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BGer 5A_238/2023 vom 18. März 2024 (amtl. publ.): Die altrechtliche “Zahlvaterschaft” begründet per se keinen Erbanspruch

BGer 5A_238/2023 vom 18. März 2024 (amtl. publ.): Die altrechtliche “Zahlvaterschaft” begründet per se keinen Erbanspruch

von Ramona Fischer am 18. Juni 2024

In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid bestätigt das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung, wonach die altrechtliche «Zahlvaterschaft» kein gesetzliches Erbrecht und damit auch kein Pflichtteilsrecht begründet. Der gesetzliche Erbanspruch setzt ein rechtliches Kindesverhältnis voraus, das nur durch Anerkennung, Adoption oder Vaterschaftsklage hergestellt werden kann. Das Bestehen einer «Zahlvaterschaft» begründet demgegenüber kein rechtliches Kindesverhältnis, weshalb dem Beschwerdeführer ... weiterlesen

BGer 5A_238/2023 vom 18. März 2024 (amtl. publ.): Die altrechtliche “Zahlvaterschaft” begründet per se keinen Erbanspruch

von Ramona Fischer am 18. Juni 2024

In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid bestätigt das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung, wonach die altrechtliche «Zahlvaterschaft» kein gesetzliches Erbrecht und damit auch kein Pflichtteilsrecht begründet. Der gesetzliche Erbanspruch setzt ein rechtliches Kindesverhältnis voraus, das nur durch Anerkennung, Adoption oder Vaterschaftsklage hergestellt werden kann. Das Bestehen einer «Zahlvaterschaft» begründet demgegenüber kein rechtliches Kindesverhältnis, weshalb dem Beschwerdeführer vorliegend die Aktivlegitimation zur Erhebung einer Herabsetzungsklage fehlte.

Da die Vaterschaft nur durch Gestaltungsurteil festgestellt werden kann, ist die Feststellung der Vaterschaft im Rahmen der Prüfung rechtlicher Vorfragen nicht möglich – es muss zwingend eine Vaterschaftsklage geführt werden.

Zur altrechtlichen Zahlvaterschaft

Mit der Revision des Kindesrechts per 1. Januar 1978 wurden ausserehelich geborene Kinder den während einer Ehe geborenen Kindern gleichgestellt. Gleichzeitig wurde der diskriminierende Dualismus zwischen der Standesfolge und der sog. «Zahlvaterschaft», welche kein rechtliches Kindesverhältnis begründete, aufgehoben (vgl. auch BGE 149 III 370, E. 3.6.2.).

Unter altem Recht konnte das rechtliche Kindesverhältnis eines ausserehelich geborenen Kindes zu seinem Vater nur auf zwei Wegen hergestellt werden: (i) mittels Anerkennung durch den Vater oder (ii) auf Klage der Mutter oder des Kindes auf Zusprechung mit Standesfolge hin. Diese Klage war allerdings nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich, nämlich wenn der Vater «der Mutter die Ehe versprochen, oder sich mit der Beiwohnung an ihr eines Verbrechens schuldig gemacht oder die ihm über sie zustehende Gewalt missbraucht hat.» (Art. 323 aZGB).

Aufgrund dieser Einschränkungen wurden unter altem Recht vor allem rein vermögensrechtliche Klagen gegen die Putativväter erhoben. Das Urteil oder der Abschluss eines Unterhaltsvertrags war «ohne Standesfolge», d.h. es wurde damit kein rechtliches Kindesverhältnis begründet. Aus diesem Grund hatten die Kinder solcher sog. «Zahlväter» keine erbrechtlichen Ansprüche (E. 4.5.1.).

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer A. war der 1958 geborene, mutmassliche Sohn des Erblassers. Der Erblasser hatte sich in einem vom 31. Mai 1958 datierenden Vertrag zur Leistung von Unterhaltszahlungen (monatlich CHF 120.-) verpflichtet.

Der Erblasser errichtete im Jahr 2015 ein Testament, in welchem er seine beiden Kinder B. und C. aus seiner mittlerweile geschiedenen Ehe begünstigte. Im Jahr 2017 ergänzte der Erblasser sein Testament und verfügte die Errichtung einer Erbstiftung. Gleichzeitig schloss er mit seinen beiden Kindern B. und C. einen Erbvertrag, worin diese betreffend die der Stiftung gewidmeten Vermögenswerte auf ihren Pflichtteil verzichteten.

Prozessgeschichte

Das Bezirksgericht Baden beschränkte das Verfahren auf die Frage der Aktivlegitimation und wies die Herabsetzungsklage von A. mangels Aktivlegitimation ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies sowohl das Obergericht des Kantons Aargau als auch das Bundesgericht ab.

Aktivlegitimation

Bestand eines rechtlichen Kindesverhältnisses

Betreffend die Aktivlegitimation erwog das Bundesgericht, dass nur ein pflichtteilsgeschützter Erbe eine Herabsetzungsklage erheben könne. Als solcher gelte grundsätzlich auch ein vollständig übergangener Pflichtteilserbe (sog. «virtueller Erbe»), welcher seine Erbenstellung erst mit einem zu seinen Gunsten lautenden Herabsetzungs- oder Ungültigkeitsurteil erlangt (E. 4.3.2.). Der Pflichtteilsschutz komme (neben Ehegatten und eingetragenen Partnern) nur Nachkommen zu (Art. 470 Abs. 1 ZGB). Vorausgesetzt sei ein rechtliches Kindesverhältnis, unabhängig davon, ob dieses ehelich oder ausserehelich sei (E. 4.4.). Ein Kindesverhältnis kann nur durch Anerkennung (Art. 260 Abs. 1 ZGB), Adoption (Art. 252 Abs. 3 i.V.m. Art. 264 ff. ZGB) oder durch Urteil (Art. 261 ff. ZGB) begründet werden.

Klagefristen

Während die Frist zur Anhebung einer Vaterschaftsklage für die Mutter ein Jahr seit der Geburt beträgt, verwirkt die Klage des Kindes ein Jahr nach Erreichen der Volljährigkeit (Art. 263 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB; E. 4.5.2.). Nach Ablauf der Frist wird eine Vaterschaftsklage zugelassen, sofern die Verspätung mit wichtigen Gründen entschuldigt wird (Art. 263 Abs. 3 ZGB). Die Übergangsbestimmungen sehen vor, dass ein Kind den “Zahlvater” auf Feststellung der Vaterschaft einklagen kann, sofern es bei Inkrafttreten des revidierten Rechts per 1. Januar 1978 das 10. Altersjahr noch nicht zurückgelegt hat, und die Klage binnen 2 Jahren anhebt (Art. 13a Abs. 1 SchlT ZGB, vgl. auch 12 Abs. 1 Satz 1 SchlT ZGB; E. 4.6.1.).

Der Beschwerdeführer hatte vorliegend keine Vaterschaftsklage erhoben. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass von ihm nicht verlangt werden konnte, eine aufgrund der abgelaufenen Klagefrist sinnlose Vaterschaftsklage zu erheben (E. 7.4.).

Das BGer verwarf die Argumentation von A. und verwies auf die neuere kantonale und bundesgerichtliche Rechtsprechung, welche Vaterschaftsklagen auch nach Ablauf der vorgenannten Klagefristen zulässt, sofern die Verspätung mit wichtigen Gründen entschuldigt wird (Art. 263 Abs. 3 ZGB; E. 7.4.1., m.Verw. auf BGer 5A_518/2011 vom 22. November 2012, wichtige Gründe bejaht, sowie BGer 5A_518/2011 vom 22. November 2012, geschützt vom EGMR: i.S. Lavanchy gegen Schweiz, Nr. 69997/17 vom 19. Oktober 2021, § 41, wichtige Gründe verneint).

Auch eine Verletzung der EMRK liege nicht vor. Insbesondere sei aus der Rechtsprechung des EGMR kein Anspruch auf eine automatische Aufwertung der Zahlvaterschaft in ein rechtliches Kindesverhältnis zu entnehmen. Das Bundesgericht liess allerdings unter Verweis auf diverse Lehrmeinungen offen, ob Art. 13a SchlT ZGB die EMRK verletze, da diese Frage im Rahmen einer Vaterschaftsklage zu klären wäre und der Beschwerdeführer keine solche Klage erhoben habe (E. 8.).

Keine vorfrageweise Prüfung bzw. Feststellung der rechtlichen Vaterschaft

Das Bundesgericht schützte die Erwägungen der Vorinstanz, wonach es sich bei der Feststellung der Vaterschaft um ein Gestaltungsurteil handle und die Vaterschaft daher nicht im Rahmen der Beantwortung von Vorfragen bei der Prüfung der Aktivlegitimation rechtsgestaltend festgestellt werden könne. Mit anderen Worten: Es muss zwingend ein Rechtsbegehren auf Feststellung der Vaterschaft gestellt werden, da es sich um eine Gestaltungsklage handelt und die Gestaltungswirkung nur das Urteilsdispositiv umfasst (E. 7.2.).

Entsprechend wiesen beide kantonalen Instanzen den Antrag des Beschwerdeführers auf Einholung eines Abstammungsgutachtens ab. Die Herabsetzungsklage wäre selbst dann abzuweisen gewesen, wenn eine biologische Vaterschaft mittels Abstammungsgutachten festgestellt worden wäre.

Fazit

A. hätte vorliegend zusätzlich zur Herabsetzungsklage eine Vaterschaftsklage anheben müssen. Da A. keine Vaterschaftsklage erhoben hat, ist unklar, ob die Vaterschaftsklage trotz der längst verstrichenen Klagefrist vorliegend aus “wichtigen Gründen” zugelassen worden wäre. Die Vaterschaftsklage gegen einen bereits verstorbenen Putativvater richtet sich primär gegen die Nachkommen bzw. vorliegend gegen die Erben B. und C. (Art. 261 Abs. 2 ZGB).

Zu bedenken ist überdies, dass für diese beiden Klagen nicht dieselbe Verfahrensart anwendbar ist und daher die Voraussetzungen für eine Klagenhäufung nicht erfüllt sind (Art. 90 lit. b ZPO): Für die Vaterschaftsklage gilt das vereinfachte Verfahren (Art. 295 ZPO), während die Herabsetzungsklage aufgrund ihres Streitwerts von über CHF 30’000.00 im ordentlichen Verfahren zu behandeln ist (Art. 219 i.V.m. Art. 243 Abs. 1 ZPO).

Da somit der Gerichtsstand der Klagenhäufung nicht zur Anwendung kommt (vgl. Art. 15 Abs. 2 ZPO), wäre die Klage auf Feststellung der Vaterschaft des verstorbenen Putativvaters am Wohnsitz einer der beklagten Parteien und die Herabsetzungsklage innert Jahresfrist am letzten Wohnsitz des Erblassers anhängig zu machen (Art. 28 Abs. 1 ZPO). Abhängig von den Umständen des Einzelfalls kann es angezeigt sein, für die Herabsetzungsklage einen Antrag auf Sistierung des Verfahrens bis zum Entscheid über die Vaterschaft zu stellen.

 

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