Radsport

Sophie Bühler
Sophie Bühler

Zitiervorschlag: Sophie Bühler, Radsport, in: Anne Mirjam Schneuwly/Yael Nadja Strub/Mirjam Koller Trunz (Hrsg.), Sportverbandskommentar, https://sportverbandskommentar.ch/radsport, 1. Aufl. (publiziert am 14. März 2024)

Kurzzitat: Bühler, Rz. xx.


Literatur

Haas Ulrich/Martens Dirk-Reiner, Sportrecht – Eine Einführung in die Praxis, Zürich 2012; Heini Anton/Portmann Wolfgang, Das schweizerische Vereinsrecht, Schweizerisches Privatrecht, II/5, Basel 2005; Heini Anton/Portmann Wolfgang/Seemann Matthias, Grundriss des Vereinsrechts, Basel 2009; Hessert Björn, Bindung der Sportler*innen an die Sportverbandsregeln, in: Schneuwly Anne Mirjam/Strub Yael Nadja/Koller Trunz Mirjam (Hrsg.), Sportverbandskommentar [zit. Sportverbandskommentar]; ders., Rechtsnatur und Wirkung der Anerkennung des Welt Anti-Doping Codes, Causa Sport 1/2021, S. 58 ff. [zit. Rechtsnatur und Wirkung]; Kaiser Martin, Aspekte der (Inter-) Nationalität des Sports, in: Kleiner Jan/Baddeley Margareta/Arter Oliver (Hrsg.), Sportrecht – Band I, Schwerpunkte: Grundlagen, Ausgewählte Vertragsbeziehungen, Sportler und Club im Verband, Sport und Doping, Ausgewählte strafrechtliche Aspekte, Bern 2013, S. 37 ff.; Maso Benjo, Der Schweiss der Götter, Geschichte des Radsports, Bielefeld 2011; Mignot Jean-François, The History of Professional Road Cycling, in: Van Reeth Daam/Larson Daniel Joseph (Hrsg.), The Economics of Professional Road Cycling, Cham 2016, S. 7 ff.; Renggli Sepp, Schweizer Radsport – gestern, heute, morgen, Zürich 1998; Riemer Hans Michael, Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Zivilgesetzbuch, Die juristischen Personen, Die Vereine, Art. 60-79 ZGB, Art. 712m Abs. 2 ZGB, 2. Aufl., Bern 2023; Scherrer Urs/Brägger Rafael, in: Geiser Thomas/Fountoulakis Christiana (Hrsg.), Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 7. Aufl., Basel 2022; Scherrer Urs/Muresan Remus/Ludwig Kai, Sportrecht – Eine Begriffserläuterung, 3. Aufl., Zürich 2014; Steiner Marco, Doping – Privatrechtliche Erfassung und Sanktionierung in der Schweiz, in: Kleiner Jan/Baddeley Margareta/Arter Olivier (Hrsg.), Sportrecht – Band I, Schwerpunkte: Grundlagen, Ausgewählte Vertragsbeziehungen, Sportler und Club im Verband, Sport und Doping, Ausgewählte strafrechtliche Aspekte, Bern 2013, S. 397 ff.; Thaler, Ausgleichung von straf- und zivilrechtlicher Beurteilung bei Sportunfällen, Causa Sport 4/2019, S. 392 f.

I. Allgemeines zum Sport

[1]

Unter den Begriff Radsport fallen sämtliche Sportarten, die mit dem Fahrrad ausgeführt werden. In seinen Anfängen beschränkte er sich auf Strassenrennen (Renggli, S. 71). Inzwischen umfasst der Radsport jedoch verschiedene Disziplinen. Swiss Cycling unterscheidet zwischen Strasse, Trial, Radquer, MTB, Hallenradsport, BMX, Bahn und Para-Cycling (siehe Swiss Cycling – Informationen).

[2]

Als eines der ersten (Strassen-) Radrennen gilt das im Jahr 1868 abgehaltene Geschwindigkeitsrennen im Park von Saint-Cloud, Paris, Frankreich. Einige Waghalsige fuhren auf den damals gängigen Hochrädern gegeneinander zum Parkbrunnen und zurück (Maso, S. 6; Mignot, S. 9 f.; Tages-Anzeiger). Kurz darauf, im Jahr 1869, wurde zwischen Paris und Rouen erstmals ein Langstreckenrennen ausgetragen. Auch dieses Rennen wurde noch mit «Fahrrädern» bestritten, welche zwar Pedalen, aber keine Kette und Reifen hatten (Mignot, S. 10).

[3]

Im Laufe des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurden bereits modernere Gefährte verwendet, die unseren heutigen Fahrrädern näherkamen. Insbesondere machte die Entwicklung des Fahrrads 1885 einen grossen Sprung, als John Kemp Starley das Ketten und Schaltsystem erfand (siehe Olympics – Radsport; siehe auch Renggli, S. 15). In diesem Zeitraum wurden diverse weitere Rennen abgehalten. Darunter im Jahr 1903 die erste Tour de France (Mignot, S. 10; siehe dort auch eine Liste der ersten Rennen im Radsport), welche zusammen mit dem Giro d'Italia und der Vuelta a España zu den sogenannten Grand Tours gehört. Diese gelten heute noch als beliebteste, prestigeträchtigste und lukrativste Radrennen der Welt (Mignot, S. 10).

[4]

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Radsport zum Profisport (Mignot, S. 11). Um die dabei aufgekommenen Koordinationsprobleme zu lösen, gründeten die nationalen Radsportverbände von Frankreich, Belgien, Italien, der Schweiz und den Vereinigten Staaten 1900 den Internationalen Radsportverband, die Union Cycliste Internationale (UCI) (Mignot, S. 18; siehe auch UCI – History). Insbesondere war es notwendig, dass sich die nationalen Verbände auf einen gemeinsamen Rennkalender einigten, damit nicht zu viele Rennen gleichzeitig abgehalten wurden. Zudem mussten die nationalen Verbände ein Ranking System und Disziplinarregeln vereinbaren (Mignot, S. 17 f.; siehe zu den Wettkampfregelungen nachstehend Rz. 26 ff.).

[5]

Aktuell sind 203 nationale Verbände direkte Mitglieder der UCI (siehe UCI – Continental Confederations and National Federations). Diese sind verpflichtet, die Reglemente der UCI in ihren eigenen Reglementen zu übernehmen (Art. 7 Abs. 4 UCI Statuten; siehe nachstehend Rz. 18).

[6]

In der Schweiz wurde im Jahr 1883 der nationale Radsportverband mit dem Namen Schweizerischer Velozipedisten Verband gegründet. 1908 wurde er in Schweizerischer Radfahrer-Bund umbenannt (Renggli, S. 13). Heute verwendet der Verband auch den Namen Swiss Cycling (siehe Art. 1 Swiss Cycling Statuten). Swiss Cycling ist direktes Mitglied der UCI (siehe UCI - Continental Confederations and National Federations) und muss deren Reglemente umsetzen.

[7]

Swiss Cycling selbst gehören Einzel- und Kollektivmitglieder an. Zu den Kollektivmitgliedern zählen Vereine, Kantonal-, Regional- und Fachverbände (siehe Art. 16 Abs. 1 Swiss Cycling Statuten). Mitglieder der Kantonalverbände sind die Radsportvereine im jeweiligen Kanton (siehe z.B. Art. 3 Swiss Cycling Aargau Statuten und Art. 2 Zurich Cycling Statuten), denen die einzelnen Radsportler*innen als Mitglieder angeschlossen sind (siehe z.B. Art. 3 Statuten Radfahrerverein Ehrendingen). Letztere können gleichzeitig Einzelmitglieder (Aktivmitglieder) von Swiss Cycling werden und müssen dies auch, um Anrecht auf eine Lizenz zu erhalten (siehe Art. 15 Abs. 2 und Art. 16 Abs. 2 Swiss Cycling Statuten; siehe auch § 1.1.006 N Swiss Cycling Reglement Teil 1). Im Jahr 2022 verfügten 2242 Personen über eine von Swiss Cycling ausgestellte Lizenz (siehe Jahresbericht 2022 Swiss Cycling, S. 37).

II. Organisation des Verbandes

A. Organe des Verbandes (Swiss Cycling)

[8]

Swiss Cycling ist als Verein nach Art. 60 ZGB ff. organisiert und im Handelsregister eingetragen.

[9]

Das oberste Organ von Swiss Cycling ist die Delegiertenversammlung (Art. 24 Swiss Cycling Statuten), welche zumindest jährlich abgehalten wird (Art. 27 Abs. 1 Swiss Cycling Statuten). Der Vorstand kann zudem jederzeit eine ausserordentliche Delegiertenversammlung einberufen (Art. 27 Abs. 2 Swiss Cycling Statuten). Weiter muss der Vorstand eine ausserordentliche Delegiertenversammlung einberufen, wenn dies von Mitgliedern, die insgesamt ein Fünftel der Delegiertenstimmen repräsentieren, verlangt wird (Art. 27 Abs. 2 Swiss Cycling Statuten).

[10]

Die Mitglieder von Swiss Cycling üben ihr Stimmrecht durch Delegierte aus. Die Anzahl der Stimmrechte pro Mitglied hängt von der Art des jeweiligen Mitglieds ab. Beispielsweise hat jeder Kantonal-, Regional- und Fachverband Anrecht auf zwei Stimmen (Art. 31 Abs. 2 Swiss Cycling Statuten). Die Anzahl Stimmen der Vereine bestimmt sich hingegen nach deren Anzahl Mitglieder, welche gleichzeitig Einzelmitglieder von Swiss Cycling sind (sog. Swiss Cycling Members) und Lizenzen (vgl. Art. 31 Abs. 1 Swiss Cycling Statuten).

[11]

Die Delegiertenversammlung ist unabhängig von der Anzahl anwesender Stimmrechte beschlussfähig (Art. 32 Swiss Cycling Statuten).

[12]

Die Abstimmungen und Wahlen werden offen vorgenommen, sofern nicht eine geheime Durchführung durch einfaches Mehr der anwesenden Stimmrechte verlangt wird (Art. 34 Abs. 1 Swiss Cycling Statuten).

[13]

Abstimmungen erfolgen je nach Sachgeschäft entweder mit Zweidrittelmehr oder einfachem Mehr der abgegebenen, gültigen Stimmen (Art. 25 und 34 Abs. 2 Swiss Cycling Statuten). Wahlen werden im ersten Wahlgang mit absolutem, im zweiten Wahlgang mit relativem Mehr der abgegebenen Stimmen getroffen. Bei Stimmengleichheit im zweiten Wahlgang werden weitere Wahlgänge durchgeführt, bis ein Mehrheitsentscheid zu Stande gekommen ist (Art. 34 Abs. 3 Swiss Cycling Statuten). Die leeren und ungültigen Stimmen werden jeweils nicht angerechnet (Art. 34 Abs. 2 und 3 Swiss Cycling Statuten).

[14]

Die fünf bis sieben Mitglieder des Vorstands werden von der Delegiertenversammlung für die Dauer von drei Jahren gewählt. Eine Wiederwahl ist zulässig (Art. 25 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 und Art. 39 Swiss Cycling Statuten). Der Vorstand ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist (Art. 40 Swiss Cycling Statuten). Er fällt seine Beschlüsse mit dem einfachen Mehr der abgegebenen Stimmen. Der Verbandspräsident oder einer der Co-Präsidenten hat bei Stimmengleichheit den Stichentscheid. (Art. 40 Abs. 2 Swiss Cycling Statuten).

[15]

Die Revisionsstelle (in den Statuten bezeichnet als «externe Kontrollstelle») wird jeweils für die Dauer eines Jahres von der Delegiertenversammlung gewählt (Art. 56 Abs. 3 Swiss Cycling Statuten).

[16]

Swiss Cycling verfügt des Weiteren über fakultative, statutarisch eingeführte Organe, zu welchen insbesondere die Kommissionen für die einzelnen Radsportdisziplinen (Strasse, Bahn, Quer, MTB, BMX, Gravity und Trial; siehe Art. 52 Swiss Cycling Statuten) und die Rechtspflegeorgane (Einzelrichter und Rekursgericht; siehe Art. 57 und 58 Swiss Cycling Statuten) gehören (siehe Art. 22 Swiss Cycling Statuten).

B. Bindung an die Vereins-/Verbandsregeln

1. Bindung der direkten Mitglieder des Dachverbandes (Swiss Cycling und UCI)

[17]

Direkte Mitglieder von Swiss Cycling sind die Vereine, Kantonal-, Regional- und Fachverbände (Kollektivmitglieder) und die einzelnen Radsportler*innen (Einzelmitglieder) (siehe Art. 8 ff. Swiss Cycling Statuten). Sie werden grundsätzlich durch ihren Beitritt an die Regeln des Verbandes gebunden (vgl. BK ZGB-Riemer, Art. 70 N 40). Art. 20 Abs. 4 Swiss Cycling Statuten hält dementsprechend fest, dass die Mitglieder die jeweils gültigen Statuten, Reglemente und Beschlüsse von Swiss Cycling als verbindlich anerkennen. Zur automatischen Bindung an die Regelwerke durch den Vereinsbeitritt ist diese Klausel jedoch nicht ausreichend, sondern ist auch erforderlich, dass die Mitglieder sie zur Kenntnis nehmen können (BK ZGB-Riemer, Art. 70 N 38). Dies ist via Website von Swiss Cycling gewährleistet, auf der sich Statuten als auch die Reglemente des Verbandes befinden (siehe Swiss Cycling Statuten und Swiss Cycling Reglemente). Dass die Mitglieder die Statuten tatsächlich zur Kenntnis genommen haben, stellt Swiss Cycling sicher, indem im Rahmen des Beitrittsgesuch die Bestätigung verlangt wird, dass die betreffende Person die Statuten gelesen hat und sich mit ihnen einverstanden erklärt (siehe Swiss Cycling Anmeldung).

[18]

Swiss Cycling selber ist Mitglied der UCI. Durch seinen Beitritt wurde der Schweizer Verband an die Statuten und Reglemente der UCI gebunden. Die Kenntnisnahme der Regelwerke durch ihre Mitglieder stellt die UCI sicher, indem sie verlangt, dass dem Antrag auf Mitgliedschaft eine formelle Erklärung beigelegt wird, dass der nationale Verband die Statuten und die Reglemente akzeptiert, anwendet und einhält und seine eigenen Statuten und Reglemente entsprechend anpasst (Art. 8 Abs. 2 a) UCI Statuten).

[19]

Swiss Cycling hat die in Art. 8 Abs. 2 a) UCI Statuten genannte Verpflichtung umgesetzt, indem der Verband die Reglemente der UCI in den eigenen Reglementen reproduziert und mit Regeln ergänzt hat, die ausschliesslich bei Rennen des nationalen Kalenders gelten. Diese ergänzenden Regeln sind in den Reglementen von Swiss Cycling mit dem Buchstaben N gekennzeichnet (siehe Swiss Cycling Reglement Teil 1, Allgemeine Bestimmungen, S. 1).

2. Bindung der indirekten Mitglieder des Dachverbandes (UCI)

[20]

Da eine Mitgliedschaft bei Swiss Cycling vorausgesetzt wird für das Anrecht auf eine Lizenz (siehe nachstehend Rz. 27), sind aktive Radsportler*innen in der Regel direkte Mitglieder und werden so an die Regelwerke des nationalen Verbandes gebunden.

[21]

Einzelpersonen können jedoch nicht direkte Mitglieder der UCI sein (vgl. Art. 4 UCI Statuten). Um sie trotzdem als indirekte Mitglieder an die Reglemente und Disziplinargewalt der UCI zu binden, gibt es zwei mögliche Mechanismen: die sog. Satzungsketten und der Regelanerkennungsvertrag (siehe hierzu den Beitrag von Hessert; siehe auch Haas/Martens, S. 67 ff.). In Bezug auf die Regelwerke der UCI und die Bindung der einzelnen Radsportler*innen finden beide Mechanismen Anwendung.

[22]

Einerseits kommen Satzungsketten vor. Beginn der Satzungsketten ist die Verpflichtung der direkten Mitglieder des UCI (die nationalen Verbände), die Bestimmungen der UCI in ihren Reglementen zu übernehmen (Art. 7 Abs. 4 UCI Statuten).

[23]

Swiss Cycling setzt diese Verpflichtung um, indem der Verband in seinen Statuten festhält, dass seine Mitglieder die jeweils gültigen Statuten, Reglemente und Beschlüsse der Verbände und Organisationen, denen Swiss Cycling angeschlossen ist, als verbindlich anerkennen und sich danach richten (Art. 20 Abs. 4 Swiss Cycling Statuten). Eine solche Verweisung auf die Regelwerke des übergeordneten Verbands ist grundsätzlich mit dem vereinsrechtlichen Gebot, wichtige Grundsatzentscheidungen in den Statuten zu verankern, vereinbar. Eine wörtliche Aufführung der Verbandsvorschriften in den Statuten des Vereins oder Verbands, welcher diese Vorschriften «durchreicht», ist nicht nötig (vgl. Haas/Martens, S. 70). Hingegen ist umstritten, ob es zulässig ist, wenn die Statuten auf die jeweils aktuelle Fassung der Statuten des übergeordneten Verbandes verweisen wie in Art. 20 Abs. 4 Swiss Cycling Statuten (unzulässig gemäss Haas/Martens, S. 70; rechtlich nicht unbedenklich gemäss Scherrer/Muresan/Ludwig, S. 114; zulässig gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind Schiedsklauseln infolge dynamischer bzw. globaler Verweisung: 4A_460/2008 vom 09.01.2009 E. 6.2 und 4A_640/2010 vom 18.04.2011 E. 3.3.3; zumindest teilweise befürwortend Heini/Portmann, Rz. 527; Heini/Portmann/Seemann, Rz. 447 f.). Nimmt man an, eine solch «dynamische Verweisung» sei unzulässig, weil sie in einer übermässigen Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Vereins resultiert (vgl. Haas/Martens, S. 69 f.; siehe Kaiser, S. 79), liegt ein Verstoss gegen zwingendes Recht vor (BSK ZGB I-Scherrer/Brägger, Art. 63 ZGB, N 5). Ein solcher Verstoss hat die Teilnichtigkeit der betreffenden Bestimmung zur Folge (vgl. BK- Riemer, Art. 63 ZGB, N 56).

[24]

Andererseits werden die einzelnen Radsportler*innen jedoch auch durch Regelanerkennungsverträge an die Regelwerke von Swiss Cycling und der UCI gebunden. Insbesondere erfolgt die Regelanerkennung im Rahmen der Lizenzerteilung, für welche die Radsportler*innen ein Gesuch bei dem für sie zuständigen nationalen Verband stellen müssen (siehe nachstehend Rz. 27). Wird die Lizenz erteilt kommt ein sog. Lizenzvertrag (ein Innominatkontrakt) zustande (Scherrer/Muresan/Ludwig, S. 215). Im Rahmen des Lizenzbegehrens an Swiss Cycling, hat die antragsstellende Person eine Unterstellungserklärung zu unterzeichnen, nach welcher sie bestätigt, die Statuten und Reglemente des nationalen sowie des internationalen Verbandes zu respektieren (die Unterstellungserklärung ist abrufbar unter Swiss Cycling Lizenzbegehren). Die Annahme der Unterstellung unter die Regelwerke von Swiss Cycling und der UCI erfolgt in diesem Fall explizit (vgl. Steiner, S. 428). Da die Teilnahme an Veranstaltungen der UCI, deren kontinentalen Konföderationen, der Mitgliedsverbände oder deren Mitgliedern nur mit der erforderlichen Lizenz zulässig ist (siehe nachstehend Rz. 27), ist die Bindung der Radsportler*innen für diesen Bereich durch Regelanerkennungsverträge zumindest in der Theorie sichergestellt.

[25]

Schliesslich ist auch die Unterstellung solcher Radsportler*innen möglich, die weder mit der erforderlichen Lizenz an den Veranstaltungen der genannten Organisator*innen teilnehmen noch durch eine lückenlose Satzungskette gebunden sind. Der Kommentar zum Anwendungsbereich der UCI Anti-Doping Regeln hält fest, «a licence is required to participate in the sport of cycling governed by the rules of the UCI and the National Federations […]. However, if a Person participates in the sport of cycling governed by the UCI without being holder of a licence as required, he will not escape application of the regulations, including these Anti-Doping Rules». (UCI Anti-Doping Rules, C. Scope of these Anti-Doping Rules (c)(i), S. 7). Während diese Regel an sich keine Unterstellung der Radsportler*innen bewirken kann, ist eine Unterstellung gestützt auf deren konkludente Regelanerkennung möglich. Grundsätzlich kann angenommen werden, dass die Teilnehmenden im Zeitpunkt der Anmeldung an eine entsprechende Veranstaltung wissen mussten, dass die Unterwerfung unter die Regeln der UCI für die Teilnahme vorausgesetzt wird (vgl. Steiner, S. 428.; siehe auch CAS 2009/A/1898, N 51-61).

III. Wettkampfregelungen

A. Teilnahmevoraussetzungen für Wettkämpfe

[26]

Die Teilnahme an Radsportveranstaltungen, die von der UCI, den kontinentalen Konföderationen der UCI, den Mitgliedsverbänden der UCI oder ihren Mitgliedern organisiert oder kontrolliert werden, ist nur für Inhaber*innen einer gültigen Lizenz zulässig (Lizenz für Fahrer*innen, siehe § 1.1.002 UCI Regulations Part 1/Swiss Cycling Reglement Teil 1).

[27]

Für die Ausstellung der Lizenz ist Swiss Cycling als nationaler Verband zuständig, wenn die antragsstellende Person zur Zeit der Antragstellung gemäß Schweizer Gesetzgebung den Hauptwohnsitz in der Schweiz hat (vgl. § 1.1.011 UCI Regulations Part 1/Swiss Cycling Reglement Teil 1). Vorausgesetzt wird grundsätzlich, dass die antragstellende Person sowohl Mitglied eines Clubs als auch von Swiss Cycling ist. Die Lizenz für Mitglieder eines Teams wird dann ausgestellt, wenn das Team offiziell bei Swiss Cycling oder der UCI angemeldet ist (§ 1.1.006 N Swiss Cycling Reglement Teil 1).

[28]

Weiter müssen Radfahrer*innen für die Teilnahme an Wettkämpfen des internationalen Kalenders eine UCI-ID haben (§ 1.1.034 bis UCI Regulations Part 1/Swiss Cycling Reglement Teil 1).

[29]

An den Rennen des internationalen Kalenders dürfen nur Fahrer*innen teilnehmen, die 17 Jahre oder älter sind und eine Lizenz für eine bestimmte internationale Kategorie erhalten haben (siehe § 1.1.035 f. UCI Regulations Part 1/Swiss Cycling Reglement Teil 1).

[30]

Für die Teilnahme an bestimmten Rennen des internationalen Kalenders ist zudem eine bestimmte Teamlizenz bzw. die Zugehörigkeit zum entsprechenden Team erforderlich. So können an den Rennen, die unter dem Namen UCI WorldTour organisiert werden, zu welchen auch die Tour de France oder der Giro d'Italia gehören, in erster Linie Radsportler teilnehmen, die einem Team mit UCI WorldTour-Lizenz angehören (§ 2.15.003 UCI Regulations Part 2). Radsportlerinnen benötigen hingegen eine UCI Women's WorldTour-Lizenz für die Teilnahme an Veranstaltungen des entsprechenden Kalenders, bspw. die Tour de France Femmes (§ 2.13.026 UCI Regulations Part 2). Insgesamt werden nur 18 UCI WorldTour-Lizenzen und 15 UCI Women's WorldTour-Lizenzen vergeben (§ 2.15.009 und § 2.13.032 UCI Regulations Part 2). Über deren Vergabe entscheidet die License Commission (§ 2.15.201 und § 2.13.031 UCI Regulations Part 2). Die Vergabekriterien sind finanzieller, administrativer und organisatorischer Natur. Wenn die Anzahl Bewerberteams, welche diese grundsätzlichen Kriterien erfüllen, grösser ist als die Anzahl verfügbaren Lizenzen, werden die Teams anhand des UCI World Ranking ausgewählt («sporting criterion») (§ 2.15.011 und § 2.15.011a-f UCI Regulations Part 2).

[31]

Schliesslich werden gesperrte Radsportler*innen nicht zu einem Wettkampf zugelassen. Dies gilt im Übrigen auch für die Zulassung als Zuschauer (§ 1.2.022 UCI Regulations Part 1/Swiss Cycling Reglement Teil 1).

[32]

Die Radsportler*innen werden zudem sanktioniert, wenn die an den Rennen verwendete Ausrüstung gewisse Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Reglemente der UCI sehen beispielsweise detaillierte Vorschriften an die zulässigen Materialien (§ 1.3.001 ff. UCI Regulations Part 1/Swiss Cycling Reglement Teil 1), das Fahrrad (§ 1.3.007 UCI Regulations Part 1/Swiss Cycling Reglement Teil 1) sowie die Bekleidung der Radsportler*innen vor (§ 1.3.026 ff. UCI Regulations Part 1/Swiss Cycling Reglement Teil 1).

B. Rennvorfälle (Race Incidents)

[33]

An Radsport-Veranstaltungen übernehmen sog. Kommissäre einzeln und/oder im Kollegium (sog. Commissaires’ Panel) die sportliche Leitung und achten darauf, dass die Veranstaltung entsprechend der geltenden Vorschriften durchgeführt wird (§ 1.1.047 und 1.1.048 UCI Regulations Part 1/Swiss Cycling Reglement Teil 1).

[34]

Die Kommissäre sind insbesondere zuständig für die Beurteilung und Ahndung der «Rennvorfälle» gemäss den für die verschiedenen Disziplinen geltenden Tabellen (§ 12.4.001 und 12.5.001 UCI Regulations Part 12). Zu den dort definierten Vorfällen gehören bei Strassenrennen z.B. «Fahrer ohne Helm am Start», was zu einer Startverweigerung führt, oder «Betrug», was beim Fahrer mit Busse von CHF 100-500 sowie bei Eintagesrennen zusätzlich mit Ausschluss oder Disqualifikation bzw. bei Rundfahrten mit Strafpunkten und Zeitstrafen bestraft wird. Die obere Grenze liegt bei Bussen für Fahrer wegen «Rennvorfällen» bei CHF 2000. Diese Höchststrafe für «Rennvorfälle» kann beispielsweise bei «gefährlichem oder gewalttätigem Verhalten» gegenüber anderen Fahrern ausgesprochen werden (§ 2.12.007 UCI Regulations Part 2/Swiss Cycling Reglement Teil 2).

[35]

Die von den Kommissären ausgesprochenen Strafen wegen «Rennvorfällen» können grundsätzlich nicht angefochten werden. Eine Ausnahme gilt für genau definierte, bestimmte Beträge übersteigende Bussen (§ 12.4.001 UCI Regulations Part 12). In diesen Ausnahmefällen kann innert 10 Tagen ein Rechtsmittel an die Disciplinary Commission erhoben werden (§ 12.4.001 und 12.5.004 UCI Regulations Part 12).

C. Meldungen und Konsequenzen von Regelverstössen

[36]

Neben der Pflicht der Kommissäre die Einhaltung der anwendbaren Regeln während Radsport-Veranstaltungen zu überwachen (siehe vorstehend Rz. 33), besteht gemäss § 12.2.012 UCI Regulations Part 12 eine Pflicht für sämtliche Personen, die den UCI Regulations Part 12 unterstehen, Verstösse gegen die UCI-Reglemente der UCI zu melden. Die Nichtbeachtung dieser Meldepflicht stellt selbst einen Verstoss dar (§ 12.2.012 UCI Regulations Part 12).

[37]

Sofern nicht ausdrücklich anders vorgesehen, ist die Disciplinary Commission der UCI für die Beurteilung und Ahndung von Verstössen gegen die UCI-Reglemente zuständig. Diese Zuständigkeit kann unabhängig davon ausgeübt werden, ob der mutmassliche Verstoss bereits vom Commissaires’ Panel als Rennvorfall sanktioniert wurde (§ 12.5.004 UCI Regulations Part 12). Siehe zur grundsätzlichen Zuständigkeit zur Ahndung von Rennvorfällen vorstehend Rz. 33 ff. In gewissen Ausnahmefällen ist die Disciplinary Commission zudem erstinstanzlich zuständig für Rennvorfälle (§ 12.5.004 UCI Regulations Part 12).

[38]

Nach Verfahrenseröffnung ernennt das Sekretariat der Disciplinary Commission eine*n Einzelrichter*in oder ein Dreiergremium (§ 12.6.002 UCI Regulations Part 12). Das Verfahren wird grundsätzlich schriftlich durchgeführt. Von sich aus oder auf Antrag einer Partei kann die Disciplinary Commission jedoch die Parteien zu einer Anhörung vorladen (§ 12.6.006 UCI Regulations Part 12).

[39]

Die Disciplinary Commission legt Art und Umfang der Disziplinarmassnahmen unter Berücksichtigung aller Umstände fest (§ 12.2.003 UCI Regulations Part 12). Der Massnahmenkatalog reicht von einer blossen Warnung bis zu einem dauerhaften Teilnahmeverbot an der von der UCI und/oder der nationalen Verbände organisierten Sportveranstaltungen (§ 12.2.002 UCI Regulations Part 12). Grundsätzlich trifft die Disciplinary Commission ihre Entscheidung auf der Grundlage der von den Parteien vorgelegten Informationen. Sie kann jedoch von sich aus weitere Ermittlungsmaßnahmen ergreifen (§ 12.6.007 UCI Regulations Part 12).

[40]

Auf der Ebene von Swiss Cycling werden Fachkommissionen eingesetzt, um die Reglemente zu überwachen und Entscheide in Streitfragen in Bezug auf reglementarische Belange zu treffen. In den Disziplinen Radquer, Hallenradsport und Trial sind die Fachkommissionen in Zusammenarbeit mit den Nationaltrainern zuständig (Swiss Cycling Reglement Teil 1, Allgemeine Bestimmungen Art. 3.3., S. 3). Swiss Cycling kann selber auch Sanktionen aussprechen. Diese Sanktionsgewalt wird jedoch selten ausgeübt.

D. Antidopingkontrollen

[41]

Swiss Cycling untersteht im Bereich Dopingbekämpfung dem Doping-Statut von Swiss Olympic (Doping-Statut) (Art. 59 Abs. 1 Swiss Cycling Statuten). Das Doping-Statut wurde in Umsetzung des World Anti-Doping Code (WADC) der World Anti-Doping Agentur (WADA) durch das Sportparlament von Swiss Olympic erlassen, zu der sich Swiss Olympic als sog. Signatory verpflichtet hat (siehe WADA - Code Signatories; zur Rechtsnatur der von den Signatories unterzeichneten Anerkennungsverträge siehe Hessert, Rechtsnatur und Wirkung). Zu den verschiedenen Tatbeständen siehe Art. 2.1 ff. Doping-Statut und zu den Konsequenzen und Sanktionierung eines Verstosses siehe Art. 9.1 ff., Art. 10.1 ff. und Art. 11.1 ff. Doping-Statut.

[42]

Swiss Sport Integrity ist die Aufgabe übertragen, mutmassliche Verstösse gegen das DopingStatut zu untersuchen, insbesondere durch die Durchführung von Dopingkontrollen, und agiert dabei als nationale Anti-Doping Organisation (NADO) (vgl. Art. 5.2 ff. Doping-Statut; Art. 59 Abs. 3 Swiss Cycling Statuten; vgl. Steiner, Sportverbandskommentar). Die Disziplinarkammer des Schweizer Sports beurteilt als Verbandsgericht auf Antrag von Swiss Sport Integrity mutmassliche Verstösse (Art. 12.1 Doping-Statut; Art. 59 Abs. 3 Swiss Cycling Statuten).

[43]

Die UCI ist ebenfalls Signatory des WADC (siehe WADA – Code Signatories) und für Antidopingkontrollen zuständig(vgl. Art. 5.2 f. UCI Anti-Doping Rules), wobei sie die Durchführung der Kontrollen an die International Testing Agency (ITA) in Lausanne, Schweiz, delegiert hat (siehe zu den Dienstleistungen, welche die ITA für die UCI im ausführt: ITA - Union Cycliste Internationale (UCI)).

1. Kontrollen während Sportveranstaltungen (Event Testing)

[44]

Gemäss Doping-Statut und den UCI Anti-Doping Rules sind die Zuständigkeiten zwischen den NADOs und der UCI für Kontrollen während der Dauer einer bestimmten Sportveranstaltung (sowie an der Veranstaltungsstätte) klar aufgeteilt (sog. Event Testing; Art. 5.3 Swiss Cycling Statuten; Art. 5.3.1 UCI Anti-Doping Rules).

[45]

Bei nationalen Radsport-Veranstaltungen in der Schweiz ist primär Swiss Sport Integrity für die Entnahme von Dopingproben zuständig (vgl. Art. 5.3.1 Doping-Statut; vgl. Art. 5.3.4 UCI Anti-Doping Rules). An internationalen Veranstaltungen der UCI (UCI International Events) ist hingegen die UCI bzw. die ITA (im Auftrag der UCI) befugt, die Kontrollen durchzuführen (vgl. Art. 5.3.1 Doping-Statut; Art. 5.3.2 UCI UCI Anti-Doping Rules). Mit Erlaubnis der betreffenden NADO bzw. von Swiss Sport Integrity kann die UCI bzw. die ITA jedoch auch an nationalen Veranstaltungen in der Schweiz Kontrollen durchführen (vgl. Art. 5.3.2 Doping-Statut; Art. 5.3.4 UCI Anti-Doping Rules). Ebenso kann eine NADO bzw. Swiss Sport Integrity, um Erlaubnis ersuchen, an einer internationalen Veranstaltung Kontrollen durchzuführen (vgl. Art. 5.3.2 Doping-Statut; Art. 5.3.3 UCI Anti-Doping Rules).

2. Generelle Zuständigkeit für Kontrollen (Authority to Test)

[46]

Ausserhalb der Kontrollen während Sportveranstaltungen können die Zuständigkeiten jedoch überlappen (vgl. Weber, S. 194; vgl. Rigozzi/Viret/Wisnosky, S. 29). In diesem Bereich erklärt sich die UCI für sog. International-Level Riders, d.h. von Radfahrenden, welche dem UCI Registered Testing Pool oder dem UCI Testing Pool angehören, zuständig (UCI Anti-Doping Rules, Introduction, S. 8). Gemäss Art. 5.2.1 Doping-Statut bezieht sich die Kontrollbefugnis von Swiss Sport Integrity auf sämtliche Personen, die einem Mitgliedsverband von Swiss Olympic oder einem letzteren angeschlossenen Verband, Verein oder Club angehören oder von einem solchen lizensiert sind. Gehören Radfahrende beiden so definierten Testing Pools an, überschneiden sich die Zuständigkeiten von UCI und Swiss Sport Integrity.

3. Umfang der Zuständigkeit

[47]

Wurde eine Probenentnahme von Swiss Sport Integrity abgenommen, fällt das daran anschliessende Resultatmanagement grundsätzlich ebenfalls in die Zuständigkeit der NADO (Art. 7.1.1. Doping-Statut). Swiss Sport Integrity fällt einen Entscheid im Resultatmanagement, wenn die Verletzung einer Anti-Doping Bestimmung festgestellt wird, sofern der Sachverhalt eingestanden oder anderweitig ausreichend geklärt ist und gewisse weitere Voraussetzungen gegeben sind (siehe Art. 7.5.1 Doping-Statut und Art. 7.1 Ausführungsbestimmungen zum Resultatmanagement (ABRM); siehe hierzu den Beitrag von Steiner, Rz. 5 ff.). Sind die Voraussetzungen für einen Entscheid durch Swiss Sport Integrity nicht erfüllt, beurteilt die Disziplinarkammer des Schweizer Sports den Verstoss (Art. 7.3 ABRM; Art. 12 Abs. 1 Doping-Statut; siehe zum Verfahren vor der Disziplinarkammer den Beitrag von Steiner, Rz. 9 ff.).

[48]

Erfolgte die Kontrolle hingegen durch die UCI bzw. die ITA, ist die UCI für das Resultatmanagement zuständig (siehe Art. 7.1.1 UCI Anti-Doping Rules). Ist die UCI davon überzeugt, dass ein Verstoss gegen die Anti-Doping Bestimmungen vorliegt, erhebt sie Anklage im sog. Letter of Charge an die betroffene Person (Art. 7.4 UCI Anti-Doping Rules; Art. 7.1 UCI RMR). Für den Fall, dass die angeklagte Person die vorgeschlagenen Konsequenzen der Regelverletzung nicht akzeptiert, wird ihm/ihr eine Frist von nicht länger als 20 Tagen angesetzt, um diese schriftlich anzufechten (siehe Art. 7.1 ABRM). Wird innert dieser Frist Einsprache erhoben, wird der Fall in der Regel an das Anti-Doping Tribunal verwiesen (siehe Art. 7.1 UCI RMR und Art. 8 UCI Anti-Doping Rules), welches nach Anhörung der Angelegenheit gemäss seiner Verfahrensordnung (UCI Anti-Doping Tribunal Procedural Rules) ein Urteil fällt (Art. 8.3.3 UCI Anti-Doping Rules).

IV. Ethikverstösse

[49]

Swiss Cycling untersteht dem Ethik-Statut des Schweizer Sports (Ethik-Statut) (Art. 59 Abs. 2 Swiss Cycling Statuten) (vgl. hierzu auch Haas/Strub, S. 147 ff.; Netzle). Neben Ethikverstössen, worunter u.a. Misshandlungen i.S.v. Diskriminierung, die Verletzung der psychischen, physischen und sexuellen Integrität, der Missbrauch einer Funktion sowie unsportliches Verhalten fallen, werden auch sog. Missstände sanktioniert (Art. 2 und 3 Ethik-Statut). Als Missstand gilt gemäss Ethik-Statut «eine Kultur, sowie das Bestehen oder Fehlen von Strukturen und Prozessen innerhalb einer Sportorganisation, welche die Umsetzung dieses Ethik-Statuts behindern, Verstösse gegen dieses Ethik-Statut begünstigen oder deren Erkennung oder Verhinderung erschweren können» (Art. 3 Abs. 1 Ethik-Statut).

[50]

Die Zuständigkeit zur Ahndung von Verstössen gegen das Ethik-Statut sind Swiss Sport Integrity und der Disziplinarkammer des Schweizer Sports übertragen (Art. 5.1 ff. Ethik-Statut; Art. 59 Abs. 2 Swiss Cycling Statuten). Zum Verfahren siehe Art. 5.1 ff. Ethik-Statut, zu den möglichen Konsequenzen von Verstössen siehe Art. 6.1 ff. Ethik-Statut und zum Rechtsmittelweg siehe nachfolgend Rz. 69 f.

[51]

Bei Verstössen gegen das Ethik-Statut trifft diesem unterstellte Personen mit einer besonderen Fürsorge- und Aufsichtsfunktion (z.B. Trainer*innen oder Betreuer*innen) eine Meldepflicht (Art. 4.3 Ethik-Statut). Dieselben Personen sind unter Umständen zur Mitwirkung bei Untersuchungen von Ethikverstössen oder Missständen verpflichtet. (Art. 4.4 Abs. 1 Ethik-Statut). Eine zur Mitwirkung verpflichtete Person muss jedoch keine Auskünfte geben, mit welcher sie sich selbst belastet (Art. 4.4 Abs. 2 Ethik-Statut).

[52]

Das Pendant zum Ethik-Statut auf der Ebene der UCI ist der Code of Ethics, gemäss welchem Verhaltensweisens sanktioniert werden, die der Integrität und dem Ruf des Radsports schaden (Art. 2 UCI Code of Ethics). Siehe zu den einzelnen Tatbeständen Art. 5 ff. UCI Code of Ethics.

[53]

Verstösse gegen den Code of Ethics werden von der Ethics Commission der UCI geahndet (Art. 17 Abs. 4 UCI Code of Ethics). Zum Verfahren vor der Ethics Commission siehe Art. 21 ff. UCI Code of Ethics, zu den möglichen Sanktionen siehe Art. 34.2 UCI Code of Ethics und zum Rechtsmittelweg siehe nachstehend Rz. 69.

[54]

Meldepflichten haben dem Code of Ethics unterstellte Personen in Bezug auf Verstösse gegen Art. 2 des Appendix 1 Protection of Physical and Mental Integrity – Sexual Harassment and Abuse (UCI Code of Ethics Appendix 1) (Art. 3.1 UCI Code of Ethics Appendix 1) sowie gegen Art. 2 des Appendix 2 Manipulation of Cycling Events (UCI Code of Ethics Appendix 2) (Art. 3 UCI Code of Ethics Appendix 2).

[55]

Die dem Code of Ethics unterstellten Personen trifft zudem in Bezug auf sämtliche Verstösse gegen den Code of Ethics die (sanktionsbewehrte) Pflicht zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen (Art. 22.1 UCI Code of Ethics). Eine Verletzung dieser Mitwirkungspflicht kann selbst als Verstoss gegen den Code of Ethics gelten (Art. 22.3 UCI Code of Ethics). Im Gegensatz zum Ethik-Statut sieht der UCI Code of Ethics keine Beschränkung der Pflicht vor in Bezug auf Personen, gegen die sich das Verfahren unmittelbar richtet oder richten könnte (siehe auch Diener/Muresan, S. 359). Es stellt sich daher die Frage, inwiefern die Mitwirkungspflicht mit Art. 6 Abs. 1 EMRK und dem Grundsatz nemo tenetur vereinbar ist, insbesondere wenn das fragliche Verhalten auch aus strafrechtlicher Sicht relevant sein könnte (siehe hierzu Diener/Muresan, S. 361 ff.).

V. Rechtsmittelwege innerhalb des Radsports

A. Streitigkeiten zwischen Verband und Regelunterworfenen

1. Swiss Cycling und Regelunterworfene

[56]

Grundsätzlich ist für Streitigkeiten zwischen Swiss Cycling und dessen Mitglieder, die sich aus den Statuten und Reglementen von Swiss Cycling ergeben, erstinstanzlich der/die Einzelrichter*in des Verbands zuständig (Art. 57 Abs. 1 Swiss Cycling Statuten). Entscheide der Einzelrichter*in können innert 10 Tagen an das Rekursgericht von Swiss Cycling weitergezogen werden (Art. 57 Abs. 3 Swiss Cycling Statuten). Dessen Entscheid kann innert 21 Tagen beim CAS angefochten werden (Art. 58 Abs. 4 Swiss Cycling Statuten).

[57]

Ein etwas abweichender Rechtsmittelweg gilt jedoch bei Ablehnung eines Antrags auf Lizenzausstellung durch Swiss Cycling. Im Streitfall entscheidet gemäss Reglement von Swiss Cycling in erster Instanz die Fachkommission der entsprechenden Sportart (§ 1.1.015 N Swiss Cycling Reglement Teil 1; z.B. Strasse, MTB etc.; siehe Swiss Cycling Fachkommissionen). In zweiter Instanz entscheidet die Disziplinarkommission von Swiss Cycling (§ 1.1.015 N Swiss Cycling Reglement Teil 1). Swiss Cycling hat die dritte Instanz auf die UCI ausgelagert. Unter Angabe bestimmter Rügegründe ist gemäss Reglement innert 30 Tagen eine Berufung gegen die Verweigerung der Lizenz an das Arbitral Board der UCI möglich, welches gemäss Reglement endgültig entscheidet (§ 1.1.017 Swiss Cycling Reglement Teil 1). Obwohl der Entscheid als «endgültig» bezeichnet wird, kann der Rechtsmittelweg nicht durch den Entscheid des Arbitral Board enden. Denn gemäss dem zwingenden Art. 75 ZGB muss ein vereinsinterner Beschluss anfechtbar sein, wenn dieser gegen Gesetz oder Statuten verstösst und vereinsintern nicht mehr weiterziehbar ist (siehe BSK ZGB I-Scherrer/Brägger, Art. 75 N 1 und 7; siehe BK ZGB-Riemer, Art. 75 N 16). Da Entscheide des Arbitral Board grundsätzlich beim CAS angefochten werden können (§ 12.7.036 UCI Regulations Part 12), gilt dies wohl auch in Bezug auf Verweigerung von Lizenzen.

[58]

Siehe zum Rechtsmittelweg bei sog. Rennvorfällen vorstehend Rz. 35.

2. UCI und Regelunterworfene

[59]

Nach Art. 72 UCI Statuten können, «in cases stipulated by the present Constitution or the regulations established by the Management Committee», sportliche, disziplinarische und administrative Entscheidungen, die in Übereinstimmung mit den Regeln der UCI getroffen wurden, beim CAS angefochten werden. Dies gilt ebenso für Entscheidungen des Congress oder des Management Committee (Art. 72 UCI Statuten). Gemäss Art. R49 CAS Code of Sports-related Arbitration (CAS-Code) gilt eine 21-tägige Frist.

[60]

Bezüglich Entscheidungen der Disciplinary Commission der UCI ist dies in § 12.5.013 f. UCI Regulations Part 12 festgehalten.

[61]

Entscheide der License Commission der UCI insbesondere über die Vergabe der UCI WorldTour-Lizenz oder der UCI Women's WorldTour-Lizenz können, soweit nichts anderes vorgesehen ist, innert 15 Tagen beim CAS angefochten werden (§ 2.13.058, § 2.15.214 und § 2.15.217 UCI Regulations Part 2).

[62]

Siehe zum Rechtsmittelweg bei sog. Rennvorfällen vorstehend Rz. 35.

B. Streitigkeiten zwischen Regelunterworfenen

[63]

Für Streitigkeiten zwischen Mitgliedern von Swiss Cycling, die sich aus den Statuten und Reglementen ergeben, sehen die Statuten von Swiss Cycling die erstinstanzliche Beurteilung durch die Einzelrichter*in von Swiss Cycling vor (Art. 57 Abs. 1 Swiss Cycling Statuten). Dessen Entscheide sind innert 10 Tagen beim Rekursgericht von Swiss Cycling anfechtbar (Art. 57 Abs. 3 Swiss Cycling Statuten).

[64]

Entscheide des Rekursgerichts können innert 21 Tagen an den CAS weitergezogen werden (Art. 58 Abs. 4 Swiss Cycling Statuten).

[65]

Streitigkeiten zwischen den Regelwerken der UCI unterstehenden Personen über deren Anwendung und Auslegung werden durch das Arbitral Board der UCI entschieden (§ 12.7.001 und 12.7.008 a) UCI Regulations Part 12).

[66]

Zudem ist das Arbitral Board zuständig zur Beurteilung vertraglicher Streitigkeiten zwischen diesen Personen, soweit sie den Radsport betreffen und die Parteien nicht ausdrücklich ein anderes System zur Beilegung vereinbart haben. Dazu gehören insbesondere Verträge zwischen Fahrern und Teams (§ 12.7.008 b) UCI Regulations Part 12).

[67]

Entscheide des Arbitral Board können innert 30 Tagen beim CAS angefochten werden (§ 12.7.036 UCI Regulations Part 12).

C. Ethikverstösse

[68]

Entscheidungen der Disziplinarkammer des Schweizer Sports über Ethikverstösse gemäss Ethik-Statut (siehe vorstehend Rz. 50) können innert 21 Tagen beim CAS angefochten werden (Art. 5.8 Abs. 1 Ethik-Statut und Art. 59 Abs. 3 Swiss Cycling Statuten). Mitte 2024 wird die Disziplinarkammer in ein echtes Schiedsgericht umgewandelt (Entscheid des Sportparlaments 2023). Dessen Entscheide in Ethikfragen können dann – anders als in Dopingsachen – nicht an den CAS weitergezogen werden, sondern nur nach Art. 389 ZPO ans Bundesgericht weitergezogen und im Rahmen von Art. 393 ZPO eingeschränkt überprüft werden.

[69]

Entscheidungen der Ethics Commission der UCI über Verstösse gegen den Code of Ethics sind beim CAS anfechtbar (siehe vorstehend Rz. 53) (Art. 35 UCI Code of Ethics).

D. Anti-Doping

[70]

Für Dopingkontrollen im Schweizer Radsport sind entweder Swiss Sport Integrity oder die UCI zuständig.

[71]

Im Zuständigkeitsbereich von Swiss Sport Integrity erhebt grundsätzlich Swiss Sport Integrity Anklage bei der Disziplinarkammer des Schweizer Sports, wenn ein Dopingverdacht nicht entkräftet werden kann. Darauf fällt die Disziplinarkammer einen Entscheid (siehe die Beiträge von Brühlmann/Schnydrig und Steiner, Sportverbandskommentar sowie vorstehend Rz. 47). Dieser kann innert 21 Tagen beim CAS angefochten werden (Art.  13.1 lit. b und Art. 13.6 Doping-Statut).

[72]

Ausnahmsweise, sofern der Sachverhalt eingestanden oder anderweitig ausreichend geklärt ist und gewisse weitere Voraussetzungen gegeben sind, fällt Swiss Sport Integrity einen Entscheid im Resultatmanagement (siehe vorstehend Rz. 47). Dieser Entscheid kann bei der Disziplinarkammer des Schweizer Sports angefochten werden (Art. 13.1 lit. a Doping-Statut).

[73]

Wird im Resultatmanagementverfahren der UCI einen Verstoss festgestellt, kann die betroffene Person innert der von der UCI angesetzten Frist (welche nicht länger als 20 Tages sein darf) schriftlich Einsprache erheben oder eine Anhörung vor dem Anti-Doping Tribunal verlangen (siehe Art. 7.1 UCI RMR). Erhebt die betroffene Person Einsprache bzw. verlangt eine Anhörung, wird die Angelegenheit an das UCI Anti-Doping Tribunal überwiesen (Art. 8 UCI Anti-Doping Rules).

[74]

Dessen Entscheid ist grundsätzlich innert 30 Tagen beim CAS anfechtbar (Art. 8.3.3 und Art. 13.2.5.1 UCI Anti-Doping Rules).

VI. Spezifische Fragestellungen: Kasuistik

[75]

Die in den letzten Jahren getroffenen und öffentlich verfügbaren Entscheide des CAS im Bereich Radsport betreffen mehrheitlich die Verletzung von Anti-Doping Regeln und sind daher nicht radsportspezifisch. Im Folgenden werden drei Ausnahmefälle dargestellt, welche die Anwendung von Reglementen der UCI und daher spezifisch für den Radsport geltende Regeln betreffen (siehe nachstehend Rz. 76-79). Zudem erfolgt die Darstellung eines neueren Bundesgerichtsentscheids, welcher sich mit der strafrechtlichen Haftung eines Radrennfahrers beschäftigt (siehe nachstehend Rz. 90-95).

A. CAS 2018/A/6001 Bruce Bird v. Union Cycliste Internationale (UCI) (Unterscheidung zwischen Eligibility und Disciplinary Rules)

[76]

Der Berufungskläger im oben genannten Verfahren vor dem CAS nahm zwischen dem 9. August and 2. September 2018 an den UCI Gran Fondo World Championships in Varese teil, wo er zwei Rennen in seiner Alterskategorie gewann und mit dem kanadischen Team den zweiten Platz in der Staffel belegte. Nach dem Event teilte ihm die UCI mit, seine Ergebnisse würden disqualifiziert, weil er vor der Teilnahme an den UCI Gran Fondo World Championships bereits einen UCI Punkt erzielt hatte. Die UCI hätte die Unzulässigkeit seiner Teilnahme erst nach dem Ende der Veranstaltung erkannt. Nach der Mitteilung wurde dem Berufungskläger ein Brief mit dem entsprechenden Inhalt des Sports Director der UCI zugestellt (siehe Rz. 4 ff.).

[77]

Im Verfahren vor dem CAS ging es unter anderem um die Frage, ob es sich bei § 15.5.001 (neu § 15.5.011) UCI Regulations Part 15, auf dessen Grundlage die UCI die Disqualifikation entschied, um eine Eligibility oder um eine Disciplinary Rule handelte und ob daher die UCI Regulations Part 12 («Discipline and Procedures») zur Anwendung kommen. Nach § 15.5.001 (neu § 15.5.011) UCI Regulations Part 15 können Lizenzinhaber, welche im gleichen Jahr UCI Punkte erzielt haben, nicht an der UCI Gran Fondo World Championships teilnehmen. Die UCI entschied gestützt auf diese Regel die Disqualifikation des Berufungsklägers, da dieser im Juni 2018 an den Global Relay Canadian Road Championship einen UCI Punkt erzielt hatte (siehe Rz. 4 ff.).

[78]

Das Schiedsgericht kam zum Schluss, dass die UCI die Disqualifikation des Berufungskläger aufgrund von § 15.5.001 (neu § 15.5.011) UCI Regulations Part 15 zu Recht entschieden hatte. Zudem hielt es fest, die Entscheidung der UCI sei nicht disziplinarrechtlicher Natur (Rz. 49).

[79]

Das Schiedsgericht wies auf die Rechtsprechung des CAS zur Unterscheidung von Eligibility und Disciplinary Rules hin: «[Q]ualifying or eligibility rules are those that serve to facilitate the organization of an event and to ensure that the athlete meets the performance ability requirement for the type of competition in question […]. [A] common point in qualifying (eligibility) rules is that they do not sanction undesirable behaviour by athletes. Qualifying rules define certain attributes required of athletes desiring to be eligible to compete and certain formalities that must be met in order to compete. […] In contrast to qualifying rules are the rules that bar an athlete from participating and taking part in a competition due to prior undesirable behaviour on the part of the athlete. Such a rule, whose objective is to sanction the athlete’s prior behaviour by barring participation in the event because of that behaviour, imposes a sanction» (Rz. 50).

[80]

Daraus ergebe sich, dass UCI Regulations Part 1 («Discipline and Procedures») nichts mit dem Fall des Berufungsklägers zu tun habe. Der Berufungskläger habe sich nicht eines Verstosses schuldig gemacht, der einem Verstoss gegen UCI Regulations Part 12 («Discipline and Procedures») entspricht und habe keinen Anspruch auf die Anwendung der darin enthaltenen Verfahrensgarantien (Rz. 51 f.). Insbesondere vermöge es an der Qualifikation als Eligibility Rule nichts ändern, dass die Disqualifikation erst nach dem Event ausgesprochen wurde. Die Ineligibility des Berufungsklägers sei eine konstante Tatsache, die vor, während und nach dem Ereignis vorgelegen habe. Eine Disqualifikation könne daher auch nach Abschluss des betreffenden Ereignisses erfolgen (siehe Rz. 51-58).

B. CAS 2013/A/3057 Kolesarski Klub Perutnina Ptuj v. The 2011 Tour of Hainan Organising Committee (Berufungsberechtigung des Paying Agents und Verpflichtung zur Organisation von Übergepäck)

[81]

Im Oktober 2011 zog das Team Perutnina Ptuj seine Teilnahme an der 2011 Tour of Hainan zurück, da das Organisationskommitee des Rennens nicht Übergepäck für den Transport der Fahrräder organisiert und im Voraus bezahlt hatte. Das Organisationskommitee wandte sich darauf an das UCI Arbitral Board unter Berufung auf § 1.2.053 UCI Regulations Part 1, wonach der Unterzeichner*in der Anmeldung und das Team, das er vertritt, gemeinsam für die Zahlung einer Entschädigung verantwortlich sind, wenn das UCI Team oder der/die Fahrer*in eines solchen Teams nicht bei einem Rennen antritt.

[82]

Das Arbitral Board verurteilte das Team Perutnina Ptuj mit Entscheid vom 6. Dezember 2012, dem Organisationskommitee CNY 338‘316 zu bezahlen. Am 4. Januar 2013 erhob der Kolesarski Klub Perutnina Ptuj, der finanziell Verantwortliche (Paying Agent) des Teams, welches sich zu diesem Zeitpunkt aufgelöst hatte, gegen den Entscheid des Arbitral Board Berufung an den CAS.

[83]

Vor dem CAS stellte sich zunächst die Frage, ob der Paying Agent eines Teams berechtigt ist, Berufung zu erheben. Dies bejahte das Schiedsgericht. Einerseits sei nach den UCI Regulations der Paying Agent Teil des Teams (siehe § 2.16.001 UCI Regulations), so dass ein Schiedsspruch gegen das Team auch ein Schiedsspruch gegen den Paying Agent sei. Ausserdem sei es die Aufgabe des Paying Agent, das Team «for all purposes as regards the UCI regulations» zu vertreten (siehe § 2.16.008 UCI Regulations), was bei objektiver Auslegung die Erhebung einer Berufung nach den UCI Regulations miteinschliesse (Rz. 2.4-2.8).

[84]

Materiell ging es unter anderem um die Frage, ob es Teil der Vereinbarung zwischen dem Team und dem Organisationskommitee war, dass das Organisationskommitee angemessenes Übergepäck organisiert, damit das Team die Fahrräder nach China transportieren konnte. Das Schiedsgericht entschied, dass wenn der zwischen einem Team und dem Organisationskomitee eines Rennens geschlossene Vertrag festlegt, dass das Organisationskomitee «[t]he booking of round-trip airline tickets» übernimmt, davon auszugehen sei, dass die Verpflichtungen des Organisationskomitees die Verpflichtung umfasst, angemessenes Übergepäck zu organisieren und im Voraus zu bezahlen. Dies sei insbesondere der Fall, wenn sich das Organisationskomitee verpflichtet hat, alle Kosten für die Teilnahme des Teams zu übernehmen: nicht nur Flugticket, sondern auch Unterkunft, Transport sowie Autos und Transporter für das Team (Rz. 4.7-.4.9)

[85]

Das Schiedsgericht kam zum Schluss, dass das Versäumnis des Organisationskomitees, Übergepäck zu organisieren, einen Verstoss gegen eine wesentliche Vertragspflicht sei, das Team berechtigt war, den Vertrag zu kündigen und die Entscheidung des Arbitral Board vom 6. Dezember 2012 daher aufzuheben ist (Rz. 5.7 ff.).

C. CAS 2012/A/3031 Katusha Management SA v. Union Cycliste Internationale (UCI) (Berufungsverfahren gegen eine Entscheidung der License Commission)

[86]

Katusha Management SA, die Berufungsklägerin, war die finanziell Verantwortliche (Paying Agent) des russischen ProTeam Katusha. Am 18. November 2011 erhielt das Team eine WorldTour-Lizenz für vier Jahre, d.h. gültig vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2015. Am 13. September 2012 reichte die Berufungsklägerin das Registration Form für die Saison 2013 ein. Die UCI informierte die Berufungsklägerin am 2. November 2012, dass es ihr nicht möglich sei, das Team für die Saison 2013 zu registrieren und dass der Fall der License Commission vorgelegt werde. Am 10. Dezember 2012 informierte die License Commission die Berufungsklägerin über ihre Entscheidung «to refuse Katusha's registration for 2013», welche die Berufungsklägerin im oben genannten Verfahren anfocht (Rz. 1-23).

[87]

Im Verfahren ging es zunächst um die Kognition des CAS. Nach dem nicht mehr in Kraft stehenden § 2.15.239 UCI Regulations Part 2, sollte der CAS nur überprüfen, ob die angefochtene Entscheidung der License Commission willkürlich ist. Fraglich war, ob dies von Art. R57 CAS-Code, wonach das Schiedsgericht den Sachverhalt und die Rechtslage in vollem Umfang zu überprüfen kann, in unzulässiger Weise abwich (Rz. 58-63). Die aktuell anwendbaren Verfahrensregeln für Berufungen gegen Entscheide der License Commission sehen die genannte Beschränkung der Kognition jedoch nicht mehr vor, sondern verweisen für die Prüfungsbefugnis des CAS auf Art. R57 CAS-Code. Die diesbezüglichen Erwägungen des Schiedsgerichts sind daher, jedenfalls für das Rechtsmittelverfahren gegen Entscheide der License Commission, nicht mehr relevant.

[88]

Des Weiteren klärte das Schiedsgericht unter anderem die Frage, welche Beweismittel ihm in einem Berufungsverfahren gegen einen Entscheid der License Commission vorgelegt werden können. § 2.15.40 (neu leicht modifiziert in § 2.15.224) UCI Regulations Part 2 enthalte zwei Regeln. Die erste Regel gebe vor, dass der CAS über die Berufung nur gestützt auf «the license application documentation as it stands at the moment when the license commission has taken its decision» befinden kann. «[N]o subsequent additions to this documentation» ist erlaubt. Nach der zweiten Regel könne der Berufungskläger vor dem CAS nur «documents, statements and written evidence» vorbringen, die sich auf dieselben Elemente beziehen wie (i) die Elemente, die sich in den Akten der License Commission befinden oder (ii) von der License Commission in ihrer Entscheidung berücksichtigt wurden (Rz. 74).

[89]

Gestützt auf diese Regeln könne ein/eine Berufungskläger*in zwar nicht, ein in der Registration Procedure einzureichendes Dokument nachreichen, sondern hat das Schiedsgericht die «license application documentation» zu berücksichtigen «as it stands at the moment when the license commission has taken its decision». Es sei jedoch möglich, andere Beweise für die von der License Commission berücksichtigten Umständen vorzulegen und geltend zu machen (Rz. 75 f.).

D. BGer 6B_261/2018, 6B_283/2018 und 6B_284/2018 vom 28. Januar 2019 (radsportspezifisches Grundrisiko)

[90]

Im oben genannten Bundesgerichtsentscheid geht es um einen tragischen Unfall an den Radsporttagen Gippingen 2014. An einem Amateurrennen im Rahmen dieses Anlasses überholte Fahrer X. den Fahrer I. in der Abfahrt bei einer Fahrtgeschwindigkeit von 70 km/h. Dabei kam es zu einer Berührung zwischen X. und I. und infolgedessen zum Sturz von I., G.H. sowie weiteren Fahrern. G.H. verstarb schliesslich infolge eines Schädel-Hirn-Traumas. Die anderen Fahrer erlitten körperliche Verletzungen. Im oben genannten Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht ging es um den Vorwurf der fahrlässigen Tötung (Art. 117 StGB) sowie der mehrfachen fahrlässigen Körperverletzung (Art. 125 Abs. 1 StGB) gegenüber X.

[91]

Das Bundesgericht erinnerte daran, dass der Vorwurf der Fahrlässigkeit unter anderem auf den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden kann, wonach derjenige, der einen Gefahrenbereich schafft, die davon ausgehenden Gefahren zu kontrollieren und zu verhindern hat, dass dadurch Schädigungen fremder Rechtsgüter entstehen. Grenze dieser Sicherungspflicht bilde die Eigenverantwortung von Sportler*innen. Es müsse einer Person offenstehen, eine bestimmte Sportart zu betreiben und in diesem Zusammenhang kalkulierbare Risiken einzugehen. Jede Sportart berge in sich ein unterschiedlich hohes sportartspezifischen Grundrisiko. Realisiere sich lediglich dieses Grundrisiko, sei von der strafrechtlichen Ahndung abzusehen (E. 5.1).

[92]

Sodann verneinte das Bundesgericht die analoge Anwendung der Vorschriften des Strassenverkehrsrechts und insbesondere von Art. 35 Abs. 3 SVG, welcher für die überholende Person eine besondere Rücksichtsnahmepflicht statuiert, zur Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt. Ein Radrennen unterscheide sich wesentlich von den sonst im Strassenverkehr üblichen Verkehrsvorgängen. Es werde den Gegebenheiten des Radrennsports nicht gerecht, von einem Radrennteilnehmenden im Rahmen eines Überholmanövers dieselbe besondere Rücksichtnahme wie von regulären Verkehrsteilnehmenden zu verlangen (E. 5.2).

[93]

Hingegen seien die im Reglement von Swiss Cycling statuierten Verhaltenspflichten ein Ausgangspunkt für die Prüfung der Frage nach dem Mass der im Einzelfall zu beachtenden Sorgfalt. Das Bundesgericht verweist auf § 1.2.079 Swiss Cycling Reglement Teil, welcher unter anderem festhält, die Fahrer hätten von jedem Verhalten, das anstössig sei und andere gefährde, Abstand zu nehmen. Die im Reglement allgemein gehaltenen Verhaltenspflichten seien, unter Berücksichtigung der sportartspezifischen Usanzen im Wettkampf zu konkretisieren (E. 5.3.1 f.).

[94]

Unter Berücksichtigung dieser Usanzen kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass Berührungen selbst bei hohen Tempi zum sportartspezifischen Risiko gehören. Auch mit der Berührung während des konkret zu beurteilenden Überholmanövers habe der Beschwerdegegner kein sportartspezifisches Risiko überschritten. Das Überholmanöver sei weder aussergewöhnlich gewesen noch habe es ein für die Radrennteilnehmer*innen nicht mehr kalkulierbares Risiko geschaffen. Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass das Überholmanöver, welches zum tragischen Sturz mit Todesfolge führte, ein sportartspezifisches nicht auszuschliessendes Risiko war, das einer strafrechtlichen Ahndung entgegensteht (E. 5.4).

[95]

Die Beurteilung durch das Bundesgericht grenzt somit das radsportspezifische Grundrisiko etwas weiter ein. Diese Eingrenzung kann nicht nur für eine strafrechtliche, sondern auch eine zivilrechtliche Haftung relevant sein. Das Urteil weist zudem darauf hin, dass obwohl die staatlichen Anspruchsgrundlagen die Haftungsvoraussetzungen festlegen, es grundsätzlich die privatrechtlichen Sportregeln sind, welche die sportartspezifischen Eigenheiten beschreiben und den Bereich des erlaubten Risikos indizieren (siehe Thaler, S. 393).

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