Themen: Psychopathie, toxische Persönlichkeiten, Sprachanalyse, Psychologie, Recht, Soziopathie, antisoziale Persönlichkeitsstörungen, Manipulation, Lügen, Rechtsirrtum, Empathie, Sozialkompetenz, kognitive Dissonanz, Sozialexperimente, 1-prozent GmbH, Diversity Academy.
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Lesezeit: 6 Minuten.
Guten Tag Herr Siegfried. Sie sind studierter Jurist und beschäftigen sich heute insbesondere mit Psychologie und Sprachanalyse. Wie sind Sie dazu gekommen, sich in diesem Bereich zu spezialisieren?
Guten Tag. Vielen Dank für Ihre Anfrage zu einem Thema, mit dem ich mich seit nunmehr weit über 15 Jahren täglich intensiv beschäftige.
Mein Interesse an der Verbindung von Rechtswissenschaft, Psychologie und Sprachanalyse entwickelte sich aus persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen. Immer wieder fiel mir auf, dass bestimmte Texte irritierend wirkten – ihre Sprache war anstrengend und hinterliess ein Gefühl der Inkongruenz.
Schon der römische Dichter Publilius Syrus sagte im 1. Jahrhundert v. Chr.: «Die Sprache ist der Spiegel der Seele: Wie ein Mensch spricht, so ist er». Diese Weisheit zeigt, wie eng Sprache und Persönlichkeit miteinander verbunden sind.
Durch den Einsatz psychologischer Ansätze, hauptsächlich durch das Studium der Psychopathie, lassen sich zwischenmenschliche Dynamiken präzise analysieren. So lässt sich erkennen, welche Verhaltensmuster ein konstruktives Miteinander fördern – und welche Konflikte oder Manipulation begünstigen. Mein Ziel ist es, diese Erkenntnisse für eine bessere Kommunikation und ein effektiveres Konfliktmanagement nutzbar zu machen.
Welche psychologischen Erkenntnisse sind für Juristinnen und Juristen im Berufsalltag besonders nützlich?
Ein fundiertes Verständnis von emotionaler Intelligenz, kognitiven Verzerrungen und manipulativen Taktiken ist für Juristinnen und Juristen von unschätzbarem Wert.
Diese Fähigkeiten schärfen die eigene Wahrnehmung und helfen Klienten und deren Umfeld, die Situation besser einzuschätzen und gezielt auf Spannungen oder Konflikte einzugehen.
Besonders anspruchsvoll wird es, wenn Personen mit stark psychopathischen Zügen beteiligt sind. Sie sind Experten im Verschleiern und Manipulieren. Ein Beispiel ist die sogenannte DARVO-Methode (Deny, Attack, Reverse Victim and Offender), mit der solche Personen Justizirrtümer provozieren können.
In meinem Buch "Do you speak Psychopath?“ analysiere ich unter anderem die Geschichten von Horst Arnold und Gustl Mollath. Diese Beispiele verdeutlichen, wie manipulative Individuen Unschuldige in Schwierigkeiten bringen können, während die Beteiligten – von Opfern bis zu Fachleuten – häufig überfordert reagieren. Der Schlüssel liegt in der gezielten Anwendung psychologischer Erkenntnisse, um solche Dynamiken frühzeitig zu erkennen und angemessen zu intervenieren.
Obwohl viele über manipulative Persönlichkeiten Bescheid wissen, gelingt es solchen Persönlichkeiten immer wieder, an die Macht zu gelangen. Woran liegt das?
Manipulative Persönlichkeiten verstehen es meisterhaft, leichtgläubige oder unaufmerksame Mitmenschen durch Intrigen, Charme und Täuschung für sich zu gewinnen. In juristischen Auseinandersetzungen behalten sie durch gezielte Lügen und strategische Täuschungen häufig die Oberhand. Ein weit verbreiteter Denkfehler ist die Annahme, die Wahrheit liege «irgendwo in der Mitte» – ein Vorteil, den manipulative Menschen gezielt ausnutzen.
Ihre «destruktive» kognitive Dominanz ermöglicht es ihnen, ohne moralische Hemmungen zu lügen, zu betrügen und andere zu manipulieren. Ihnen fehlen die typischen «Gewissensbisse», die empathische Menschen zurückhalten würden. - Stephan Siegfried
Während empathische Menschen selten bewusst Schaden zufügen, nutzen psychopathisch veranlagte Menschen genau diese Eigenschaften gezielt aus. Ihre «destruktive» kognitive Dominanz ermöglicht es ihnen, ohne moralische Hemmungen zu lügen, zu betrügen und andere zu manipulieren. Ihnen fehlen die typischen «Gewissensbisse», die empathische Menschen zurückhalten würden.
Dennoch gibt es Warnsignale – sogenannte "Red Flags“ – die frühzeitig erkannt werden können. An der Diversity Academy vermitteln wir praxisnahes Wissen, um solche manipulativen Muster zu erkennen und sich wirksam davor zu schützen.
Es ist bekannt, dass eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von CEOs psychopathische Züge aufweisen. Wie schätzen Sie die Situation in Kanzleien ein?
Ähnlich wie in den Führungsetagen grosser Unternehmen, sind auch in Kanzleien Eigenschaften wie Selbstbewusstsein, Risikobereitschaft und Egozentrik überdurchschnittlich stark ausgeprägt. Diese Charaktereigenschaften können wertvolle Kompetenzen sein – etwa in Verhandlungen oder bei der Durchsetzung von Interessen. Sie bergen aber auch erhebliche Risiken, wenn sie auf Kosten anderer ausgelebt werden oder zu manipulativen Verhaltensmustern führen.
Die "Great British Psychopath Survey“ von Kevin Dutton (2011) hat gezeigt, dass Anwälte in der Rangliste psychopathischer Persönlichkeitseigenschaften gleich hinter CEOs rangieren. Überall dort, wo Macht, Status und finanzielle Anreize dominieren, sind solche Persönlichkeiten häufiger anzutreffen. Umso wichtiger ist es, sich der Dynamiken bewusst zu sein und klare Werte und ethische Richtlinien zu etablieren, um negative Einflüsse zu begrenzen.
Welche präventiven Massnahmen können Unternehmen ergreifen, um toxische Persönlichkeiten frühzeitig zu erkennen?
Gezielte Schulungen für Vorstände, Aufsichtsräte, Führungskräfte und HR-Verantwortliche sind der Schlüssel. In unseren Workshops – von kompakten zweistündigen Einheiten bis hin zu intensiven Tagesseminaren – vermitteln wir praxisnah die Dynamiken toxischen Verhaltens. Dabei arbeiten wir mit konkreten Beispielen, um typische Muster und Verhaltensweisen sichtbar zu machen.
Die Teilnehmenden sind oft erstaunt, wie geschickt sich toxische Persönlichkeiten hinter einer Fassade der Normalität verstecken können – oft "hidden in plain sight“. Die Trainings stärken die Wahrnehmung und vermitteln Handlungsstrategien, um problematische Persönlichkeiten frühzeitig zu erkennen und ihren Einfluss zu minimieren.
Zusätzlich zu Ihrer Tätigkeit als Autor sind Sie Inhaber der 1-prozent GmbH. Welche Leistungen bietet Ihr Unternehmen an?
Wir bieten spezialisierte Präventionsworkshops sowie gezielte Interventionen an, um toxische Persönlichkeiten in Teams frühzeitig zu identifizieren und ihren Einfluss zu minimieren. Seit 2017 setzen wir KI-gestützte Sprachanalysen ein, um auffällige Kommunikationsmuster präzise zu erkennen.
Im Anschluss an Interventionen begleiten wir betroffene Teams durch ein Programm, um die Folgen toxischer Dynamiken zu bewältigen. Unser Fokus liegt dabei darauf, posttraumatische Belastungsstörungen und Burnout zu verhindern und ein gesundes, produktives Arbeitsumfeld wiederherzustellen.
Schon gewusst?
Als Autor hat Stephan Siegfried bereits mehrere Bücher zum Thema Psychopathie veröffentlicht:
- «ICH — 1%!?» Ich bin in OK, Du bist nicht OK — Psychopathen im Alltag
- «Do you speak Psychopath?» Erkennen Sie die Sprachmuster von Psychopathen in ihrem Alltag
Zu den BüchernWelche Anzeichen oder Sprachmuster in einer Bewerbung deuten auf eine toxische Persönlichkeit hin?
In meinen Büchern (siehe Box) habe ich umfassend dokumentiert, wie toxische Persönlichkeiten durch allgemeine Anzeichen und Sprachmuster erkennbar werden. Einige typische Hinweise in Bewerbungen sind:
- Verschachtelte Sätze mit übertriebenen oder widersprüchlichen Argumenten, die Verwirrung stiften können.
- Unnötige Verwendung von Fachbegriffen oder Neologismen, um Kompetenz vorzutäuschen oder Eindruck zu schinden.
- Wiederholungen im gleichen Satz, die auf manipulative Kommunikationsstrategien hinweisen können.
- Versuch, den Sprachstil des Empfängers nachzuahmen, um Sympathie oder Zugehörigkeit zu erzeugen.
- Häufung von Grammatik- und Tippfehlern, die auf Nachlässigkeit oder mangelnde Sorgfalt schliessen lassen.
- Emotionale Begriffe für Gegenstände oder umgekehrt, was auf eine unübliche emotionale Verarbeitung hinweisen kann.
Diese Anzeichen allein sind nicht immer ein Beleg für toxische Persönlichkeiten, sollten jedoch Anlass geben, die Bewerbung genauer zu prüfen.
Welche rechtlichen Herausforderungen ergeben sich aus dem Einsatz von Sprachanalyse-Tools im Bewerbungsprozess?
Wie bei Assessments und eignungsdiagnostischen Tests, sind Persönlichkeits- und Datenschutzbestimmungen einzuhalten. Die Ergebnisse sollten transparent kommuniziert und diskriminierungsfrei verwendet werden, z.B. durch «blinde» Bewerbungsverfahren.
Diese «Verblindung» sollte auch bei herkömmlichen Bewerbungsverfahren angewendet werden. Allzu oft entscheiden auch heute noch - je nach Voreingenommenheit und Partikularinteressen der künftigen Vorgesetzten - Geschlecht, Alter und vor allem das Aussehen und nicht die Qualifikation. Viele kennen solche Fälle. Ebenso wie Fälle von Vetternwirtschaft, bei denen weggeschaut wird. In solchen Fällen wird der Datenschutz zum Täterschutz. Dies gilt es zu vermeiden.
Wie beeinflusst der Einsatz von ChatGPT für Lebensläufe und Bewerbungsschreiben die Analyse der schriftlichen Sprache?
Da ChatGPT standardisierte und „glattgebügelte“ Texte erzeugt, werden Warnzeichen oft verdeckt. Eine sorgfältige, menschliche Nachkontrolle bleibt unerlässlich, um ein authentisches Bild der Kandidatinnen und Kandidaten zu erhalten.
Welche Warnhinweise im Berufsalltag deuten auf psychopathische Züge hin?
Der führende Forscher auf diesem Gebiet, Robert D. Hare, Ph.D., entwickelte gemeinsam mit seinem Team die Psychopathy Checklist (PCL) ein Instrument zur Erfassung psychopathischer Merkmale. Die überarbeitete Version, die PCL-R, wurde 1991 veröffentlicht und gilt bis heute als „Goldstandard“. Ursprünglich konzentrierte sie sich auf Delikte gegen Leib und Leben.
Um psychopathische Züge im beruflichen Kontext zu erkennen, wurde Anfang der 2000er Jahre auf Basis des PCL-R der B-Scan 360 in Zusammenarbeit mit Paul Babiak und Craig S. Neumann entwickelt. Die Kriterien helfen, toxische Verhaltensmuster und psychopathische Dynamiken in Unternehmensstrukturen systematisch zu identifizieren.
In unseren Workshops vermitteln wir praxisnah, welche Warnsignale im Arbeitsalltag auf psychopathische Persönlichkeitsmerkmale hinweisen. Dazu gehören beispielsweise manipulative Kommunikationsstile, gezielte Täuschungen und der Missbrauch von Machtpositionen.
Wie sollten Anwälte vorgehen, wenn sie mit Führungskräften arbeiten, die toxische oder psychopathische Merkmale zeigen?
Zunächst gilt es, diese Merkmale frühzeitig zu erkennen und die eigentlichen Täter zu lokalisieren. Denn oft gibt es Mitläufer, die als Soziopathen die gleichen sozial unverträglichen Muster aufweisen. Dabei ist zu beachten, dass Psychopathen antisozial sind und Soziopathen dies in einem Umfeld antisozialer Verhaltensweisen entwickeln. Daher ist eine klare Strategie wichtig: Diskrete Beobachtung, gezielte Gesprächsführung und gegebenenfalls frühzeitige Eskalation an die verantwortlichen Stellen.
Was ist sonst noch zu beachten?
Psychopathie ist eine schwere psychische Störung, die stigmatisiert und sogar verharmlost wird. Studien zufolge sind etwa sieben von 1'000 Männern und drei von 1'000 Frauen betroffen. Also etwa ein Prozent der Bevölkerung. Sozial angepasste Psychopathen sind solche, die dank ihrer manipulativen und trickreichen Fähigkeiten sogar die Justiz täuschen können. Viele von ihnen bewegen sich unerkannt in der Gesellschaft, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, ihnen immer wieder zu begegnen. Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Menschen schon einmal mit Psychopathen in Kontakt gekommen sind. Viele Betroffene erlitten einen grossen körperlichen, wirtschaftlichen oder psychischen Schaden.
Trotz der Herausforderungen, die die Psychopathie mit sich bringt, ist zu betonen, dass auch Psychopathen Menschen sind. Ferner können auch psychisch gesunde Menschen unter bestimmten Umständen Verhaltensweisen zeigen, die psychopathischen Mustern ähneln. Psychopathie ist ein Kontinuum, das in all seinen Facetten verstanden werden muss.
Dieses Verständnis und der Umgang mit psychopathischen Verhaltensmustern sind zentrale Inhalte der Workshops der Diversity Academy. Ziel ist es, das Bewusstsein zu schärfen und Strategien für den professionellen Umgang mit diesen Dynamiken zu entwickeln.
Herzlichen Dank für die lehrreichen Einblicke in dieses spannende Thema. Wir wünschen Ihnen weiterhin alles Gute!
Über Stephan Siegfried
Stephan Siegfried (lic. iur.) bringt über 30 Jahre Erfahrung in Projektmanagement und Führungspositionen mit. Er hat in der öffentlichen Verwaltung, der Privatwirtschaft und der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet und sich intensiv mit antisozialem Verhalten und „Alltagskriminalität“ beschäftigt.
Durch Weiterbildungen in Neurobiologie, Psychologie und Soziologie erlangte er ein tiefes Verständnis für die Mechanismen menschlichen Handelns. 2015 gründete er die 1-Prozent GmbH, die mit KI antisoziale Auffälligkeiten analysiert. In Vorträgen und Workshops an der Diversity Academy zeigt er, wie man unlautere Absichten und toxisches Verhalten frühzeitig erkennt. Stephan Siegfried ist Autor mehrerer Bücher und lebt in Zürich.
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