätigt das Bundesgericht den Grundsatz des Vorrangs von Völkerrecht vor Landesrecht, unter Vorbehalt einer allfälligen Ausnahme: Wenn das Parlament bewusst ein völkerrechtswidriges Gesetz erlassen hat, hat dieses den Vorrang (BGE 148 II 169 E. 5.2, mit Hinweis auf BGE 99 Ib 39 [“Schubert”]; die Gegenausnahme nach der Praxis gemäss BGE 125 II 417 [“PKK”] ist hier nicht von Belang). Anhaltspunkte, dass das Parlament bei der Schaffung oder Revision des IPRG bewusst die alte Konkursübereinkunft mit Bayern brechen wollte, bestehen jedoch nicht. Vielmehr wird ausdrücklich die geordnete Kündigung oder einvernehmliche Aufhebung der alten Konkursübereinkünfte in Betracht gezogen, ohne dass dies jedoch geschehen ist. Nach dem Dargelegten kann der in BGE 109 III 83 E. 3 mögliche und von POUDRET/SANDOZ-MONOD ( a.a.O.) befürwortete Schluss, dass mit Inkrafttreten des IPRG die alte Konkursübereinkunft mit Bayern ausser Kraft gesetzt wurde, nicht gezogen werden. Die Konkursübereinkunft mit dem ehemaligen Königreich Bayern von 1834 ist — entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers — weiterhin in Kraft, wie das Obergericht im Ergebnis zutreffend angenommen hat.”

Vor diesem Hintergrund kam das Bundesgericht zum Schluss, dass eine Anerkennung des deutschen Insolvenzdekrets nach Art. 166 ff. IPRG für die Klageanhebung für die Insolvenzmasse durch den definitiv eingesetzten deutschen Insolvenzverwalter nicht erforderlich ist, da das deutsche Insolvenzrecht den deutschen Insolvenzverwalter dazu berechtigt (E. 4.6):

“Die Befugnis des deutschen Konkursverwalters, im vorliegenden Konkurs eines Drittschuldners (hier: C AG) das Begehren auf Abtretung nach Art. 260 SchKG einer Forderung zu stellen, kann ihm daher nicht abgesprochen werden; die Prozessführungsbefugnis wird vom Beschwerdeführer (für den Fall der Anwendbarkeit der alten Konkursübereinkunft) nicht in Frage gestellt. In der Abtretungsverfügung des Konkursamtes vom 23. August 2021 kann folglich kein Verstoss gegen Vorschriften gemäss Art. 22 SchKG erblickt werden.”
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