Themen: Recht und Technologie, FinTech, Blockchain, Kryptowährungen, Smart Contracts, Technologie, Künstliche Intelligenz, Kriegsvölkerrecht, Legal Advisor, Schweizer Armee, MME, Obligate AG.
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Guten Tag Herr Meyer, als Rechtsanwalt und Notar haben Sie sich besonders auf FinTech-Fragen spezialisiert. Könnten Sie uns bitte Ihren Ausbildungsweg schildern und dabei insbesondere erläutern, wie Sie zu einem (Fin)Tech Experten geworden sind?
Meine Leidenschaft gilt dem Zusammenspiel von Recht und Technologie. Insbesondere war ich schon früh an Informatik interessiert, einem Gebiet, das wie das Recht sehr logisch ist und auf regelbasierten Prozessen aufbaut. Zunächst hatte ich mich während meines Studiums aber noch stark mit Haftpflicht- und Versicherungsrecht beschäftigt, und zu 50% neben dem Studium in einem Litigation-Team eines Versicherers gearbeitet. Als ich nach meinem Studium in Zürich und einem LL.M. Ende 2015 dann eigentlich den klassichen Substi-Weg einschlagen wollte, bin ich auf eine Ausschreibung eines Doktorats an der Schnittstelle von Blockchain-Technologie und Recht gestossen, und habe mich sofort darauf beworben.
Ich habe mich dem Thema angenommen, welche Rechte an Blockchain-basierten Tokens wie dem Bitcoin begründet werden, wie man solche Tokens zur Übertragung von Werten verwenden kann, und welche rechtlichen Lücken bestehen. Es war ein tolles Projekt geleitet von Prof. Dr. Harald Bärtschi, das zwei Juristen und einen Informatiker vereinte. Daneben habe ich 2017 begonnen im Fintech-Team von MME zu arbeiten, zunächst punktuell als wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann (nach zwischenzeitlich nachgeholtem Anwaltspatent) als Associate und nun als (Of-)Counsel. Das junge und dynamische Thema hat es mir auch ermöglicht, verschiedene Lehraufträge wahrzunehmen, beispielsweise das Master-Modul zu «Blockchain und Smart Contracts» an der Universität Luzern , und verschiedene CAS-Blöcke an der ZHAW und HWZ.
Das (Luxus-)Problem bei einer Tätigkeit an der sehr dynamischen Schnittstelle zwischen Recht und Technologie ist, dass es (zu) viele spannende Opportunitäten gibt. - Dr. Stephan D. Meyer, LL.M.
Im Jahr 2019 habe ich mit drei Kollegen (wovon zwei ebenfalls Anwälte sind) ein Blockchain-Unternehmen, die Obligate AG , gegründet und als Co-CEO mit aufgebaut, und engagiere mich aktuell als Chief Legal Officer. Wir haben, nun mit etwa 20 Personen, eine Blockchain-basierte Plattform und Infrastruktur geschaffen, auf der Unternehmen elektronische Wertpapiere direkt an qualifizierte Investoren emittieren können. Wir konnten hierfür über CHF 10 Millionen an Eigenkapitalfinanzierung unter anderem von der Schweizer Börse SIX sowie verschiedenen deutschen und amerikanischen Venture Capital Unternehmen gewinnen. Kürzlich habe ich mich als «Hobby» noch einem Habilitationsprojekt zur rechtlichen Beurteilung des Trainings künstlicher neuronaler Netzwerke angenommen. Das (Luxus-)Problem bei einer Tätigkeit an der sehr dynamischen Schnittstelle zwischen Recht und Technologie ist, dass es (zu) viele spannende Opportunitäten gibt.
Könnten Sie uns einen Einblick in Ihren typischen Arbeitsalltag geben und erläutern, welche Aspekte Ihrer Tätigkeit Sie besonders schätzen?
Wie oben zu lesen war, verlief mein bisheriger Werdegang nicht wirklich «klassisch linear», sondern eher «multidimensional». Das Tolle daran war und ist, dass ich je nach Rolle höchst unterschiedlich gefordert und inspiriert werde. Meine Hauptposition als Mitgründer von Obligate ermöglicht es mir, ganz viele auch nicht-juristische Dinge zu tun. Der Aufbau eines Unternehmens mit allen Höhen und Tiefen ist ein äusserst spannender, aber auch herausfordernder Prozess – man lernt enorm viel innert kürzester Zeit. Zudem macht man auch viele Erfahrungen, die es einem erleichtern, Unternehmen und insbesondere andere Startups zu beraten. Da unser Produkt sehr stark rechtlich getrieben ist und sich in einem hochregulierten Umfeld befindet, arbeitet man als Jurist auch in direktem und täglichem Austausch mit dem Produkt- und Entwicklungsteam. Wie man sich denken kann, reicht dort «es kommt darauf an» offensichtlich nicht, sondern man muss das «darauf» in gemeinsamen Iterationen in binären Code umsetzen können, was viel Spass macht. Wir haben bei Obligate ein global einzigartiges rechtlich-technisches Konzept für elektronischen Wertpapiere geschaffen, auf das wir stolz sind.
Bei meinen anderen (aktuell eher punktuellen) Engagements insbesondere bei MME fokussiere ich mich auf die optimale Ausgestaltung von Tokenisierungsprojekten, aber beispielsweise auch auf sogenannte dezentrale autonome Organisationen. Fachlich ist es eine Kombination aus Privat- und insbesondere Wertpapierrecht einerseits und verschiedenen finanzmarktrechtlichen Fragestellungen andererseits. Daneben schätze ich es, von Zeit zu Zeit mit Studierenden rechtliche Fragen zu diskutieren, und auch meine eigenen Ansichten hinterfragen zu lassen.
(...) jedoch besteht für den mit Abstand grössten Teil dezentraler Werte, begonnen mit dem Bitcoin, nach wie vor erhebliche Rechtsunsicherheit - Dr. Stephan D. Meyer, LL.M.
Ihre ausgezeichnete Promotion behandelt das Thema Blockchain und Sie unterrichten darüber an verschiedenen Hochschulen. Welche rechtlichen Herausforderungen und Chancen ergeben sich im Zusammenhang mit FinTech, Blockchain und Kryptowährungen?
Das Faszinierende an insbesondere disruptiven Technologien ist es, dass man sich plötzlich mit ganz neuen und völlig ungelösten Fragestellungen auseinandersetzen darf. Und oftmals ist die Lösungsfindung sehr kreativ – und es werden ganz grundlegende Rechtsprinzipien und Paradigmen in Frage gestellt. Bei der Frage, was beispielsweise ein Bitcoin aus rechtlicher Sicht darstellt, und weshalb eine Sache tatsächlich körperlicher Natur sein soll, kann (und muss) man bis zum Ursprung und der Ratio des Sachenrechts vordringen. Aktuell bestehen weltweit Blockchain-basierte Tokens mit einem Wert von über 1.2 Billionen Schweizer Franken. In der Schweiz haben wir mit den neuen Bestimmungen zu den Registerwertrechten zwar nun eine vergleichsweise gute Grundlage für diejenigen (wenigen) Tokens geschaffen, die wie Wertpapiere genutzt werden, jedoch besteht für den mit Abstand grössten Teil dezentraler Werte, begonnen mit dem Bitcoin, nach wie vor erhebliche Rechtsunsicherheit: es gibt keine dinglichen Rechte analog zu Eigentum und Besitz, kein gutgläubiger Erwerb, es ist unklar wie und nach welchen rechtlichen Kriterien solche Werte übertragen werden, genauso ob ein Bitcoin bspw. verpfändet werden kann.
Die unklare privatrechtliche Einordnung, etwas präziser, die Unklarheit ob an einem Token absolute Rechte bestehen, zieht sich dann genauso ins Straf-, Erb-, Haftpflicht oder Konkursrecht (mit Ausnahme der Aussonderung, die man zwischenzeitlich gesetzlich geregelt hat). Es gibt also noch viel zu tun – und viele spannende offene Fragen für die Forschung (und die Gerichte).
Technologiekurs für JuristInnen
BeschreibungWelche Veränderungen stehen uns durch den Fortschritt im FinTech-Bereich bevor?
Einer der aus meiner Sicht zentralsten Aspekte des technologischen Fortschritts ist die zunehmende Autonomie digitaler Systeme. Mit der Blockchain-Technologie und insbesondere sogenannten «Smart Contracts» haben wir erstmals Programme schaffen können, die vollständig dezentral und peer-to-peer Werte kreieren, kontrollieren und übertragen können, ohne dass Einzelne (oder Gerichte oder ein Staat) darauf Einfluss nehmen könnten. Ein Programm auf einer Blockchain führt sich nicht nur autonom aus, sondern setzt das Programmierte auch autonom durch. Dadurch kann es dort eingesetzt werden, wo wir aktuell vertrauenswürdige Intermediäre benötigen.
Während Blockchain-Programme eher rudimentär ausgestaltet sind, (...) erlauben moderne künstliche neuronale Netzwerke das Schaffen von Systemen, welche autonom lernen können, und zudem in einer Art und Weise, die für den Ersteller eines solchen neuronalen Netzwerks zumeist nicht nachvollzieh- und voraussehbar ist. - Dr. Stephan D. Meyer, LL.M.
Ein anderes Beispiel der zunehmenden Autonomie liegt in den stark zunehmenden Systemen mit künstlicher Intelligenz. Während Blockchain-Programme eher rudimentär ausgestaltet sind, da sie – wenn einmal abgespeichert – grundsätzlich nicht mehr veränderbar sind, erlauben moderne künstliche neuronale Netzwerke das Schaffen von Systemen, welche autonom lernen können, und zudem in einer Art und Weise, die für den Ersteller eines solchen neuronalen Netzwerks zumeist nicht nachvollzieh- und voraussehbar ist. Wie man sich denken kann, führt die Autonomie zu vielfältigen und oftmals ungelösten rechtlichen Fragestellungen.
Sie sind neben Ihrer Haupttätigkeit Rechtsoffizier bei der Schweizer Armee. Wie können Sie diese Erfahrungen in Ihrem Arbeitsalltag nutzen?
Das ist richtig. Ich bin als Major und Legal Advisor in einem Divisionsstab eingeteilt. Die Grundlage meiner Funktion ergibt sich aus den Genfer Konventionen, nach denen alle Mitgliedsstaaten sicherzustellen haben, dass ein Legal Advisor den Kommandanten grosser Verbände zugewiesen ist und diese in Bezug auf die Einhaltung des Kriegsvölkerrechts berät. Die militärisch-rechtliche Ausbildung hierzu findet u.a. am International Institute of Humanitarian Law (IIHL) in Sanremo in Italien statt, wo sich Rechtsoffiziere von allen Teilen der Welt, insbesondere auch aus den USA, China und (zumindest damals zu meiner Zeit) Russland zusammenfinden, und anhand konkreter Use Cases zusammen mit Mitgliedern des IKRK lernen und erarbeiten, was – um es auf den Kern zu bringen – in einem Krieg zulässiges Töten und unzulässiges Töten ist. Das Ziel des Kriegsvölkerrechts ist das Sicherstellen eines definierten Mindestmasses an Menschlichkeit in einem Krieg, auf das sich alle Parteien geeinigt haben. Zentral in der Prüfung sind immer zwei Elemente: die militärische Notwendigkeit und die Angemessenheit (im Hinblick auf Kollateralschaden), und deren gegenseitige Abwägung. Im Unterschied zu einem juristischen «Schreibtisch-Job» muss diese Abwägung in einem Einsatz aber unter hohem physischem Druck, mit wenig Zeit und oftmals schlechter Informationsbasis, irgendwo auf einem Feld, in einem Kommandoposten oder einem Bunker, und vielleicht mit 24 oder mehr Stunden ohne Schlaf, getroffen werden. Aus einer Schweizer Perspektive beschränkt sich der Einsatz mit wenigen Ausnahmen glücklicherweise auf «Trockenübungen» und solche im Führungssimulator; mit den aktuellen Kriegen in der Ukraine und dem Nahen Osten hat das Thema des Kriegsvölkerrechts und dessen Anwendung und Auslegung aber offensichtlich nochmals stark an Aktualität zugenommen.
Persönlich profitier(t)e ich insbesondere durch das Verlassen der Komfort-Zone und die praktische Erfahrung in strukturierten, interdisziplinären Entscheidungsfindungsprozessen.
Vielleicht auch aufgrund des starken Fokus auf Technologieprojekte (wo es schon mal vorkommen kann, dass man von einem Klienten umarmt wird, anstatt die Hand geschüttelt zu bekommen), ist die Kultur sehr frei von persönlichen «Allüren». - Dr. Stephan D. Meyer, LL.M.
Was zeichnet MME Ihrer Meinung nach im Vergleich zu anderen Arbeitgebern in der Rechtsbranche aus?
Um etwas Werbung zu machen: MME ist eine tolle Anwaltskanzlei und Arbeitgeberin. Trotz des sehr grossen Wachstums über die letzten Jahre auf nun über 100 Kolleginnen und Kollegen konnte ein sehr familiäres Umfeld bewahrt werden. Insbesondere die ausserordentlich starke und breite Kompetenz im Bereich Fintech schlägt sich auch in den bekannten «Legal 500» und «Chambers and Partners» Rankings nieder, wo MME regelmässig im Top Tier der Schweizer Kanzleien liegt. Vielleicht auch aufgrund des starken Fokus auf Technologieprojekte (wo es schon mal vorkommen kann, dass man von einem Klienten umarmt wird, anstatt die Hand geschüttelt zu bekommen), ist die Kultur sehr frei von persönlichen «Allüren». Wer gerne spannende Mandate hat, und wer keine Lust hat auf ein Umfeld, in dem «Billing-Rekorde» ein Statussymbol sind, wird sich bei MME sehr wohl fühlen. Man wird ein motiviertes, ambitioniertes und kreatives Team vorfinden, dass Freude an technologischer Innovation hat. Und legendäre Feiern gibt es natürlich auch.
Die Technologie ist deutlich schnelllebiger und dynamischer als das Recht. Es ist daher unabdingbar, up-to-date zu bleiben, und hierfür auch entsprechend Zeit zu investieren. - Dr. Stephan D. Meyer, LL.M.
Abschliessend: Welche Ratschläge haben Sie für Juristinnen und Juristen, die eine Karriere im FinTech-Bereich anstreben?
Die Top-3 meiner persönlichen Ratschläge lauten wie folgt:
- Das Allerwichtigste ist, sich einen Bereich auszuwählen, der einem Spass macht. In den allermeisten Fällen ist man dann auch gut darin. Wenn man eine Leidenschaft für Technologie und Recht hat, ist der Fintech-Bereich ein grossartiges Sprungbrett für verschiedenste spannende Tätigkeiten und Herausforderungen.
- Es ist mindestens so viel Zeit in das Verständnis der Technologie und der Konzepte zu investieren, wie in die Beurteilung der rechtlichen Implikationen. Nur wer die Ambition hat, die Technologie im Detail zu durchdringen, kann eine optimale rechtliche Analyse diesbezüglich bieten. Das bedeutet, dass wenn man sich bspw. mit Blockchain und Recht beschäftigen will, man auch selbst ein Wallet aufsetzt und die verschiedenen Arten von DeFi-Anwendungen testet, oder im Bereich von KI, dass man einmal selbst ein rudimentäres neuronales Netzwerk erstellt und trainiert.
- Die Technologie ist deutlich schnelllebiger und dynamischer als das Recht. Es ist daher unabdingbar, up-to-date zu bleiben, und hierfür auch entsprechend Zeit zu investieren. Die hohe Dynamik ist zweifelsfrei eine Herausforderung – auf der positiven Seite ist dadurch aber sichergestellt, dass man sich nicht langweilen wird.
Herzlichen Dank für die hilfreichen Ratschläge und für den Einblick in die FinTech Welt. Wir wünschen Ihnen alles Gute!