Materiellrechtliche Aspekte der privatrechtlichen Dopingbekämpfung in der Schweiz

Literatur

Brägger Rafael, Unihockey, in: Schneuwly Anne Mirjam/Strub Yael Nadja/Koller Trunz Mirjam (Hrsg.), Sportverbandskommentar; Cisneros Ben, Strict Liability, in: Rigozzi Antonio et al. (Hrsg.), Jus Mundi Wiki Notes: International Sports Law and Arbitration; Contat Laurent/Pamberg Christoph/Pfister Stefan/Steiner Marco, Dopingbekämpfung durch Staat und Private in der Schweiz, Causa Sport 2016, S. 159 ff.; Cox Thomas, The International War Against Doping: Limiting the Collateral Damage from Strict Liability, in: 47 Vanderbilt Law Review 295 (2021); Du Toit Niel, Strict Liability and Sports Doping – What Constitutes a Doping Violations and What Is the Effect Thereof on the Team?, The International Sports Law Journal 3-4/2011, S. 163 f.; Haas Ulrich, The Revision of The World Anti-Doping Code 2021, International Sports Law Review (3):25-37/2020; Haas Ulrich/Strub Yael, Entwicklungen im Sportrecht | Le point sur le droit du sport, SJZ 118/2022, S. 121 ff.; Humbel Claude/Schneuwly Anne Mirjam, Gesellschaftsformen im Sportorganisationsrecht, in: Schneuwly Anne Mirjam/Strub Yael Nadja/Koller Trunz Mirjam (Hrsg.), Sportverbandskommentar; McLin Alex/Oldridge Molly, Gymnastics, in: Schneuwly Anne Mirjam/Strub Yael Nadja/Koller Trunz Mirjam (Hrsg.), Sportverbandskommentar; Mortsiefer Lars, Revision des Welt Anti-Doping Code (WADC2021) – Ein Überblick, SpuRt 1/2020, S. 10 ff.; Rigozzi Antonio/Haas Ulrich/Wisnosky Emily/Viret Marjolaine, Breaking down the process for determining a basic sanction under the 2015 World Anti-Doping Code, International Sports Law Journal 15/2015, S. 3-48; Schaller Nicola, Rechtmässigkeit der Informationsbearbeitung durch Whereabouts im Spitzensport, in: Thomas Sutter-Somm (Hrsg.), Impulse zur praxisorientierten Rechtswissenschaft, 82, Zürich 2023; Schnydrig Hanjo/Koch Patrick, The prosecution of Doping Offences in Swiss Practice, in: Ege Gian et al. (Hrsg.), Legal Responses to Doping, Zürich 2023, S. 65 ff.; Schnydrig Hanjo/Steiner Marco, Doping-Statut 2021 – Kurzkommentierung wichtiger Änderungen, Causa Sport 2021, S. 65 ff.; Shi Sherry, Strict Liability: Controversies over Anti-Doping Laws in International Sport, Berkley Journal of International Law, 02.03.2022; Steiner Marco, Verfahrensrechtliche Aspekte der privatrechtlichen Dopingbekämpfung in der Schweiz in: Schneuwly Anne Mirjam/Strub Yael Nadja/Koller Trunz Mirjam (Hrsg.), Sportverbandskommentar; Sugiyama Shoichi/Hangartner Sena, Ahead of the Tokyo 2020 Olympic Games – The Fight against Doping in Japan and in Switzerland at a Glance, Causa Sport 2019, S. 243 ff.

Materialien

Ausführungsbestimmungen der Stiftung Swiss Sport Integrity: Ausführungsbestimmungen zum Resultatmanagement (zit. ABRM), Ausführungsbestimmungen zu Ausnahmebewilligungen zu therapeutischen Zwecken (zit. ABATZ), Ausführungsbestimmungen zu Dopingkontrollen und Ermittlungen (zit. ABDE); Botschaft zum Sportförderungsgesetz und Bundesgesetz über die Informationssysteme des Bundes im Bereich Sport vom 11. November 2009, BBl 2009 8189 ff.; Botschaft zur Totalrevision des Bundesgesetztes über die Informationssysteme des Bundes im Bereich Sport vom 28. November 2014; BBl 2014 9587 ff.; Doping-Statut von Swiss Olympic vom 26. November 2021 (zit. Doping-Statut); Dopingliste der Stiftung Swiss Sport Integrity (zit. Dopingliste); Guidance note for Anti-Doping Organizations der WADA vom 11. Januar 2011 betreffend Substances of abuse under the 2021 World Anti-Doping Code (zit. WADA-Guidance note); Jahresbericht 2022 der Stiftung Swiss Sport Integrity (zit. Jahresbericht 2022); Liste der akkreditierten Analyselabors (zit. WADA-Laborliste); Liste der Code Signatories (zit. Liste der Signatare); Liste International Level Athlete Definitions der International Testing Agency (ITA) (zit. ITA-Liste); Statuten Swiss Olympic, revidiert am 26. November 2021 (zit. Statuten Swiss Olympic); World Anti-Doping Code 2021 (zit. WADC 2021).

I. Grundlagen

A. Der Welt-Anti-Doping-Code

[1]

Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) wurde 1999 als Stiftung gegründet, um die Dopingbekämpfung weltweit zu organisieren (siehe auch Humbel/Schneuwly, Rz. 56). Für diese weltweite, private Dopingbekämpfung wurde das sog. Welt-Anti-Doping-Programm (WADP) geschaffen, strukturiert auf grundsätzlich drei Ebenen. Grundlage des WADP und oberstes Regelwerk bildet der Welt-Anti-Doping-Code (WADC), der auf der zweiten Ebene durch die International Standards sowie die Technical Documents ausgeführt wird. Auf der dritten Ebene befinden sich die Guidelines sowie Models of Best Practice (siehe Haas, S. 25 f., Contat/Pamberg/Pfister/Steiner, S. 160 ff.; Schnydrig/Steiner, S. 65).

[2]

Der erste WADC wurde im Januar 2003 verabschiedet. Es folgten umfassende Revisionen des WADC in den Jahren 2009, 2015 und letztmals 2021. Die Tatbestände, die sog. Dopingverstösse, und die Sanktionsnormen haben sich weltweit bewährt. Mit der Einführung des WADC 2021 wurde in Art. 2.11 WADC ein neuer Tatbestand zum Schutze von Whistleblowern eingeführt (dazu Schnydrig/Steiner, S. 67; Mortsiefer, S. 10).

[3]

Der WADC enthält neben gewissen verfahrenstechnischen Grundlagen insbesondere materielles Recht wie die bereits erwähnte Auflistung der diversen Dopingverstösse und den Sanktionskatalog. Zudem bildet er die Grundlage für die Anti-Doping-Regelwerke aller Signatare des WADP (siehe Liste der Signatare).

[4]

Diese Signatare sind verpflichtet, innerhalb ihrer Organisation die Regeln des WADC um- und durchzusetzen (Haas, S. 26). Signatare sind diverse Stakeholder im Sport, so u.a. internationale Sportverbände, Nationale Olympische und Paralympische Komitees sowie Nationale Anti-Doping-Organisationen (sog. NADOs).

[5]

In der Schweiz sind einerseits die Swiss Olympic Association (Swiss Olympic), das Swiss Paralympic Committee (Swiss Paralympic) und die Stiftung Swiss Sport Integrity (Swiss Sport Integrity) Signatare des WADC (siehe Liste der Signatare). Swiss Sport Integrity hat am 1. Januar 2022 die Stiftung Antidoping Schweiz als nationale Agentur im Sinne des Sportförderungsgesetzes (SpoFöG) sowie NADO gemäss WADP abgelöst (Jahresbericht 2022, S. 4).

[6]

Die Umsetzung des WADC erfolgt in der Schweiz durch das Doping-Statut sowie die diversen Ausführungsbestimmungen von Swiss Sport Integrity (Schnydrig/Steiner, S. 65, siehe auch McLin/Olridge, Rz. 34 sowie insbesondere Präambel und Art. 4.2 Abs. 2 lit. j Statuten Swiss Olympic, sowie Präambel Doping-Statut und auch Präambel ABRM, ABATZ und ABDE). Da die Umsetzung erfahrungsgemäss jedoch sehr nah am WADC zu erfolgen hat und von der WADA letztlich abgenommen wird, ist es viel eher eine Übernahme als eine Umsetzung. In dieser Hinsicht gilt es zudem ausdrücklich anzufügen, dass in Bezug auf die Dopingverstösse und die Sanktionsnormen die Pflicht besteht, diese wörtlich ins nationale Regelwerk zu übernehmen. Dies ergibt im Lichte einer weltweit harmonisierten Dopingbekämpfung denn auch absolut Sinn.

B. Das Doping-Statut von Swiss Olympic

[7]

Das Doping-Statut wird von Swiss Olympic bzw. dessen Sportparlament erlassen. Es ist für alle Mitgliedsverbände von Swiss Olympic, deren Verbände, Vereine sowie Clubs verbindlich und direkt anwendbar. Zudem sind die in Art. 5.2 Doping-Statut genannten Athlet*innen und die Betreuungs- oder andere Personen, die die Voraussetzungen aus Art. 5.2 Doping-Statut erfüllen, ebenfalls dem Doping-Statut unterstellt (siehe Präambel sowie Persönlicher Geltungsbereich Doping-Statut; für detaillierte Ausführungen zur Unterstellung sei auf Contat/Pamberg/Pfister/Steiner, S. 173 f. verwiesen.). Als Organe der Dopingbekämpfung werden Swiss Sport Integrity sowie die Disziplinarkammer des Schweizer Sports (DK) eingesetzt (siehe Organe Doping-Statut), wobei Letztere ab Juli 2024 die Fälle nicht mehr als Verbandsorgan von Swiss Olympic, sondern als echtes Schiedsgericht beurteilen wird.

[8]

Unter «Doping» versteht man im Volksmund hauptsächlich die Einnahme einer verbotenen Substanz im Sport, mit dem Ziel dadurch bessere Leistungen zu erzielen. Im Gesetz wird Doping banal als «Missbrauch von Mitteln und Methoden zur Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit im Sport» (Art. 19 Abs. 1 SpoFöG) umschrieben (siehe Schnydrig/Koch, S. 71 sowie Sugiyama/Hangartner, S. 246 f.). Doch Doping ist viel mehr und wird im Doping-Statut definiert als ein Verstoss gegen Anti-Doping-Bestimmungen. Demnach gilt als Doping die Begehung eines der 11 in den Artikeln 2.1 bis 2.11 Doping-Statut aufgelisteten Verstösse (Art. 1 Doping-Statut).

II. Verstösse gegen Anti-Doping-Bestimmungen

[9]

Art. 2 Doping-Statut hält einleitend fest, dass Athlet*innen und andere Personen selber dafür verantwortlich sind, zu wissen, was einen Verstoss gegen eine Anti-Doping-Bestimmung darstellt, und welche Substanzen und Methoden auf der aktuellen, jährlich aktualisierten Dopingliste aufgeführt sind. Mit anderen Worten schützt Nichtwissen nicht davor, einen Verstoss zu begehen.

A. Verstösse die ausschliesslich durch Athlet*innen begangen werden können

1. Vorhandensein

[10]

Beim Vorhandensein einer verbotenen Substanz, ihrer Metaboliten oder ihrer Marker in der Dopingprobe von Athlet*innen handelt es sich um den klassischen Fall eines Verstosses gegen die Anti-Doping-Bestimmungen, nämlich um den analytischen Nachweis einer verbotenen Substanz im Urin oder im Blut der Athlet*innen, einem sog. abnormen Analyseresultat bzw. der positiven Dopingprobe, geregelt in Art. 2.1 Doping-Statut. Der Nachweis von «Vorhandensein» erfolgt exklusiv durch ein abnormes Analyseresultat, ein sog. Adverse Analytical Finding (AAF).

[11]

Es ist die persönliche Pflicht von Athlet*innen, dafür zu sorgen, dass keine verbotenen Substanzen in ihren Körper gelangen (Art. 2.1.1 Doping-Statut). Den Athlet*innen muss kein Verschulden oder eine bewusste Anwendung einer verbotenen Substanz nachgewiesen werden. Die alleinige Präsenz einer verbotenen Substanz im Körper stellt objektiv bereits einen Dopingverstoss dar. Diese Regel, Eckpfeiler der internationalen Dopingbekämpfung, wird in der Rechtsprechung, insbesondere derjenigen der DK und des Court of Arbitration for Sport (CAS) als verschuldensunabhängige Haftung oder strict liability-Prinzip bezeichnet und konstant angewendet (unter vielen, CAS 98/222 B. / International Triathlon Union (ITU) vom 9. August 1999, E. 15 ff.; so etwas in CAS 2014/A/3487 Veronica Campbell-Brown v. Jamaica Athletics Administrative Association (JAAA) & International Association of Athletics Federations (IAAF) vom 10. April 2014, E. 157, bestätigt; siehe auch Cisneros, Rz. 3; unter vielen, Entscheide der DK vom 25. April 2019 i.S. M.K. – Antidoping Schweiz [siehe Brägger, Rz. 55] und vom 10. Januar 2022 i.S. J.F. – Antidoping Schweiz, E. 6.1).

[12]

Das strict liability-Prinzip wurde eingeführt, da der Nachweis von Vorsatz oder Fahrlässigkeit der betroffenen Person im Falle eines AAF auf Seiten der Dopingverfolgung sehr schwierig bis unmöglich ist und weil Doping von Natur aus schädlich ist für alle an einem Wettkampf beteiligten Athlet*innen (Shi, Berkley Journal of International Law, 02.03.2022). Die betroffene Person könnte einfach behaupten, nicht zu wissen, wie die verbotene Substanz in ihren Körper gelangt ist, und dann unbestraft davonkommen (Du Toit, S. 164). Ein solcher Umstand wäre unhaltbar. Daher wurde bewusst in Kauf genommen, dass das strict liablity-Prinzip aufgrund einer gewissen Beweislastumkehr für Athlet*innen nicht ganz unproblematisch ist. Denn dieses Prinzip liegt im öffentlichen Interesse und insbesondere in demjenigen des Sports. Ein wirksames Anti-Doping-System benötigt einen Rechtsgrundsatz, der es diesem ermöglicht, wirksam zu sein und Athlet*innen zu sanktionieren, die sich eines verbotenen Verhaltens schuldigt machen (CAS 2019/A/6190 Orkhon Purevdorj v. United World Wrestling [UWW] vom 10. Dezember 2019, E. 109-111; für die weiteren Beweisregeln sei auf Steiner, Rz. 24 ff. verwiesen).

2. Anwendung

[13]

Neben dem analytischen Nachweis stellt auch der anderweitig erbrachte Nachweis der «Verwendung, Aufnahme, Injektion, Einnahme oder das Auftragen auf jedwede Art und Weise einer verbotenen Substanz oder Methode einer verbotenen Substanz oder Methode» (siehe Definition «Anwendung» im Anhang Doping-Statut) einen Verstoss dar (Art. 2.2 Doping-Statut). Die Definition des Begriffs «Anwendung» im Anti-Doping-Kontext ist bewusst breit gehalten, damit jedwede Art des Zusichnehmens einer verbotenen Substanz oder Methode erfasst wird.

[14]

Das strict liability-Prinzip gilt ebenfalls bei der «Anwendung» (Art. 2.2.1 Doping-Statut). Der Verstoss nach dieser Bestimmung liegt bereits vor, wenn die verbotene Substanz oder Methode angewendet wurde. Irrelevant ist, ob dadurch eine Wirkung – sprich eine Leistungssteigerung im Sport – erzielt wurde (siehe Art. 2.2.2 Doping-Statut).

[15]

Im Gegensatz zu «Vorhandensein», kann «Anwendung» durch jedes zuverlässige Beweismittel nachgewiesen werden, namentlich durch ein Geständnis, Zeugenaussagen, Belege, Erkenntnisse aus dem biologischen Athletenpass oder anderen analytischen Informationen wie im Falle eines atypischen Analyseresultats, dem sog. Atypical Finding (ATF; siehe Kommentar zu Art. 2.2 Doping-Statut). Ein atypisches Analyseresultat liegt vor, wenn gemäss Laboranalyse die festgelegten Grenzwerte der entsprechenden Substanz nicht überschritten werden (siehe Definition «Atypisches Analyseresultat» im Anhang Doping-Statut). Während die Überschreitung des Grenzwertes als abnorm rapportiert werden müsste (AAF), kann nach substanzspezifischen Abklärungen u.U. ein ATF ebenfalls als AAF und damit als «Vorhandensein» unter bestimmten Umständen weiterverfolgt werden. Wenn keine Qualifikation als AAF möglich ist, kann ein ATF als «Anwendung» weiterverfolgt werden.

3. Versuchte Anwendung

[16]

Bereits der Versuch der Anwendung ist sanktionierbar. Der Rechtsbegriff «Versuch» findet sich auch im schweizerischen Strafrecht. Demnach ist ein Versuch bei Vergehen oder Verbrechen strafbar, wenn ein Täter die strafbare Tätigkeit begonnen hat, aber nicht zu Ende führt oder der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht eintritt oder nicht eintreten kann (Art. 22 Abs. 1 StGB). Straflos ist ein Versuch dann, wenn ein Täter aus grobem Unverstand verkennt, dass die Tat überhaupt nicht zur Vollendung gelangen kann (Art. 22 Abs. 2 StGB). Im Anti-Doping-Kontext wird der Versuch definiert als «vorsätzliches Verhalten, das einen wesentlichen Schritt im geplanten Verlauf einer Handlung darstellt, die auf einen Verstoss gegen Anti-Doping-Bestimmungen abzielt. Dies vorausgesetzt, stellt der alleinige Versuch, einen Verstoss zu begehen, noch keinen Verstoss gegen Anti-Doping-Bestimmungen dar, wenn die Person von dem Versuch absieht, bevor Dritte, die nicht an dem Versuch beteiligt sind, davon erfahren» (Definition «Versuch» im Anhang Doping-Statut). Demnach erfordert der Nachweis der versuchten Anwendung den Nachweis des Vorsatzes. Dies steht jedoch im Widerspruch zum vorgenannten strict liability-Prinzip (siehe auch Kommentar zu Art. 2.2.2 Doping-Statut, erster Absatz). In der Praxis wird der Versuch zumeist in Importfällen verzeichnet.

[17]

Wie eingangs erwähnt, ist Swiss Sport Integrity nicht nur NADO, sondern auch nationale Agentur zur Bekämpfung von Doping gemäss Art. 19 Abs. 2 SpoFöG. Mit dem Ziel, die Einschränkung der Verfügbarkeit von Dopingmitteln und -methoden einzuschränken, arbeiten insbesondere das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) und Swiss Sport Integrity zusammen. Vom BAZG sichergestellte Sendungen, die illegale Dopingmittel enthalten, werden an Swiss Sport Integrity weitergeleitet. Letztere verfügt im Rahmen eines verwaltungsrechtlichen Verfahrens den Einzug und die Vernichtung der sichergestellten, illegalen Dopingmittel. Adressat*innen einer solchen Verfügung sind die Besteller*innen illegaler Mittel (siehe auch Contat/Pamberg/Pfister/Steiner, S. 164 f. sowie Schnydrig/Koch, S. 67). Wenn nun Adressat*innen einer verwaltungsrechtlichen Verfügung gleichzeitig auch dem Doping-Statut unterstellt sind (siehe vorstehend Rz. 7), dann wird neben dem verwaltungsrechtlichen Verfahren auch ein privatrechtliches Resultatmanagement- bzw. allenfalls ein Disziplinarverfahren eröffnet, aufgrund von versuchter Anwendung im Sinne von Art. 2.2 Doping-Statut und Besitz (siehe nachstehend Rz. 32 ff.; für detaillierte Ausführungen zum Resultatmanagement und Disziplinarverfahren siehe Steiner, Rz. 5 ff. und 9 ff.). Im Jahre 2022 hat Swiss Sport Integrity 1115 Meldungen von Sicherstellungen erhalten, 920 verwaltungsrechtliche Verfügungen erlassen und davon wurden 13 Fälle disziplinarrechtlich weiterverfolgt (Jahresbericht 2022, S. 8).

[18]

Bereits die Aufgabe einer Bestellung von verbotenen Dopingmitteln (zumeist online) stellt eine versuchte Anwendung dar. Die DK hielt in ihrem Entscheid vom 31. Januar 2020 i.S. Antidoping Schweiz – U.C. (E. 4.3) fest: «Der Angeschuldigte hat während des ganzen Verfahrens und auch bereits gegenüber Antidoping Schweiz jeweils bestätigt; die beschlagnahmten Produkte zum Zwecke des Eigenkonsums bestellt zu haben. Er hat mit seiner Bestellung also einen wesentlichen Schritt getätigt, um zu den verbotenen Substanzen Stanozolol und Oxandrolon gelangen und diese anschliessend konsumieren zu können.» Hätte der Angeschuldigte im konkreten Fall jedoch die Bestellung storniert, bevor diese abgefangen wurde, so hätte er mit der Bestellung den Tatbestand von Art. 2.2 Doping-Statut nicht erfüllt. In den meisten Fällen bestreiten die Athlet*innen allerdings, Dopingmittel bestellt zu haben, zuweilen auch sehr kreativ. Ein Amateurfussballspieler behauptete im Verfahren vor der DK, eigentlich eine Fotokamera bestellt zu haben und dass ihm fälschlicherweise mehrere Stechampullen Testosteron und einige Tabletten Clomifen zugesandt wurden, mitunter eine Verwechslung von Paketen stattgefunden haben müsse. Er konnte jedoch den Kauf einer Fotokamera nicht mit einem Zahlungsbeleg oder einer Bestellbestätigung beweisen. Vielmehr behauptete er, keine Kreditkarte zu besitzen und dass seine Barzahlung per Western Union bereits über sechs Monate her sei, weshalb er keinen Beleg vorweisen könne. Die DK nahm ihm diese Behauptungen nicht ab. Sie würdigte diese zwar als eine «kreative Massnahme zum Vertuschen der eigentlichen Bestellung der verbotenen Substanzen» (siehe Entscheid der DK vom 31. Januar 2020 i.S. Antidoping Schweiz – E.I. [E. 4.3]), hielt aber u.a. fest, dass wenn das Adressetikett mit seinem Namen und seiner Adresse wirklich auf ein falsches Paket geklebt worden wäre, als Zolldeklaration nicht «Supplement» sondern «Camera» oder «Merchandise» stehen würde.

4. Verweigerung einer Probenahme

[19]

Die Anti-Doping-Bestimmungen werten die Vereitelung der Probenahme, die Weigerung oder das Unterlassen einer solchen Probenahme als Verstoss (Art. 2.3 Doping-Statut).Eine Vereitelung der Probenahme liegt dann vor, wenn der Nachweis erbracht wird, dass eine Athletin oder ein Athlet dem Dopingkontrollpersonal vorsätzlich ausgewichen ist, um sich dem Aufgebot zur oder der Dopingkontrolle zu entziehen. Demnach setzt «Vereitelung der Probenahme» und «Weigerung» ein vorsätzliches Verhalten voraus, wohingegen «Unterlassen» sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden kann (vgl. Doping-Statut, integrierter Kommentar zu Art. 2.3).

[20]

Dopingkontrollen stellen immer auch einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Athlet*innen im Sinne von Art. 28 ZGB dar. Dies lässt sich am Beispiel einer Urinprobe illustrieren, bei der sog. Sichtkontrolle. Die Erhebung von Urinproben ist im Anhang C der ABDE geregelt. Gemäss Art. C.4.8 ABDE stellt das Dopingkontrollpersonal sicher, «die Urinabgabe ungehindert beobachten zu können und beaufsichtigt die Urinprobe im Anschluss ununterbrochen bis zu deren Versiegelung. Um eine ungehinderte Sicht auf die Urinabgabe zu gewährleisten, weist das Dopingkontrollpersonal den Athleten an, Kleidungsstücke, die die Sicht beeinträchtigen, abzulegen oder entsprechend zu richten.» Mit anderen Worten muss das Dopingkontrollpersonal bei der Urinabgabe direkt auf die Genitalien der betroffenen Athletin oder des Athleten sehen können, damit den Anforderungen der Erhebung von Urinproben Genüge getan wird. Dieser Umstand stellt zweifelsfrei ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dar, der jedoch nicht widerrechtlich ist. Denn Art. 28 Abs. 2 ZGB hält fest, dass eine Verletzung nur dann widerrechtlich ist, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist. In der Praxis – bei Fällen, in denen keine explizite Einwilligung vorlag – wurde bei einer Weigerung bereits argumentiert, dass ohne Einwilligung der Athletin bzw. des Athleten die Dopingkontrolle eine Persönlichkeitsverletzung darstellt. Damit wird jedoch verkannt, dass einerseits mit Art. 21 SpoFöG eine gesetzliche Grundlage besteht, die Swiss Sport Integrity explizit ermächtigt, Dopingkontrollen bei Personen, die an Sportwettkämpfen teilnehmen, durchzuführen, und dass andererseits Athlet*innen mit ihrer Teilnahme an Sportwettkämpfen implizit einwilligen, dass Dopingkontrollen durchgeführt werden dürfen. Dies rechtfertigt einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte.

[21]

Verstösse gegen Art. 2.3 Doping-Statut sind seltener als die beiden vorgenannten, so beispielweise die Teilverweigerung einer Dopingkontrolle im Entscheid vom 18. Juli 2017 i.S. Antidoping Schweiz – B.Z. Die DK musste die Frage beurteilen, ob das Dopingkontrollpersonal vor Ort nach der Durchführung der Urinkontrolle implizit auf die zusätzlich angeordnete Blutentnahme verzichtete. Der Athlet wollte nämlich nicht sofort und am Ort der Dopingkontrolle eine Blutprobe abgeben, sondern erst später bei seinem Hausarzt oder in der Notfallstation im Spital. Das Dopingkontrollpersonal lehnte dies praxisgemäss ab und wies den Athleten klar darauf hin, dass die Blutentnahme nur direkt vor Ort und anlässlich der Dopingkontrolle erfolgen könne. Die DK bestätigte diese Praxis und stütze sich dabei auf die ABDE, welche beschreiben, wie im Rahmen einer Dopingkontrolle eine Blutentnahme zu erfolgen hat und die explizit festhalten, dass es dem Dopingkontrolleur obliegt, Blutproben zu entnehmen. Die anwendbaren Bestimmungen sehen mit anderen Worten nicht vor, dass die Blutentnahme an eine Drittperson (und damit beispielsweise an den Hausarzt oder eine Notfallstation im Spital) ausgelagert werden kann. Mit der Weigerung, eine Blutprobe vor Ort dem anwesenden Dopingkontrollpersonal abzugeben, hat der Athlet einen Verstoss gegen Art. 2.3 Doping-Statut begangen.

5. Meldepflichtverstösse

[22]

Athlet*innen sind grundsätzlich dazu verpflichtet mindestens quartalsweise Informationen über ihren Aufenthaltsort (sog. Whereabouts) aktiv mit Swiss Sport Integrity zu teilen und die dort jeweils ausgeführten regelmässigen Tätigkeiten wie bspw. Training, Wettkampf, Studium oder Beruf anzugeben (Schaller, S. 2). Sie stehen dabei in einer Bringschuld und geben die Informationen auf einer Webplattform ein. Die WADA benutzt ADAMS als elektronisches System der Erfassung der Whereabouts. Swiss Sport Integrity nutzt ein eigenes System, SIMON. Die detaillierten Anforderungen an die Informationen über den Aufenthaltsort sind in Art. 4.8.7 ABDE festgehalten.

[23]

Ein Meldepflichtverstoss ist entweder eine versäumte Dopingkontrolle oder ein Meldepflichtversäumnis. Ein Verstoss gegen Anti-Doping-Bestimmungen im Sinne von Art. 2.4 Doping-Statut liegt dann vor, wenn innerhalb von zwölf Monaten drei Meldepflichtverstösse begangen werden. In anderen Worten stellt jede Kombination aus drei versäumten Dopingkontrollen und Meldepflichtversäumnissen durch eine Athletin oder einen Athleten in einem Kontrollpool innerhalb von zwölf Monaten ein Verstoss gegen Art. 2.4 Doping-Statut dar.

[24]

Ein Meldepflichtversäumnis ist das Versäumnis der Angabe genauer und vollständiger Informationen zum Aufenthaltsort, anhand derer die Athlet*innen zu allen gemeldeten Zeiten und Orten für Dopingkontrollen auffindbar sind, oder das Versäumnis, diese Informationen rechtzeitig zu aktualisieren (siehe Definition «Meldepflichtversäumnis» in Art. 3.5 ABRM). Demgegenüber liegt eine versäumte Dopingkontrolle vor, wenn die Athlet*innen es versäumen, innerhalb des angegebenen 60-Minuten-Zeitfensters für eine Dopingkontrolle zur Verfügung zu stehen (siehe Definition «versäumte Dopingkontrolle» in Art. 3.5 ABRM). Das 60-Minuten-Zeitfenster gilt nur für Athlet*innen in einem sog. Registrierten Kontrollpool (für detaillierte Ausführungen zu den Kontrollpools und den damit einhergehenden Pflichten siehe Art. 4.8.6 ABDE). Zumeist handelt es sich dabei um internationale Spitzenathlet*innen.

[25]

Voraussetzung für die Begehung eines Meldepflichtverstosses ist damit die Einteilung in einen Kontrollpool. Denn nur dadurch bestehen Meldepflichten. Der Begriff «Kontrollpool» wird im Anhang des Doping-Statuts, wie folgt, definiert: «Zur besseren Planung und Durchführung von unangekündigten Dopingkontrollen kann Swiss Sport Integrity von bestimmten Athleten, die hohe Priorität geniessen, Informationen zum Aufenthaltsort einfordern. Diese Athleten werden in Kontrollpools eingeteilt, unterliegen im Rahmen der Dopingkontrollplanung von Swiss Sport Integrity gezielten Dopingkontrollen im und ausserhalb des Wettkampfes und unterliegen damit der Meldepflicht.»

[26]

Im schweizerischen Kontext wird selten gegen Art. 2.4 Doping-Statut verstossen. Letztmals hatte sich die DK im Entscheid vom 16. Mai 2017 i.S. Antidoping Schweiz – U.S. mit Meldepflichtverstössen auseinanderzusetzen. Der Athlet war im Nationalen Kontrollpool eingeteilt und musste in SIMON (siehe Rz. 22) Informationen zu seinem Aufenthaltsort erfassen. Aufgrund der in SIMON erfassten Angaben durfte und musste Antidoping Schweiz davon ausgehen, dass sich der Angeschuldigte während der geplanten Kontrolle bei sich zu Hause befinden würde. Als Übernachtungsort gab er nämlich seine Wohnadresse an. Doch als der Dopingkontrolleur früh morgens bei ihm klingelte, war er nicht zugegen. Sein Mitbewohner öffnete die Türe und teilte ihm mit, dass der Athlet nicht zuhause übernachtet habe. Da es bereits sein dritter Meldepflichtverstoss innerhalb von 12 Monaten war, wurde er für 18 Monate gesperrt. Der Athlet brachte zu seiner Verteidigung vor, dass man ihn hätte anrufen können und er innert 30 Minuten vor Ort gewesen wäre. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Pflicht des Dopingkontrollpersonals, einen Athleten in angemessener Art und Weise für eine Dopingkontrolle zu suchen, nur soweit reicht, als dass es nicht nötig ist, dem Athleten die Dopingkontrolle vorab anzukündigen. Der Athlet muss somit nicht aktiv gesucht werden, sondern ein Dopingkontrolleur darf davon ausgehen, dass der Athlet an der von ihm angegebenen Adresse zugegen ist. Die DK hielt in ihrem Entscheid denn auch fest, dass Art. 5.3.5 ABDE nicht verlange, dass die Antidoping-Organisation bei einem Athleten, der einem Kontrollpool angehört, in jedem Fall noch weitere Bemühungen unternimmt, um diesen aufzufinden. Die Bestimmung sei vielmehr so auszulegen, dass wenn ein Athlet als Arbeitsort «Universität Zürich, juristische Fakultät» eingibt, er seiner Meldepflicht nachgekommen ist, sofern er sich im angegebenen Zeitraum in irgendeinem Hörsaal der betreffenden Fakultät befindet. Will ihn Antidoping Schweiz genau dann kontrollieren, müsse sie sich selber darum bemühen, den genauen Aufenthaltsort resp. den entsprechenden Hörsaal ausfindig zu machen. In Bezug auf den Übernachtungsort verhalte es sich indessen anders. Dieser ist mit vollständiger Adresse anzugeben. Handle es sich dabei wie in casu um die Wohnung des zu kontrollierenden Athleten, sei Antidoping Schweiz ihren Verpflichtungen genügend nachgekommen, wenn sie genau dort nach ihm suche.

B. Verstösse durch Athlet*innen oder Dritte

1. Unzulässige Einflussnahme

[27]

Ein weiterer Tatbestand wird durch die unzulässige vollendete oder versuchte Einflussnahme auf einen Teil des Dopingkontrollverfahrens durch eine Athletin, einen Athleten oder eine andere Person (Art. 2.5 Doping-Statut). Damit handelt es sich vorliegend um einen Dopingverstoss, der nicht ausschliesslich von Athlet*innen begangen werden kann, sondern auch von einer Betreuungsperson oder einer anderen Person.

[28]

Als Betreuungsperson gilt gemäss der Definition im Anhang des Doping-Statuts namentlich ein Trainer, ein sportlicher Betreuer, eine Managerin, ein Funktionär, medizinisches Personal und Hilfspersonal sowie Eltern und andere Personen, die mit Athleten zusammenarbeiten, diese unterstützen oder behandeln. Die Definition ist damit eher weit gefasst. Wie eingangs erwähnt (siehe Rz. 7), müssen die vorgenannten Personen dem Doping-Statut unterstellt sein, damit diese eine unzulässige Einflussnahme im Sinne von Art. 2.5 Doping-Statut begehen können.

[29]

Der Tatbestand ist relativ offen formuliert, doch muss die unzulässige Einflussnahme bzw. deren Versuch auf einen Teil des Dopingkontrollverfahrens geschehen sein, was den Tatbestand nur wenig einschränkt. Als Dopingkontrollverfahren gelten alle Schritte und Verfahren von der Planung der Verteilung der Dopingkontrollen bis hin zum rechtskräftigen Entscheid in einem Rechtsmittelverfahren und der Durchsetzung der Konsequenzen sowie alle Schritte und Verfahren dazwischen (siehe Definition «Dopingkontrollverfahren» im Anhang Doping-Statut). Dies umfasst insbesondere Dopingkontrollen, Ermittlungen, die Abgabe von Informationen zum Aufenthaltsort, die Entnahme und weitere Behandlung von Dopingproben, die Laboranalyse, das Verfahren zum Erhalt einer Ausnahmebewilligung zu therapeutischen Zwecken (ATZ), das Resultatmanagement(-verfahren) sowie das Disziplinarverfahren, alle Anhörungen in diesem Zusammenhang auf Ebene der Verbandsgerichtsbarkeit sowie Ermittlungen oder Verfahren in Bezug auf Verstösse gegen das Teilnahmeverbot. De facto gilt jede Handlung der Anti-Doping-Organisation bzw. jede Interaktion von Athlet*innen mit der Anti-Doping-Organisation als Teil des Dopingkontrollverfahrens.

[30]

Die Bedeutung des Begriffs «unzulässige Einflussnahme» kann am Fallbeispiel CAS 2019/A/6148 World Anti-Doping Agency v. Mr Sun Yang & Fédération Internationale de Natation (FINA) vom 22. Juni 2021 (E. 4 sowie 14-47) des chinesischen Spitzenschwimmers Sun Yang erklärt werden. Bei Sun Yang wurde in der Nacht vom 4. auf den 5. September 2018 eine Dopingkontrolle durchgeführt im Rahmen derer eine Blutentnahme stattfand. Im Anschluss an eine hitzige Diskussion zwischen dem Dopingkontrollpersonal und der Athletenseite hat letztere den Behälter, in welchem sich die Blutprobe befand, zerstört und das entnommene Blut konnte nie an ein WADA akkreditiertes Labor gesendet werden. Zudem hat der Athlet keine Urinprobe abgegeben. Von Athletenseite wurde als Begründung für ihr Verhalten vorgebracht, dass das anwesende Dopingkontrollpersonal sich nicht gebührend ausweisen konnte. Das CAS hielt in E. 371-373 insbesondere fest, dass davon ausgegangen werden könne, dass Profisportler mit dem Dopingkontrollverfahren vertraut und sich der Konsequenzen sowie den schwerwiegenden Sanktionen bewusst seien, die eine unzulässige Einflussnahme nach sich zieht. Deshalb könne erwartet werden, dass Athlet*innen höchste Sorgfalt walten lassen, wenn die Gültigkeit der Probenahme angezweifelt wird. Das Dopingkontrollformular biete die Möglichkeit für Athlet*innen, Beschwerden und Vorbehalte zur Probenahme festzuhalten. Die Vernichtung einer Probe sei jedoch keine legitime Möglichkeit, Vorbehalte kundzutun, auch wenn eine Probenahme nicht makellos vonstattengegangen sei. Demnach dürfen Athlet*innen, insbesondere wenn sie mit dem Dopingkontroll- bzw. dem Probenahmeprozess nicht zufrieden sind, nicht in irgendeiner Weise darauf einwirken und bspw. Proben zerstören, sondern müssen den Prozess über sich ergehen lassen und sich dann im Nachgang darüber beschweren.

[31]

Auch dieser Verstoss ist in der Schweiz sehr selten anzutreffen. Im Fall Antidoping Schweiz – M.H. (Entscheid der DK vom 26. August 2021), hatte der angeschuldigte Athlet verbotene Dopingmittel aus dem Ausland bestellt, bzw. importiert. Antidoping Schweiz eröffnete ein Resultatmanagementverfahren gegenüber dem angeschuldigten Athleten und warf ihm versuchte Anwendung und Besitz vor. Im Rahmen seiner Stellungnahme reichte dieser eine schriftliche Bestätigung eines ehemaligen Mitbewohners ein, die belegen sollte, dass dieser die Bestellung ausgelöst hatte. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Unterschrift unter der schriftlichen Bestätigung gefälscht war. Die DK hielt in ihrem Entscheid fest, dass die vom Athleten eingestandene Fälschung als unzulässigen Einfluss auf das Dopingkontrollverfahren zu bewerten sei.

2. Besitz verbotener Substanzen

[32]

Der Besitz einer verbotenen Substanz oder von Hilfsmitteln zur Anwendung einer verbotenen Methode durch einen Athleten oder eine Betreuungsperson bedeutet einen Dopingverstoss (Art. 2.6 Doping-Statut).

[33]

Im Anhang des Doping-Statuts wird Besitz definiert als tatsächlichen, unmittelbaren oder mittelbaren Besitz. Mittelbarer Besitz liegt aber nur vor, «wenn die Person die ausschliessliche Verfügungsgewalt über die verbotene Substanz oder Methode oder die Räumlichkeiten, in denen eine verbotene Substanz oder Methode vorhanden ist, inne hat oder beabsichtigt, Verfügungsgewalt auszuüben» und setzt voraus, «dass, wenn die Person nicht die ausschliessliche Verfügungsgewalt über die verbotene Substanz oder Methode oder die Räumlichkeit besitzt, in der eine verbotene Substanz oder Methode vorhanden ist, mittelbarer Besitz nur dann vorliegt, wenn die Person vom Vorhandensein der verbotenen Substanz oder Methode in den Räumlichkeiten wusste und beabsichtigte, Verfügungsgewalt über diese auszuüben.» Einer angeschuldigten Person kann sodann der Exkulpationsbeweis gelingen, indem sie nachweist, dass sie «eine konkrete Handlung ausgeführt hat, durch welche die Person zeigt, dass sie nie beabsichtigte, Verfügungsgewalt auszuüben (…)». Diese Handlung muss jedoch ausgeführt worden sein, bevor die Person von der zuständigen Anti-Doping-Organisation über einen potenziellen Verstoss in Kenntnis gesetzt wurde. Im Kommentar zur Definition wird weiter ausgeführt, dass schon allein der Kauf bzw. die Online-Bestellung einer verbotenen Substanz Besitz darstellt, selbst wenn das Produkt nicht ankommt, von jemand anderem angenommen oder an die Adresse eines Dritten geliefert wird.

[34]

Der Tatbestand von Art. 2.6 Doping-Statut umfasst folgende Varianten: Während der gesamten Dauer des Wettkampfes stellt der Besitz von jederzeit verbotenen Substanzen oder Hilfsmitteln zur Anwendung einer verbotenen Methode durch Athlet*innen einen Verstoss dar. Gewisse Substanzen können aber ausserhalb des Wettkampfes erlaubt sein und deren Besitz ausserhalb des Wettkampfes verstösst allein noch nicht gegen Anti-Doping-Bestimmungen (siehe Art. 2.6.1 Doping-Statut wie auch Dopingliste zur Abgrenzung der jederzeit verbotenen Substanzen und Methoden – innerhalb und ausserhalb des Wettkampfes – von den ausschliesslich im Wettkampf verbotenen Substanzen und Methoden). Betreffend die Betreuungsperson gilt dieselbe Abgrenzung zwischen Besitz innerhalb und ausserhalb des Wettkampfes wie für Athlet*innen. Der Besitz von verbotenen Substanzen oder Hilfsmitteln zur Anwendung einer verbotenen Methode einer Betreuungsperson stellt nur einen Verstoss dar, wenn dieser im Zusammenhang mit einer Athletin bzw. einem Athleten, einem Wettkampf oder einem Training steht (siehe Art. 2.6.2 Doping-Statut).

[35]

Kein Verstoss liegt vor, wenn den Athlet*innen oder der Betreuungsperson der Nachweis gelingt, dass der Besitz aufgrund einer ATZ oder einem anderen legitimen (medizinischen) Grund erfolgte (siehe sowohl Art. 2.6.1 wie auch 2.6.2 Doping-Statut). Im Kommentar zu den vorgenannten Artikeln 2.6.1 und 2.6.2 Doping-Statut wird präzisiert, was einen legitimen Grund darstellt und was nicht. So zum Beispiel stellt «der Kauf oder Besitz einer verbotenen Substanz, die man einem Freund oder Verwandten weitergeben will, (…) keinen legitimen Grund dar, ausser bei gerechtfertigten medizinischen Umständen inklusive Arztrezept, z.B. zum Kauf von Insulin für ein Kind mit Diabetes. Ein legitimer Grund besteht beispielsweise darin, dass ein Athlet oder Mannschaftsarzt verbotene Substanzen oder Hilfsmittel zur Anwendung von verbotenen Methoden mitführt, z.B. einen Autoinjektor für Ephedrin, um in einer Akutsituation oder bei einem Notfall einzugreifen, oder ein Athlet eine verbotene Substanz oder Hilfsmittel zur Anwendung einer verbotenen Methode aus medizinischen Gründen besitzt, kurz bevor eine ATZ beantragt und ein Entscheid dazu mitgeteilt wird.» Ein legitimer Grund kann somit nur ein medizinischer Grund sein.

[36]

Der Verstoss des Besitzes kommt in der Praxis relativ häufig vor, da er komplementär zu einigen anderen Tatbeständen, wie Vorhandensein, (versuchte) Anwendung, Inverkehrbringen und Verabreichung, ist. Im schweizerischen Kontext umstritten ist die Tatsache, dass per Definition bereits die Online-Bestellung einer verbotenen Substanz Besitz und somit ein Dopingverstoss darstellt (siehe Rz. 34). Eine solche Definition widerspricht zwar derjenigen aus dem schweizerischen Privatrecht, wonach Besitzer einer Sache ist, wer die tatsächliche Gewalt darüber hat (Art. 919 ZGB), ist aber dennoch in Anti-Doping-Verfahren anwendbar, da die Lex Sportiva verlangt, dass das Doping-Statut gängigem Privatrecht vorgeht. In ihrer gängigen Praxis umschifft die DK jedoch dieses Problem und wendet Art. 2.6 Doping-Statut konsequent nicht an, wenn bereits eine Anwendung im Sinne von Art. 2.2 Doping-Statut vorliegt. Dieses Vorgehen begründet die DK dadurch, dass die Anwendung einer verbotenen Substanz überhaupt nur dann möglich sei, wenn der fehlbare Athlet die Substanz zuvor zumindest während einer logischen Sekunde auch besessen hat, womit Anwendung und Besitz derselben Substanz in einer mit vorliegendem Fall vergleichbaren Situation grundsätzlich auch nicht als Mehrfachverstoss zu sanktionieren seien (Entscheid der DK vom 23. Juli 2020 i.S. Antidoping Schweiz – R.W. [E. 6]).

3. Inverkehrbringen

[37]

Art. 2.7 Doping-Statut verbietet das vollendete oder versuchte Inverkehrbringen einer verbotenen Substanz oder von Hilfsmitteln zur Anwendung verbotener Methoden durch Athlet*innen oder eine andere Person. Unter «Inverkehrbringen» fällt namentlich der Verkauf, die Abgabe, die Lieferung oder der Vertrieb von verbotenen Substanzen oder Methoden, sei es auf physischem, elektronischem oder anderem Wege an Dritte. Explizit ausgenommen vom Dopingverstoss sind Handlungen von «redlichem» medizinischem Personal, sofern es verbotene Substanzen für ehrliche und rechtmässige therapeutische Zwecke anwendet (siehe Definition «Inverkehrbringen» im Anhang Doping-Statut).

[38]

Inverkehrbringen ist in der Schweiz nicht nur sportrechtlich verboten, sondern als einer der Straftatbestände gemäss Art. 22 SpoFöG auch strafbar. Demnach macht sich strafbar, wer zu Dopingzwecken Mittel, die im Anhang der SpoFöV aufgelistet sind, in Verkehr bringt (siehe auch Schnydrig/Koch, S. 69 f.). Aus dem Begriff «zu Dopingzwecken» erschliesst sich, dass nur die vorsätzliche Tatbegehung strafbar ist (siehe BBl 2009 8189, S. 8240). Demnach bedingen Fälle von Art. 2.7 Doping-Statut in der Praxis eine Koordination zwischen Strafverfolgungsbehörden und Swiss Sport Integrity. Aufgrund der gesetzlichen Grundlagen zum Daten- und Informationsaustausch funktioniert dieser Austausch zumeist sehr gut (Schnydrig/Koch, S. 77).

[39]

Beispielhaft sei der nachfolgende Fall erwähnt, in den neben Swiss Sport Integrity (damals noch Antidoping Schweiz) sowohl die Zollbehörden wie auch die Strafverfolgungsbehörden involviert waren, und den die DK mit Entscheid vom 20. November 2017 i.S. Antidoping Schweiz – G.G. abhandelte. Der Athlet hatte mehrfach verbotene Dopingmittel importiert; insgesamt vier Sendungen wurden vom Zoll abgefangen. Wegen Verdacht auf mehrfachen Import und Indizien auf einen Weiterverkauf hat Swiss Sport Integrity die zuständige Staatsanwaltschaft informiert, woraufhin der Athlet einvernommen wurde. Dabei hat er namentlich zugegeben, Dopingmittel via selbst betriebene Website und auf anderen Online-Plattformen zu verkaufen. Damit hat er gemäss Entscheid der DK verbotene Substanzen in Verkehr gebracht. Da er insgesamt drei Mal gegen Anti-Doping-Bestimmungen verstossen hat, wurde er lebenslänglich gesperrt.

4. Verabreichung

[40]

Der in Art. 2.8 Doping-Statut vorliegende Tatbestand umfasst die vollendete und versuchte Verabreichung einer verbotenen Substanz oder Methode bei Athlet*innen im Wettkampf durch jegwelche Person, wie auch die vollendete oder versuchte Verabreichung einer ausserhalb des Wettkampfes verbotenen Substanz oder Methode bei Athlet*innen ausserhalb des Wettkampfes. Die Definition des Begriffs ist breit gefasst. Unter «Verabreichung» fallen das Anbieten, das Überwachen oder Ermöglichen der vollendeten oder versuchten Anwendung einer verbotenen Substanz oder Methode oder aber eine anderweitige Beteiligung daran. Wie auch beim «Inverkehrbringen» sind Handlungen von «redlichem» medizinischen Personal davon ausgeschlossen (siehe Definition «Verabreichung» im Anhang Doping-Statut).

[41]

Dieser Dopingverstoss ist äusserst selten, bzw. wird selten festgestellt. International einer der bekanntesten Fälle, der unter diese Bestimmung fallen dürfte, ist der Fall Operation Aderlass. Doch auch im schweizerischen Kontext gibt es einen Beispielfall. Eine Betreuungsperson hat ihrem Athleten ohne dessen Wissen EPO verabreicht, aber letzteren im Glauben gelassen, es handle sich um Vitamine. Im Verfahren vor der DK, abgehandelt mit Entscheid vom 10. November 2021 i.S. Antidoping Schweiz – A.B., hat die Betreuungsperson zugegeben, dem Athleten zwei subkutane Injektionen mit EPO verabreicht zu haben. Aufgrund des Geständnisses stellte die DK Verabreichung fest.

5. Mittäterschaft

[42]

Nach Art. 2.9 Doping-Statut stellt die vollendete, aber auch bereits die versuchte Mittäterschaft durch Athlet*innen oder eine andere Person einen selbständigen Verstoss gegen Anti-Doping-Bestimmungen dar. Unter diesen Tatbestand fallen Gehilfenschaft, Ermutigung, Anleitung, Anstiftung, Konspiration, Verschleierung oder sonstige vorsätzliche Teilnahme bei einem (versuchten) Dopingverstoss. Mittäterschaft kann insbesondere auch physische oder psychologische Unterstützung umfassen (siehe Kommentar zu Art. 2.9 Doping-Statut).

[43]

In der Praxis ist dieser Verstoss sehr schwer nachzuweisen, wenn kein Geständnis vorliegt oder ein Athlet im Rahmen eines gegen ihn geführten Verfahren nicht eine andere Person oder einen anderen Athleten der Mittäterschaft bezichtigt. Im vorerwähnten Fall (Entscheid der DK vom 10. November 2021 i.S. Antidoping Schweiz – A.B.) hat die DK ebenfalls Mittäterschaft festgestellt, insbesondere weil der Athlet selber wegen Vorhandenseins verurteilt wurde und die Betreuungsperson den Athleten aktiv ermutigt hat, die Injektionen zu akzeptieren.

6. Verbotener Umgang mit gesperrter Betreuungsperson

[44]

Der Tatbestand des verbotenen Umgangs nach Art. 2.10 Doping-Statut umfasst den Umgang von Athlet*innen oder einer anderen Person in beruflicher oder sportlicher Funktion mit einer Betreuungsperson, die entweder dem Sportsystem unterstellt ist und eine Dopingsperre absitzt, oder dem Sportsystem zwar nicht unterstellt ist, aber der in einem Straf-, Disziplinar- oder standesrechtlichen Verfahren ein Verhalten nachgewiesen wurde, das einen Dopingverstoss dargestellt hätte, wenn sie dem Sportsystem unterstellt wäre. Im letzteren Fall besteht der disqualifizierende Status der Betreuungsperson während mindestens sechs Jahren, und damit grundsätzlich länger als bei einer dem Sportsystem unterstellten Person (siehe nachstehend Rz. 54). Zudem ist auch der Umgang mit einer Betreuungsperson, die als Tarnung oder Mittelsmann einer vorbeschriebenen Person dient, verboten. Zum verbotenen Umgang zählen namentlich die Annahme von Beratung zu Training, Strategie, Technik, Ernährung etc., wie auch die Annahme von Therapie, Behandlung oder Rezepten oder der Einsatz der fraglichen Betreuungsperson als Agentin. Verbotener Umgang bedingt sodann nicht zwingend eine Form von Vergütung (siehe Kommentar zu Art. 2.10 Doping-Statut).

[45]

Vor dem 1. Januar 2021 mussten betroffene Athlet*innen von der zuständigen Anti-Doping-Organisation schriftlich über die Sperre der Betreuungsperson und die möglichen Konsequenzen eines verbotenen Umgangs informiert worden sein, damit überhaupt ein Verstoss gegen Art. 2.10 Doping-Statut festgestellt werden konnte. Mit der Revision des WADC auf 2021 und dessen Umsetzung mit dem Doping-Statut wurde neu eingeführt, dass die betroffenen Athlet*innen nicht mehr zwingend vorab von der Anti-Doping-Organisation über die Sperre der Betreuungsperson informiert werden müssen, damit bei weitergeführter Zusammenarbeit ein verbotener Umgang vorliegt. Jedoch obliegt es nun der zuständigen Anti-Doping-Organisation bzw. Swiss Sport Integrity den Nachweis zu erbringen, dass die Athlet*innen wussten, dass die Betreuungsperson gesperrt ist (siehe Schnydrig/Steiner, S. 67 und auch Mortsiefer, S. 11). In der Praxis ist dieser Nachweis kaum erbringbar, es sei denn durch Geständnis der betroffenen Athlet*innen. Bisher wurde dieser Dopingverstoss in der Schweiz weder verfolgt noch nachgewiesen.

7. Handlungen, um jemanden von einer Meldung an die Behörden abzubringen oder Vergeltung zu üben

[46]

Dieser Dopingtatbestand wurde ihm Rahmen der Revision des WADC auf den 1. Januar 2021 neu eingeführt und in Art. 2.11 Doping-Statut umgesetzt. Demnach können Athlet*innen oder andere Personen sanktioniert werden, wenn sie Personen, die einen Dopingverstoss melden oder mit den Behörden kooperieren, bedrohen, einschüchtern oder Vergeltung an ihnen ausüben. Diese Bestimmung soll insbesondere sog. Whistleblower besser schützen (Schnydrig/Steiner, S. 67 sowie Haas/Strub, S. 122).

[47]

In der Praxis hat dieser Verstoss bis jetzt noch keine Relevanz, bzw. es wurde in der Schweiz noch kein Verstoss gegen Art. 2.11 Doping-Statut verfolgt und festgestellt.

III. Sanktionen

[48]

Die vorerwähnten elf Tatbestände bzw. Dopingverstösse werden nach einem mehr oder weniger detailliert festgelegten Sanktionskatalog geahndet. Das Doping-Statut sieht einen relativ starren Sanktionsrahmen vor und überlässt Art sowie Dauer der Sanktion nur in gewissen, ganz spezifisch definierten Fällen der Rechtsprechung.

A. Annullierung von Ergebnissen

[49]

Ein Verstoss gegen Anti-Doping-Bestimmungen in Einzelsportarten führt automatisch zur Annullierung der in einem Wettkampf erzielten Ergebnisse, wenn die Dopingkontrolle im Wettkampf stattfindet. Die Annullierung schliesst auch die Aberkennung von Medaillen, Punkten und Preisen ein (siehe Art. 9.1 Doping-Statut). Dasselbe gilt für Einzelsportarten, bei denen Teams ausgezeichnet werden (siehe Art. 9.2 Doping-Statut). Bei Teamsportarten sind es die individuell einem Spieler zurechenbaren Auszeichnungen, die automatisch annulliert werden (siehe Art. 9.3 Doping-Statut. Für Sanktionen gegenüber Teams, siehe nachfolgend Rz. 104). Wettkampf steht für ein einzelnes sportliches Ereignis, ein Rennen, ein Kampf oder ein Spiel, bspw. ein Eishockeyspiel (siehe Definition «Wettkampf» im Anhang Doping-Statut).

[50]

Darüber hinaus können alle Ergebnisse einer Wettkampfveranstaltung (und nicht nur eines Wettkampfs) auf Beschluss der zuständigen Organisation annulliert werden, wenn ein Verstoss im Zusammenhang mit dieser Wettkampfveranstaltung vorliegt (siehe Art. 10.1.1 Doping-Statut). Eine Wettkampfveranstaltung ist eine Reihe einzelner Wettkämpfe, die von einem Ausrichter durchgeführt werden, wie z.B. die Olympischen Spiele oder die Fussballweltmeisterschaft (siehe Definition «Wettkampfveranstaltung» im Anhang Doping-Statut). Eine solche Annullierung findet jedoch nicht statt, wenn der Athlet nachweist, dass er den Verstoss weder vorsätzlich noch fahrlässig begangen hat, und wenn der Verstoss die in anderen Wettkämpfen erzielten Ergebnisse nicht beeinflusst hat (siehe Art. 10.1.2 Doping-Statut). Hierbei handelt es sich um eine sog. «Kann»-Bestimmung. Im Gegensatz zur automatischen Annullierung nach Art. 9 Doping-Statut, steht es im vorliegenden Fall der für die Wettkampfveranstaltung zuständigen Organisation frei, alle Ergebnisse zu annullieren.

B. Sperre

[51]

Bei der Sperre handelt es sich um die wichtigste Sanktion im Bereich des Dopings. Eine Sperre kann nicht nur gegenüber Athlet*innen sondern auch gegenüber Betreuungspersonen, Funktionär*innen und anderen im Sport tätigen Personen ausgesprochen werden. Der Status der gesperrten Person während einer Sperre wird unter Art. 10.14.1 Doping-Statut dargelegt (siehe nachstehend Rz. 90). Gemäss Art. 15.1.1 Doping-Statut gilt eine Dopingsperre in einer Sportart ebenfalls für alle anderen Sportarten. Die Sperre ist zudem weltweit gültig, d.h. sie muss von allen Signataren des WADC befolgt werden.

[52]

Die Art der Sanktion bzw. Dauer der Sperre hängt von diversen Faktoren ab, nicht zuletzt vom begangenen Dopingverstoss Der Mechanismus des Doping-Statuts sieht vor, dass zuerst eine sog. Standardsperre gemäss Art. 10.2 oder Art. 10.3 Doping-Statut eingesetzt wird, und diese dann im Anschluss aufgrund der Schwere des Verschuldens, wegen erschwerender Umstände oder weiterer Gründe angepasst wird. In der Praxis wird eine angemessene Sanktion in vier Schritten ermittelt: Erster Schritt ist die Determinierung der Standardsperre. In einem zweiten Schritt, sofern die Standardsperre ein Sanktionsspektrum anbietet (z.B. von einer Verwarnung bis zu zwei Jahren Sperre), geht es darum, die Dauer der Sperre aufgrund des Verschuldens des Athleten zu definieren. Als dritter Schritt werden alle Reduktionsgründe angewandt, die nicht auf Verschulden basieren, und im letzten Schritt geht es darum, den Beginn der Sperre im Sinne von Art. 10.13 Doping-Statut zu determinieren (siehe auch Rigozzi/Haas/Wisnosky/Viret, S. 8-10).

1. Standardsperren

a. Sperre bei positiver Dopingprobe, Anwendung und Besitz
[53]

Im Falle einer positiven Dopingprobe (AAF bzw. Vorhandensein; siehe vorstehend Rz. 10 ff.), der Anwendung (siehe vorstehend Rz. 13 ff.) oder des Besitzes (siehe vorstehend Rz. 32 ff.) einer verbotenen Substanz oder Methode sehen die Art. 10.2.1 und 10.2.2 Doping-Statut ein Sanktionssystem vor, welches von der involvierten Substanz oder Methode abhängt. Wenn der Dopingverstoss eine nicht-spezifische Substanz (siehe Art. 4.2.2 Doping-Statut sowie Dopingliste) betrifft, beträgt die Standardsperre vier Jahre. Diese Sanktion setzt voraus, dass der Verstoss vorsätzlich erfolgt ist. Wenn die Athletin, der Athlet oder eine dritte Person jedoch nachweisen kann, dass der Verstoss nicht vorsätzlich erfolgt ist, beträgt die Standardsperre zwei Jahre. Betrifft der Dopingverstoss demgegenüber eine spezifische Substanz, beträgt die Standardsperre nur dann vier Jahre, wenn Swiss Sport Integrity nachweisen kann, dass der Verstoss vorsätzlich begangen wurde. Andernfalls beträgt die Sperre zwei Jahre.

[54]

Es gilt festzuhalten, dass die Beweislast für den Nachweis von Vorsatz nicht bei denselben Akteuren liegt, je nachdem ob es sich um spezifische oder nicht-spezifische Substanzen und Methoden handelt (für weitere Ausführungen zur Beweislast wird auf Steiner, Rz. 24 ff. verwiesen). Dieser Unterschied wird dadurch begründet, dass spezifische Substanzen unbeabsichtigt in den Körper eines Athleten gelangen können, so dass dem Athleten ein grösserer Handlungsspielraum eingeräumt werden muss.

[55]

Der Nachweis des Vorsatzes ist daher bei der Festlegung der Standardsperre von zentraler Bedeutung. In Art. 10.2.3 Doping-Statut ist diesbezüglich festgehalten: «Der (…) Begriff «vorsätzlich» wird für Athleten und andere Personen verwendet, die ein Verhalten an den Tag legten, von dem sie wussten, dass es einen Verstoss gegen Anti-Doping-Bestimmungen darstellt beziehungsweise dass ein hohes Risiko besteht, dass dieses Verhalten einen Verstoss gegen Anti-Doping-Bestimmungen darstellen oder zu einem solchen Verstoss führen könnte und sie dieses Risiko bewusst eingingen.» Diese Definition orientiert sich nicht an den im juristischen Bereich, insbesondere im Strafrecht, bekannten klassischen Begriffen «Vorsatz» und «Fahrlässigkeit». Die Qualifikation eines Verhaltens als vorsätzlich im Bereich des Dopingrechts kann sich als komplex erweisen, insbesondere wenn es darum geht, festzustellen, ob bereits ein unvorsichtiges Verhalten einem Vorsatz gleichkommt.

[56]

In dieser Hinsicht hat das CAS mit seiner Rechtsprechung einen Rahmen geschaffen, um zu bestimmen, ob ein unvorsichtiges Verhalten als vorsätzlich (dann spricht man von indirektem Vorsatz bzw. Eventualvorsatz) oder als nicht vorsätzlich (Fahrlässigkeit) eingestuft werden kann. Damit ein Verhalten als (eventual-)vorsätzlich zu qualifizieren ist, muss die betroffene Person die Verwirklichung des Dopingverstosses gewollt oder zumindest billigend in Kauf genommen haben. Umgekehrt wird ein Verhalten als fahrlässig eingestuft, wenn die betroffene Person zwar erkennt, dass sie mit ihrem Verhalten einen Dopingverstoss begehen könnte, jedoch glaubhaft – und nicht nur vage – darauf vertraut, dass der Verstoss nicht eintritt (siehe CAS 2020/A/7536 Ashley Kratzer v. International Tennis Federation [ITF] vom 15. Juni 2021 [E. 94]). Es liegt insbesondere dann ein vorsätzliches Verhalten vor, wenn die betroffene Person das Risiko eines Verstosses gegen Anti-Doping-Bestimmungen offensichtlich ignoriert hat und zusätzliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass deren Verhalten über (grobe) Fahrlässigkeit hinausging. Im konkreten Fall wurde ein Athlet positiv auf ein Stimulans getestet. Er kannte die Anti-Doping-Bestimmungen nicht, wusste nicht, was er zu sich nahm, und kümmerte sich nicht darum, abzuklären, was die von ihm eingenommen Nahrungsergänzungsmittel enthielten. Gleichzeitig behauptete er aber, dass für sein positives Resultat ein Produkt ursächlich war, welches nachweislich das fragliche Stimulans nicht enthielt. Sein Verhalten stellte ein so hohes Mass an Rücksichtslosigkeit (recklessness) dar, dass er hätte wissen müssen, dass ein erhebliches Risiko bestand, dass sein Verhalten zu einem Dopingverstsoss führen könnte, und dass er dieses Risiko offenkundig missachtet hat (siehe CAS 2016/A/4716 Cole Henning v. South African Institute for Drug-Free Sport [SAIDS] vom 9. März 2017 [E. 70-75]). Im Fall CAS 2012/A/2822 Erkand Qerimaj v. International Weightlifting Federation (IWF) vom 12. September 2012 (E. 8.14) hielt das CAS fest, dass indirekter Vorsatz vorliegt, wenn das Verhalten des Athleten zwar primär auf ein Ergebnis ausgerichtet ist, aber für den Fall, dass ein Nebenergebnis eintritt, dieses vom Athleten ebenfalls in Kauf genommen wird. Dies wurde mit folgendem, treffendem Beispiel illustriert: Wenn ein Athlet durch ein Minenfeld läuft und dabei alle Stoppschilder auf seinem Weg ignoriert, kann er durchaus die Absicht haben, das Minenfeld unbeschadet zu durchqueren. Wenn er aber auf diese rücksichtslose Weise handelt, dann nimmt er irgendwie auch in Kauf, dass er auf eine Mine treten kann, sprich ein Dopingverstoss begehen kann. Bei der Entscheidung, ob ein Verhalten rücksichtslos (reckless) und damit vorsätzlich oder nur leichtsinnig (oblivious) und damit fahrlässig ist, müssen jedoch die gesamten Umstände des Falles betrachtet werden.

[57]

Das CAS hat zudem festgehalten, dass der Nachweis der Art und Weise wie eine verbotene Substanz in den Körper der Athlet*innen gelangt ist, eine wichtige Tatsache ist, um festzustellen, ob vorsätzlich gehandelt wurde oder nicht. Dieser Nachweis ist aber keine zwingende Voraussetzung für die Feststellung, dass kein Vorsatz vorliegt (siehe unter vielen CAS 2017/A/5178 Tomasz Zieliński v. International Weightlifting Federation [IWF] vom 15. März 2018 [E. 86-88] und CAS 2016/A/4676 Arijan Ademi v. Union European Football Associations [UEFA] vom 24. März 2017 [E. 69-72]).

[58]

Darüber hinaus hat das CAS seine Rechtsprechung, dass eine Reduktion der Sanktion aufgrund eines fehlenden (groben) Verschuldens ausgeschlossen ist, wenn ein vorsätzlich begangener Verstoss vorliegt, mehrfach bestätigt (siehe insbesondere CAS 2016/A/4609 WADA v. Indian National Anti-Doping Agency [Indian NADA] & Dane Pereira vom 19. Januar 2017 und CAS 2017/A/5022 FIFA v. Confederaçao Brasileira de Futebol [CBF] & Cristiano Lopes vom 28. September 2017, namentlich E. 81).

[59]

Im WADC 2021 – sowie im Doping-Statut – wurde ein Kommentar zu Art. 10.6.2 eingefügt, der klarstellt, dass eine Reduktion der Sperre aufgrund fehlenden groben Verschuldens nicht in Frage kommt, wenn Vorsatz ein Element des Verstosses oder der Sanktion ist (siehe Rz. 66 ff.).

b. Sperre bei anderen Verstössen und erschwerende Umstände
[60]

Wie eingangs erwähnt, sieht Art. 10.3 Doping-Statut Sanktionen vor, die für alle weiteren Dopingverstösse gelten. So beträgt die Sperre bei einem Verstoss gegen Art. 2.3 und 2.5 Doping-Statut, d.h. bei Weigerung oder unzulässiger Einflussnahme, vier Jahre. Gleichwohl beträgt die Sperre bloss zwei Jahre, wenn eine Athletin bzw. ein Athlet, die bzw. der sich geweigert hat, eine Dopingprobe abzugeben, nachzuweisen vermag, dass er nicht vorsätzlich gehandelt hat. Wenn der Athlet oder die andere Person aussergewöhnliche Umstände nachweisen kann, beträgt die Sperre je nach Schwere des Verschuldens zwischen zwei und vier Jahren (siehe Rz. 66 ff. für detaillierte Ausführungen zur Schwere des Verschuldens). Sollte es sich beim Athleten um einen Freizeitsportler (siehe nachstehend Rz. 78 ff.) oder eine schutzbedürftige Person (siehe nachstehend Rz. 87 ff.) handeln, dann liegt das Sanktionsspektrum zwischen einer Verwarnung ohne Sperre und einer zweijährigen Sperre, je nach Schwere des Verschuldens (siehe Art. 10.3.1 Doping-Statut).

[61]

Bei Verstössen gemäss Art. 2.4 Doping-Statut, d.h. bei Meldepflichtverstössen, beträgt die Sperre grundsätzlich zwei Jahre. Je nach Schwere des Verschuldens ist jedoch eine Reduktion der Sperre bis auf mindestens ein Jahr denkbar (siehe Art. 10.3.2 Doping-Statut).

[62]

Die Dauer der Sperre bei Verstössen gegen Art. 2.7 und 2.8 Doping-Statut (Inverkehrbringen und Verabreichung) beträgt mindestens vier Jahre und kann bis hin zu einer lebenslangen Sperre reichen, je nach Schwere des Verstosses. Eine lebenslange Sperre wird insbesondere dann ausgesprochen, wenn eine schutzbedürftige (minderjährige) Person involviert ist. Denn dann sprechen wir von einem besonders schwerwiegenden Verstoss (siehe Art. 10.3.3 Doping-Statut). Diesem strengen Regime bei diesen Tatbeständen liegt folgende Logik zugrunde. Die sog. Hintermänner bzw. -frauen sollen härteren Sanktionen unterworfen werden (siehe Kommentar zu Art. 10.3.3 Doping-Statut).

[63]

Bei Verstössen gemäss Art. 2.9 (Mittäterschaft) wie auch 2.11 Doping-Statut (Handlungen, um jemanden von einer Meldung an die Behörden abzubringen oder Vergeltung zu üben) beträgt die Sperre mindestens zwei Jahre bis lebenslang (siehe Art. 10.3.4 und 10.3.6 Doping-Statut).

[64]

Verstösse gemäss Art. 2.10 Doping-Statut (verbotener Umgang) werden mit einer Sperre von zwei Jahren geahndet, wobei die Sperre je nach Schwere des Verschuldens maximal um die Hälfte reduziert werden kann (siehe Art. 10.3.5 Doping-Statut).

[65]

In besonderen Fällen, in denen Swiss Sport Integrity erschwerende Umstände nachweisen kann, können die vorerwähnten Sanktionsobergrenzen um bis zu zwei Jahre überschritten werden (siehe Art. 10.4 Doping-Statut). Diese Erhöhung des Strafrahmens wird auf der Grundlage der Schwere des Verstosses und der Art der erschwerenden Umstände festgelegt. Zu den erschwerenden Umständen gehören unter anderem die folgenden Situationen: Ein Athlet oder eine andere Person hat mehrere verbotene Substanzen oder Methoden angewendet oder war in deren Besitz, hat eine verbotene Substanz oder Methode bei mehreren Gelegenheiten angewendet oder war in deren Besitz oder hat mehrere andere Verstösse gegen die Anti-Doping-Bestimmungen begangen; ein Athlet oder eine andere Person hat versucht, die Entdeckung oder Ahndung eines Verstosses gegen Anti-Doping-Bestimmungen durch Täuschung oder Behinderung zu umgehen, oder der Athlet oder die andere Person hat während des Resultatmanagements oder des Disziplinarverfahrens einen unzulässigen Einfluss ausgeübt (siehe Definition «erschwerende Umstände» im Anhang Doping-Statut.

2. Reduktionsgründe

a. Verschulden
[66]

Die Anti-Doping-Bestimmungen kennen drei Anwendungsfälle von Verschulden. «Fehlendes Verschulden», «Verschulden» und «grobes Verschulden». Wenn die Athletin, der Athlet oder die andere Person nachweisen kann, dass «kein Verschulden» (auch «fehlendes Verschulden» genannt) vorliegt, wird die ansonsten geltende Sperre aufgehoben (siehe Art. 10.5 Doping-Statut). Wenn die Athletin, der Athlet oder die andere Person nachweist, dass «kein grobes Verschulden» (auch «fehlendes grobes Verschulden» genannt), bspw. in Form grober Fahrlässigkeit, vorliegt, wird er oder sie eine Reduktion der Sperre erreichen (siehe Art. 10.6 Doping-Statut). Bei Verstössen gegen Art. 2.1 (Vorhandensein), Art. 2.2 (Anwendung) oder Art. 2.6 (Besitz) i.V.m. einer spezifischen Substanz oder Methode, bei denen kein grobes Verschulden vorliegt, liegt die Sanktion zwischen einer Verwarnung ohne Sperre und einer Sperre von maximal zwei Jahren. Dasselbe gilt, wenn die nachgewiesene Substanz aus einem kontaminierten Produkt stammt oder wenn der Verstoss von einer schutzbedürftigen Person oder einem Freizeitsportler begangen wird (siehe nachstehend Rz. 78 ff. sowie 87 ff.).

[67]

Im Anhang Doping-Statut wird «Verschulden» definiert als «eine Pflichtverletzung oder ein Mangel an Sorgfalt in einer bestimmten Situation». «Kein Verschulden» wird darin definiert, als dass «kein Verschulden» bedeutet, dass überhaupt kein Verschulden vorliegt, auch nicht in Form von Fahrlässigkeit. Weiter ist festgehalten: «Der Nachweis durch eine Athletin oder andere Person, dass sie weder wusste noch vermutete noch unter Anwendung äusserster Sorgfalt hätte wissen oder vermuten können, dass sie eine verbotene Substanz oder Methode angewendet hat oder dass ihr eine verbotene Substanz oder Methode verabreicht wurde oder dass sie auf anderer Weise gegen eine Anti-Doping-Bestimmung verstossen hat.» «Kein grobes Verschulden» wird seinerseits definiert als «[d]er Nachweis durch den Athleten oder eine anderen Person, dass das Verschulden unter Berücksichtigung aller Umstände und der Kriterien für «kein Verschulden» in Bezug auf den Verstoss nicht zumindest grobfahrlässig war.» Sowohl für fehlendes Verschulden als auch für fehlendes grobes Verschulden müssen Athlet*innen im Falle eines Verstosses gemäss Art. 2.1 auch nachweisen, auf welche Weise die verbotene Substanz in ihren Körper gelangt ist. Dieser Nachweis ist – im Gegensatz zum fehlenden Vorsatz (siehe Rz. 57) – vorliegend zwingend erforderlich, damit eine Reduktion der Sanktion aufgrund von fehlendem (grobem) Verschulden möglich wird (Haas, S. 32 sowie CAS 2021/A/7768 Bauyrzhan Islamkhan v. Asian Football Confederation [AFC] & Al Ain FC vom 16. März 2022, insbesondere E. 242: «Since the Player failed to determine the source of MHA, he cannot take advantage of the mechanisms […] to claim a reduction of the period of ineligibility […]»).

[68]

Wenn nachgewiesen werden kann, dass kein grobes Verschulden vorliegt, muss die Sanktion, die dann maximal eine zweijährige Sperre ist, in Anwendung von Art. 10.6.1 Doping-Statut entsprechend der Schwere des Verschuldens des Athleten oder der anderen Person festgelegt werden. Gemäss der Definition von «Verschulden» im Anhang Doping-Statut sind die Faktoren, die bei der Bewertung der Schwere des Verschuldens von Athlet*innen oder anderen Personen zu berücksichtigen sind, bspw. deren Erfahrung, ob der Athlet, die Athletin oder die andere Person eine schutzbedürftige Person ist, das Risiko, das ein Athlet hätte erkennen müssen, sowie die Sorgfalt und Prüfung in Bezug auf das Risiko, das hätte erkannt werden müssen. Die in Betracht gezogenen Umstände müssen spezifisch und relevant sein, um eine Abweichung von der erwarteten Verhaltensnorm zu erklären.

[69]

Die neuere Rechtsprechung des CAS (siehe insbesondere CAS 2021/A/8056 Olga Pestova v. Russian Anti-Doping Agency (RUSADA) vom 23. Mai 2022 [E. 102]) schlägt für die Sanktionen einen Beurteilungsrahmen des (kein grobes) Verschuldens nach Schweregraden in zwei Kategorien vor. Ein normaler Verschuldensgrad (normal degree of fault) rechtfertigt eine Sperre zwischen 12 und 24 Monaten, wobei zu beachten ist, dass ein normales Standardverschulden eine Sperre von 18 Monaten rechtfertigt. Ein leichter Verschuldensgrad (light degree of fault) rechtfertigt eine Sperre zwischen null und 12 Monaten, wobei zu beachten ist, dass ein leichtes Standardverschulden zu einer Sperre von sechs Monaten führt. Nach der Rechtsprechung müssen bei der Bestimmung des Verschuldensgrades sowohl der objektive als auch der subjektive Aspekt des Verschuldens berücksichtigt werden. Das objektive Element besteht in der Sorgfalt, die von einer vernünftigen Person in der gleichen Situation wie die Athletin, der Athlet oder die andere Person erwartet werden kann, und das subjektive Element besteht in dem, was von der Athletin, vom Athleten oder der anderen Person angesichts ihrer persönlichen Fähigkeiten erwartet werden kann. Im Hinblick auf das objektive Element wird der Verschuldensgrad bestimmt (d.h. in welche Kategorie der Schwere des Verschuldens der Verstoss fällt, bspw. normal oder leicht). Das subjektive Element kann sodann verwendet werden, um die Sanktion im Rahmen der festgelegten Kategorie (sog. Sanktionsrahmen) nach oben oder unten festzulegen. Nur in Ausnahmefällen kann das subjektive Element rechtfertigen, dass der Sanktionsrahmen, sprich die Kategorie der Schwere des Verschuldens bzw. der Verschuldensgrad (normal oder leicht) geändert wird (siehe Fall Pestova [CAS 2021/A/8056, E. 103], CAS 2017/A/5301 & 5302 Sara Errani v. International Tennis Federation [ITF] & National Anti-Doping Organisation (Nado) Italia v. Sara Errani und ITF vom 8. Juni 2018 [E. 188-198], CAS 2013/A/3327 & 3335 Marin Cilic v. International Tennis Federation (ITF) & International Tennis Federation (ITF) v. Marin Cilic vom 11. April 2014 [E. 71-77]).

[70]

In der Bewertung des Verschuldens gilt es zu beachten, dass im Allgemeinen von einer Athletin bzw. einem Athleten vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie bzw. er bestimmte Schritte einhält: 1) das Etikett des verwendeten Produkts lesen (oder sich auf andere Weise von den Inhaltsstoffen überzeugen), 2) sicherstellen, dass die Inhaltsstoffe des verwendeten Produkts nicht auf der Dopingliste stehen, 3) eine Internetrecherche über das verwendete Produkt durchführen, 4) sicherstellen, dass das Produkt aus einer vertrauenswürdigen Quelle stammt, und schliesslich 5) unter den folgenden Umständen vor der Einnahme des Produkts einschlägige Experten konsultieren und ihnen sorgfältig Anweisungen geben (siehe Fall Cilic [CAS 2013/A/3327 & 3335, E. 74]).

[71]

In ihrem Entscheid vom 22. Juli 2021 i.S. Antidoping Schweiz – K.H., verurteilte die DK einen Athleten wegen des Vorhandenseins von Nikethamid in seiner Urinprobe zu einer neunmonatigen Sperre (siehe Haas/Strub, S. 126 f.). Der betreffende Athlet hatte argumentiert, dass er sich nicht bewusst gewesen sei, dass die Einnahme von «Gly-Coramin»-Tabletten bei einer Dopingkontrolle zu einer positiven Dopingprobe führen könnte. Aufgrund des strict liability-Prinzips (siehe vorstehend Rz. 11 f.) war der Athlet verantwortlich für die verbotene Substanz, die in seinen Körper gelangt war. Gleichwohl wurde bezüglich Festlegung der Sanktion bzw. Sanktionszumessung die Schwere des Verschuldens berücksichtigt. So stufte die DK den Verschuldensgrad in Anbetracht der Umstände, zu denen das Alter und der Beruf des Athleten gehörten, als mittelschwer ein. Wenn man auf diesen Fall nun die neuere Rechtsprechung Pestova des CAS (siehe Rz. 69) anwenden würde, würde eine Sperre höher ausfallen.

b. Substanzielle Unterstützung
[72]

Gemäss Art. 10.7.1 Doping-Statut kann die gegen eine Athletin, einen Athleten oder eine andere Person verhängte Sperre aufgehoben, reduziert oder ausgesetzt werden, wenn eine substanzielle Unterstützung bei der Entdeckung oder dem Nachweis von Verstössen gegen Anti-Doping-Bestimmungen geleistet wird. Diese Unterstützung muss sich grundsätzlich auf den Verstoss gegen Anti-Doping-Bestimmungen einer dritten Person beziehen und muss es einer Anti-Doping-Organisation ermöglichen, einen solchen Verstoss aufzudecken oder zu verfolgen.

[73]

Dabei handelt es sich um die Möglichkeit der Aussetzung eines Teils einer Sperre für sog. Whistleblower. In der Schweiz wird diese Bestimmung auch Kronzeugenregelung genannt. Mit Einführung des Dopingverstosses in Art. 2.11 Doping-Statut wird insbesondere versucht, dass mehr Athlet*innen von der hier verankerten Möglichkeit der Kronzeugenregelung Gebrauch machen und mit Swiss Sport Integrity resp. anderen Anti-Doping-Behörden kooperieren, um weitere Dopingverstösse von Dritten aufzudecken.

[74]

In der Praxis hatte Swiss Sport Integrity bereits Fälle, in denen der DK eine Aussetzung einer Sperre beantragt wurde. Beispielhaft sei hier folgender Fall erwähnt. Anstelle einer Sperre von 48 Monaten sprach die DK eine effektive Sperre von 22 Monaten aus, da der betroffene Athlet mit Swiss Sport Integrity intensiv kooperierte, womit Dopingverstösse anderer Personen aufgedeckt werden konnten. Ohne die Informationen und Kooperation des fraglichen Athleten wäre Swiss Sport Integrity die Aufdeckung der Dopingverstösse nicht möglich gewesen. Die DK hielt in ihrem Entscheid zur Rechtfertigung einer Reduktion und zur Wichtigkeit der Kronzeugenregelung folgendes fest, dass die Aussage eines Kronzeugen eine der wenigen und seltenen Möglichkeiten darstelle, gezielt allfällige Dopingsünder aufzuspüren. Ein solches Verhalten soll belohnt werden.

3. Besondere Fälle

a. Missbrauchssubtanzen
[75]

Missbrauchssubstanzen sind verbotene Substanzen, die in der Gesellschaft häufig ausserhalb des sportlichen Kontexts missbraucht werden (vgl. Art. 4.2.3 Doping-Statut). Gemäss allgemeiner Lebenserfahrung können und werden diese Substanzen auch ohne Zusammenhang mit sportlichen Leistungen verwendet, bspw. in einem festlichen Kontext oder im Zusammenhang mit einer Abhängigkeit. Die Dopingliste von Swiss Sport Integrity bezeichnet explizit und abschliessend Kokain, Diamorphin (Heroin), Methylendioxymethylamphetamin (MDMA/«Ecstasy») und Tetrahydrocannabinol (THC) als Missbrauchssubstanzen (Stand: Dopingliste 2024).

[76]

Die Einnahme solcher Substanzen kann milder bestraft werden. Tatsächlich sieht Art. 10.2.4 zwei besondere Möglichkeiten der Sanktionierung bei Verstössen vor, bei denen eine Missbrauchssubstanz involviert ist. Wenn Athlet*innen nachweisen können, dass die Einnahme der Substanz ausserhalb des Wettkampfes und nicht im Zusammenhang mit sportlicher Leistung stattgefunden hat, beträgt die Sperre drei Monate. Darüber hinaus kann die Sperre auf einen Monat verkürzt werden, wenn der oder die betroffene Athlet*in an einem von Swiss Sport Integrity genehmigten Rehabilitationsprogramm teilnimmt (Art. 10.2.4.1 Doping-Statut). In der Praxis fehlt es oftmals am Nachweis, dass die Substanz ausserhalb des Wettkampfes, d.h. nicht am Wettkampftag, eingenommen wurde. Wenn also nun die Einnahme der Substanz im Wettkampf erfolgte und der oder die Athlet*in nachweisen kann, dass dies nicht im Zusammenhang mit der sportlichen Leistung geschah, wird die Einnahme nicht als vorsätzlich im Sinne von Art. 10.2.1 Doping-Statut angesehen, so dass grundsätzlich von einer zweijährigen Sperre anstelle einer vierjährigen ausgegangen wird (Art. 10.2.4.2 Doping-Statut).

[77]

Um festzustellen, ob eine Missbrauchssubstanz im oder ausserhalb des Wettkampfes verwendet wurde, hat die WADA für die Praxis eine Guidance note publiziert, in der für Kokain und Cannabis (THC) sog. Entscheidungsgrenzwerte angegeben sind (siehe WADA-Guidance note). Ab einer Konzentration, die höher als der jeweilige Entscheidungsgrenzwert ausfällt, kann höchstwahrscheinlich davon ausgegangen werden, dass die Substanzen im Wettkampf verwendet wurden. Diese Guidance note gilt jedoch nicht absolut. Die DK hielt im Entscheid vom 22. Dezember 2022 i.S. Swiss Sport Integrity – F.C. (E. 16) nämlich fest, dass aufgrund der WADA-Guidance note vermutet werden kann, dass eine Verwendung im Wettkampf stattgefunden hat, diese Vermutung jedoch auf der Grundlage von stichhaltigen Beweisen widerlegt werden kann.

b. Freizeitsportler
[78]

Das Doping-Statut gilt für Athlet*innen, Betreuungspersonen oder andere Personen, die bestimmte Voraussetzungen gemäss Art. 5.2 erfüllen (siehe vorstehend Rz. 7). Eine Athletin ist jede Person, die im Hinblick auf Wettkämpfe Sport treibt und/oder an Wettkämpfen teilnimmt (siehe Definition «Athlet» im Anhang Doping-Statut). Der Kommentar zu dieser Definition besagt, dass Personen, die Sport treiben, einer der folgenden fünf Kategorien angehören können: 1) International-Level-Athlet*innen, 2) National-Level-Athlet*innen, 3) Athlet*innen, die keine International-Level- oder National-Level-Athlet*innen sind, für die Swiss Sport Integrity jedoch zuständig ist, 4) Freizeitsportler*innen oder 5) Personen, für die Swiss Sport Integrity nicht zuständig ist.

[79]

Freizeitsportler*innen sind Athlet*innen, die von Swiss Sport Integrity in einer Einzelfallbeurteilung als solche qualifiziert werden. Ausgenommen von der Qualifikation als Freizeitsportler*in sind jedoch Athlet*innen, die in den letzten fünf Jahren vor einem Verstoss gegen Anti-Doping-Bestimmungen International-Level- oder National-Level-Athlet*innen waren, ein Land bei einer internationalen Wettkampfveranstaltung in der für die jeweilige Disziplin höchsten Kategorie vertreten haben oder in einen Kontrollpool (vgl. Rz. 24 f.) aufgenommen wurden (siehe Definition «Freizeitsportler» im Anhang Doping-Statut). Demnach gilt es vorab abzuklären, wer unter die Ausschlusskriterien fällt, bzw. als International- oder National-Level-Athlet*in zu qualifizieren ist.

[80]

Ein International-Level-Athlet ist per definitionem ein Athlet, der entsprechend der Definition des jeweiligen Internationalen Sportverbands als solcher definiert wird (siehe Definition «International-Level-Athlet» im Anhang Doping-Statut). Die International Testing Agency (ITA) führt Anti-Doping-Aktivitäten für eine Vielzahl von Internationalen Sportverbänden durch. Praktischerweise publiziert die ITA für diejenigen Sportverbände, für die sie zuständig ist, eine Liste der International-Level-Athlet*innen, bzw. die Kriterien, um als solche qualifiziert zu werden (siehe Liste International Level Athlete Definitions). Wer in seiner Sportart die aufgeführten Kriterien erfüllt, ist International-Level-Athlet*in und kann somit nicht Freizeitsportler*in sein.

[81]

Demgegenüber ist eine National-Level-Athletin eine Athletin, die in Übereinstimmung mit den Ausführungsbestimmungen von Swiss Sport Integrity als solche definiert wird (siehe Definition «National-Level-Athlet» im Anhang Doping-Statut). Swiss Sport Integrity bestimmt die National-Level-Athlet*innen in Art. 4.3 ABDE mit Verweis auf ihre Website. Mit dem interaktiven Tool auf der Website können sodann alle Athlet*innen von unterstellten Sportverbänden abschliessend überprüfen, ob sie als National-Level-Athlet*innen gelten. Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass Swiss Olympic Card Inhaber*innen als National-Level-Athlet*innen gelten. Wer nun National-Level-Athlet*in ist, kann nicht Freizeitsportler*in sein.

[82]

In der Praxis prüft Swiss Sport Integrity bei der Qualifikation eines Athleten als Freizeitsportler insbesondere sein Niveau, den Stellenwert, den der Sport bzw. das Training in seinem Leben einnimmt, ob er Einnahmen aus dem Sport erzielt sowie die angestrebten Ziele. Die Kriterien müssen je nach Sportart gewichtet werden, da die einzelnen Sportarten sehr unterschiedliche Merkmale aufweisen. Beispielsweise gibt es in der Schweiz Sportarten, in denen selbst auf höchstem Niveau keine Einnahmen bzw. finanziellen Gewinne erzielt werden können.

[83]

Im Fall K.L. (Entscheid der DK vom 8. Februar 2023 i.S. Swiss Sport Integrity – K.L. [E. III.23]) prüfte die DK, ob der fragliche Athlet als Freizeitsportler zu qualifizieren ist, anhand der Kriterien Bekanntheitsgrad, Alter und der Tatsache, dass er mit seiner Sportart kein Einkommen erzielt hatte. Anhand dieser Kriterien stellte die Disziplinarkammer fest, dass der fragliche Athlet ein Freizeitsportler war. Dieser Entscheid war jedoch fehlerhaft. Da der Athlet Spiele in der höchsten Liga seiner Sportart absolviert hatte und dadurch im Kontrollpool Teamsport eingeteilt war, musste er als National-Level-Athlet qualifiziert werden. Die Sache wurde deshalb vor das CAS gezogen, welches ihn schliesslich richtigerweise nicht als Freizeitsportler qualifizierte (CAS 2023/A/9535, 2023/A/9641 WADA v. Swiss Sport Integrity, K.L. und Schweizerischer American Football Verband, noch nicht veröffentlicht). Dieselbe DK mass im Fall R.A., der den Radsport betrifft, dem Kriterium des finanziellen Gewinns grosse Bedeutung bei (Entscheid der DK vom 28. März 2022 i.S. Swiss Sport Integrity – R.A. [E. II.4]). Da der Athlet mit seinen sportlichen Aktivitäten kein Einkommen erzielte, qualifizierte ihn die DK als Freizeitsportler. Auch dieser Fall wurde vor das CAS gezogen, welches den DK-Entscheid umstiess und den betreffenden Athleten nicht als Freizeitsportler qualifizierte (CAS 2022/A/8925, 2022/A/9155 R.A. v. Swiss Sport Integrity vom 5. Oktober 2023 [E.217-224], noch nicht veröffentlicht). Das CAS hielt fest, dass nationale Anti-Doping-Organisationen nicht verpflichtet sind, harte Kriterien vorzusehen, nach welchen Athlet*innen als Freizeitsportler qualifiziert werden. Unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit sei eine Einzelfallbeurteilung nämlich eher geeignet, den Zweck des Begriffs Freizeitsportler*in zu erfüllen. In Bezug auf das Kriterium des finanziellen Gewinns stellte das CAS fest, dass dieses Kriterium zwar in Betracht gezogen werden, aber aufgrund der immensen Unterschiede zwischen den verschiedenen Sportarten nicht allein ausschlaggebend sein könne.

[84]

Die Qualifikation als Freizeitsportler*in ermöglicht den Athlet*innen gewisse Erleichterungen bei den Sanktionen. In Anwendung von Art. 10.3.1 Doping-Statut und je nach Schwere des Verschuldens profieren Athlet*innen von einer Sperre von maximal zwei Jahren und mindestens einer Verwarnung ohne Sperre; dies anstelle einer Standardsperre von vier Jahren bei Verstössen gegen Art. 2.3 (Vereitelung der Probenahme, Weigerung oder Unterlassen) und 2.5 Doping-Statut (unzulässige Einflussnahme).

[85]

Bei Verstössen gegen andere Bestimmungen des Doping-Statuts können Freizeitsportler*innen gemäss Art. 10.6.1.3 Doping-Statut ebenfalls mit einer Sperre von maximal zwei Jahren und mindestens einer Verwarnung ohne Sperre belegt werden, wenn sie nachweisen können, dass kein grobes Verschulden vorliegt und wenn der Verstoss keine sog. Missbrauchssubstanz beinhaltet.

[86]

Hinsichtlich der grundsätzlich zwingenden Veröffentlichung der Sanktion profitieren Freizeitsportler*innen ebenfalls von einer milderen Regelung. Art. 14.3.6 Doping-Statut sieht nämlich vor, dass die Veröffentlichung nicht erforderlich ist. Dennoch ist eine Veröffentlichung möglich. Für diesen Fall ist festgehalten, dass eine Veröffentlichung in einer Weise erfolgen muss, die den Tatsachen und Umständen des Falles angemessen ist, ohne den Namen der betroffenen Person zu nennen. Die Umsetzung dieser Regelung ist jedoch aufgrund von Widersprüchen mit schweizerischem Bundesrecht problematisch.

c. Schutzbedürftige Personen
[87]

Eine schutzbedürftige Person ist ein Athlet oder eine andere natürliche Person, die zum Zeitpunkt des Verstosses gegen Anti-Doping-Bestimmungen entweder das Alter von 16 Jahren noch nicht erreicht hat, oder das Alter von 18 Jahren noch nicht erreicht hat, nicht in einem Kontrollpool eingeteilt ist und noch nie an einer internationalen Wettkampfveranstaltung in einer offenen Kategorie angetreten ist, oder aber nach nationalem Recht als urteilsunfähig gilt (siehe Definition «schutzbedürftige Person» im Anhang Doping-Statut).

[88]

Für schutzbedürftige Personen gelten gemäss Art. 10.3.1, 10.6.1.3 und 14.3.6 Doping-Statut die gleichen Sonderregelungen wie für Freizeitsportler. Sie können ebenfalls milder sanktioniert werden.

[89]

In der Praxis hat sich die DK noch nicht mit einem Fall befasst, der eine schutzbedürftige Person betraf. Als Beispiel für eine schutzbedürftige Person sei Kamila Valieva genannt, die minderjährige russische Eiskunstläuferin, die kürzlich vom CAS für vier Jahre gesperrt wurde aufgrund ihres aufsehenerregenden Dopingfalles anlässlich der Olympischen Spiele 2022 in Peking (CAS 2023/A/9451, 9455, 9456 RUSADA, International Skating Union [ISU], WADA v. Kamila Valieva).

4. Status der Athlet*innen während der Sperre

[90]

Art. 10.14.1 Doping-Statut statuiert das sog. Teilnahmeverbot und regelt den Umfang einer Sperre. Diese Bestimmung sieht nämlich vor, dass es einem gesperrten Athleten oder einer gesperrten Athletin untersagt ist, in irgendeiner Form an einem Wettkampf, einem organisierten Training oder einer anderen Aktivität teilzunehmen, die von einem Signatar (siehe Liste der Signatare), einem Mitglied des Signatars oder einem Club oder einer anderen Organisation, die Mitglied einer Mitgliedsorganisation eines Signatars ist, genehmigt oder organisiert wurde. Mit anderen Worten: Jede Tätigkeit, sei es als Coach, Trainer*in, Athlet*in oder Begleitperson eines Athleten, der sich für einen Wettkampf oder ein Training im Rahmen von Swiss Olympic anmeldet (also in Verbindung mit einem Mitgliedsverband von Swiss Olympic oder einem Verein, der Mitglied eines solchen Verbandes ist), ist untersagt. Dem Athleten wird auch die Teilnahme an Wettkämpfen untersagt, die von einer Profiliga oder einem internationalen oder nationalen Ausrichter genehmigt oder organisiert wurden, sowie die Teilnahme an Aktivitäten des Spitzensports oder nationalen sportlichen Aktivitäten, die staatlich gefördert werden.

[91]

Ein Verstoss gegen das Teilnahmeverbot wird nach Art. 10.14.3 Doping-Statut spezifisch bestraft. Gegen die gesperrte Person kann eine erneute Sperre ausgesprochen werden, die genauso lang sein kann wie die ursprüngliche Sperre und die an deren Ende angehängt wird. Diese erneute Sperre kann je nach Verschulden und den Umständen des Einzelfalls angepasst werden. Es kann aber auch nur eine Verwarnung ohne Sperre ausgesprochen werden, wenn dies angemessen ist. Der Verstoss gegen das Teilnahmeverbot ist kein Verstoss nach Art. 2 Doping-Statut und damit kein eigentlicher Dopingtatbestand. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine Spezialbestimmung, die der Einhaltung der Sperre dienen soll.

5. Anrechnung der provisorischen Sperre

[92]

Die Sperre beginnt grundsätzlich an dem Tag, an dem der Entscheid der DK oder von Swiss Sport Integrity im Falle eines Entscheids im Resultatmanagement getroffen wird (siehe Art. 10.13 Doping-Statut). Wenn die angeschuldigte Person jedoch bereits provisorisch gesperrt wurde und diese Sperre eingehalten hat, wird sie von der Sperre abgezogen, die letztendlich gegen sie verhängt wird (siehe Art. 10.13.2.1 Doping-Statut). In der Praxis wird die DK oder Swiss Sport Integrity die Sperre also am Tag der provisorischen Sperre beginnen lassen, um diese bereits abgesessene Zeit zu berücksichtigen. Für weitere Ausführungen zur provisorischen Sperre siehe Steiner, Rz. 22 f.

C. Finanzielle Sanktionen

[93]

Neben einer Sperre kann ein oder eine Athlet*in, eine Betreuungs- oder andere Person, die gegen die Anti-Doping-Bestimmungen verstossen hat, auch mit einer Geldstrafe belegt werden. Diese wird an dessen oder deren Einkommen angepasst und kann maximal CHF 200'000 betragen (siehe Art. 10.12 Doping-Statut).

[94]

In der Praxis verhängt die DK Geldstrafen in der Grössenordnung von einigen hundert bis zu einigen tausend Franken. Beispielsweise verhängte die DK eine Geldstrafe von CHF 100 gegen einen Athleten mit den finanziellen Mitteln eines Studenten (Entscheid der DK vom 22. Dezember 2022 i.S. Swiss Sport Integrity – F.C.) und eine Geldstrafe von CHF 2’000 gegen einen professionellen Athleten mit grösseren finanziellen Mitteln (Entscheid der DK vom 22. Juni 2022 i.S. Swiss Sport Integrity – A.W.).

D. Besonderheiten in der Sanktionierung

1. Veröffentlichung

[95]

Die im Doping-Statut vorgesehene Veröffentlichung der Sanktionen gilt ebenfalls als Sanktion, weshalb diese in Art. 10 Doping-Statut geregelt ist. In Art. 10.15 Doping-Statut ist festgehalten, dass jede Sanktion obligatorisch und automatisch zu veröffentlichen ist. Art. 14.3.4 Doping-Statut legt als grundsätzlich Minimalvorgabe fest, dass die Veröffentlichung darin besteht, die erforderlichen Informationen auf der Website von Swiss Sport Integrity für einen Monat oder für die Dauer der Sperre – je nachdem, welcher Zeitraum länger ist – zu veröffentlichen.

[96]

Auf Bundesebene sieht das IBSG in Art. 34 Abs. 3 vor, dass die nationale Agentur zur Bekämpfung von Doping (Swiss Sport Integrity) während der Dauer der Sperre die Identität von Sportler*innen, die aufgrund eines Sanktionsentscheids von Wettkämpfen ausgeschlossen sind, im Internet veröffentlicht.

[97]

So veröffentlicht Swiss Sport Integrity in Anwendung sowohl der statutarischen als auch der gesetzlichen Bestimmungen den Namen einer gesperrten Person, die Dauer der Sperre und den Verstoss gegen die Anti-Doping-Bestimmungen auf ihrer Liste der gesperrten Personen, die auf ihrer Website zugänglich ist. Darüber hinaus wird in der Regel eine kurze Zusammenfassung eines Verstosses in der Rubrik «News» der Website veröffentlicht.

[98]

Eine solche Veröffentlichung stellt zweifellos einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dar, die die Privatsphäre und das öffentliche Ansehen von Athlet*innen schützt. Nach Art. 28 ZGB ist ein solcher Eingriff jedoch legitim, wenn er durch Einwilligung des oder der Verletzten gerechtfertigt, gesetzlich vorgesehen oder durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse gerechtfertigt ist.

[99]

Das IBSG regelt in der Schweiz die Bearbeitung von Personendaten im Informationssystem der nationalen Agentur zur Bekämpfung von Doping (Swiss Sport Integrity, siehe Art. 1 Abs. 2 IBSG). In Bezug auf Art. 34 Abs. 3 IBSG heisst es in der Botschaft zur Totalrevision des IBSG (BBl 2014 9587, S. 9602), dass Sperren zusätzlich zu ihrer strafenden Funktion veröffentlicht werden müssen, um gesperrte Athlet*innen daran zu hindern, an Wettkämpfen teilzunehmen, auch an kleineren, d.h. lokalen oder regionalen Wettkämpfen, einschliesslich solcher, für die keine Lizenz erforderlich ist. Ziel ist es, dass die Ausrichter*innen all dieser Wettkämpfe und Sportaktivitäten über die Namen der gesperrten Personen informiert werden, die folglich von diesen Wettkämpfen und Aktivitäten ausgeschlossen werden müssen. Es handelt sich hierbei nicht nur um eine eigenständige Sanktion, sondern auch um die Durchsetzung der Sperre. Im kürzlich ergangenen, noch nicht veröffentlichten Entscheid CAS 2022/A/8583 A.B. v. Swiss Sport Integrity & WADA vom 29. März 2023 (E. 137) befasste sich das CAS mit der Frage der Veröffentlichung und stellte fest, dass es sich bei der Veröffentlichung nicht um einen blossen Ermessensspielraum handelt, sondern um eine verbindliche Regel, wobei Swiss Sport Integrity bei der Art und Weise ihrer Umsetzung einen gewissen Ermessensspielraum behält, insbesondere was die über die Sanktion hinaus veröffentlichten Informationen angeht. In diesem Entscheid wird ausserdem darauf hingewiesen, dass der Anwendungsbereich dieses Grundsatzes bei strenger Auslegung des Wortlauts auf Sportler*innen beschränkt ist und damit das Betreuungspersonal von Sportler*innen ausschliesst, womit nur die Veröffentlichung von Sanktionen wegen Verstössen gegen Anti-Doping-Bestimmungen, die gegen das Betreuungspersonal von Sportler*innen verhängt wurden, weiterhin dem allgemeinen Erfordernis des überwiegenden privaten oder öffentlichen Interesses unterliegt. Ein solches überwiegendes privates Interesse dürfte im Anti-Doping-Kontext jedoch nur schon aufgrund des Tatbestands des verbotenen Umgangs (siehe vorstehend Rz. 44) gegeben sein.

[100]

Wie bereits erwähnt, ist die Bestimmung in Art. 14.3.6 Doping-Statut, wonach die Veröffentlichungspflicht entfällt, wenn der oder die Athlet*in oder die andere Person, die eines Verstosses gegen Anti-Doping-Bestimmungen für schuldig befunden wurde, ein Minderjähriger, eine schutzwürdige Person oder ein Freizeitsportler ist, problematisch. Hierbei handelt es sich um eine lex sportiva, die gegen Bundesrecht verstösst. Die Vorherrschaft des staatlichen Rechts bedeutet, dass es die Grenzen der sportlichen Regelungen festlegt. So kann dieser Art. 14.3.6 Doping-Statut nur im Rahmen der Umsetzung der Veröffentlichung angewendet werden, wenn es um Informationen geht, die über die Identität von Athlet*innen und die Sanktion hinaus veröffentlicht werden.

2. Prozessvergleichende Vereinbarungen

[101]

Das Doping-Statut sieht explizit zwei Arten von prozessvergleichenden Vereinbarungen vor. Die Erste besagt, dass der oder die Athlet*in bei Verstössen, die eine vierjährige Sperre vorsehen, von einer Reduzierung um ein Jahr profitieren kann, wenn er oder sie ein schnelles Geständnis ablegt und die Sanktion akzeptiert (Art. 10.8.1 Doping-Statut). Diese Möglichkeit muss von Swiss Sport Integrity angeboten werden. Der Athlet, die Athletin oder die andere Person hat danach eine nicht verlängerbare Frist von 20 Werktagen, um den Vergleich anzunehmen. Sobald der Vergleich angenommen wurde, kann er nicht mehr angefochten werden und es stehen keine Rechtsmittel mehr zur Verfügung. Da damit ein Verfahren schnell und kostengünstig abgeschlossen werden kann, wird im Gegenzug die eigentlich geltende Sperre um ein Jahr reduziert, wenn sie vier oder mehr Jahre beträgt.

[102]

Bis anhin wurde diese Möglichkeit in der Schweiz ausschliesslich von sog. Importeuren (siehe vorstehend Rz. 17 f. und 31) wahrgenommen und kein*e Spitzenathlet*in hat bisher davon Gebrauch gemacht.

[103]

Die zweite Art von Vergleich ist in Art. 10.8.2 Doping-Statut vorgesehen; es handelt sich um eine Vereinbarung, die sowohl vom Athleten bzw. der Athletin als auch von Swiss Sport Integrity und der WADA angenommen werden muss. Auch in diesem Fall muss der oder die Athlet*in den Verstoss zugeben und die Sanktion akzeptieren. Aufgrund der Notwendigkeit der tripartiten Zustimmung kommt diese Art von Vereinbarung in der Praxis nur selten vor.

[104]

Das Ziel dieser beiden Bestimmungen ist vonseiten der Anti-Doping-Organisation eine effiziente und kostensparende Verfahrensabwicklung, aber auch aufseiten beschuldigten Athlet*innen bringt es Vorteile. Ein sofortiges Geständnis zieht eine 25-prozentige Reduktion der Sperre nach sich, ohne dass ein zumeist langwieriges Verfahren durchlaufen werden muss (siehe auch Schnydrig/Steiner, S. 71). Negativer Effekt eines Vergleichs nach Art. 10.8.1 Doping-Statut ist die Tatsache, dass dadurch Ermittlungen bspw. zu Hintermännern bzw. -frauen gestoppt oder erschwert werden, wenn die beschuldigte Person nicht ausführlich befragt wird.

3. Konsequenzen für Teams

[105]

In Fällen, in denen mehr als zwei Mitglieder eines Teams im Rahmen einer Teamsportart während einer Wettkampfveranstaltung einen Verstoss gegen Anti-Doping-Bestimmungen begangen haben, muss der Ausrichter dieser Veranstaltung eine angemessene Sanktion gegen das Team verhängen (z.B. Punktverlust, Disqualifikation von einem Wettkampf oder einer Veranstaltung oder eine andere Sanktion; siehe Art. 11.2 Doping-Statut). Strengere Sanktionen, die vom Ausrichter der Veranstaltung vorgesehen sind, bleiben gemäss Art. 11.3 Doping-Statut vorbehalten. Unter Teamsport ist jede Sportart zu verstehen, die das Auswechseln von Spielern während eines Wettkampfs zulässt, wie bspw. Fussball oder Eishockey (siehe Definition «Teamsportart» im Anhang Doping-Statut). Im Schweizer Kontext hat diese Bestimmung bisher (noch) keine Anwendung erlangt.

IV. Kritische Einordnung

[106]

Die wichtigsten materiellrechtlichen Aspekte der Dopingbekämpfung in der Schweiz, sprich die Tatbestände bzw. Dopingverstösse sowie die möglichen Sanktionen, werden von der WADA vorgegeben und müssen ausnahmslos übernommen werden. Hier besteht kein Spielraum, im Gegensatz zur Ausgestaltung der Verfahren.

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Es gibt elf Tatbestände des Dopings, die entweder von Athlet*innen, Betreuungs- oder anderen Personen begangen werden können. Voraussetzung, damit ein Verstoss begangen werden kann, ist die Unterstellung unter das Doping-Statut. Die elf Tatbestände werden unterschiedlich oft aufgedeckt. Als gängige bzw. klassische Dopingverstösse können diejenigen gegen Art. 2.1 (positive Dopingprobe, AAF), 2.2 (Anwendung) und 2.6 (Besitz) Doping-Statut benannt werden. Diese Fälle machen den grössten Teil der Arbeit von Swiss Sport Integrity und der DK aus. Dabei gilt es festzuhalten, dass sowohl bei einem AAF als auch bei Anwendung einer verbotenen Substanz das strict liability-Prinzip anwendbar ist. In anderen Worten liegt bei den vorgenannten Dopingverstössen eine verschuldensabhängige Kausalhaftung für die fraglichen Athlet*innen vor. Während in der Praxis Verstösse durch ein AAF zumeist Spitzenathlet*innen vorbehalten bleiben, wird der Tatbestand der (versuchten) Anwendung und des Besitzes oftmals durch Freizeitsportler*innen begangen. Zumeist sind es Importeure und solche, die in einer Polizeikontrolle hängen bleiben, denen eine (versuchte) Anwendung und Besitz nachgewiesen werden kann. Die weiteren Tatbestände treten eher selten bis nie auf, resp. werden nicht erkannt und nachgewiesen.

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Die Sanktionen unter dem WADC resp. dem Doping-Statut sind vielfältig und reichen von der Annullierung der Ergebnisse, über eine Sperre, Geldbusse bis zur Veröffentlichung von Namen, Art des Verstosses und Sanktion. Dabei gilt es zu beachten, dass für die Dauer der Sperre diverse Aspekte wie namentlich Vorsatz und Verschulden ausschlaggebend sind. Eine Standardsperre von zwei oder vier Jahren kann reduziert oder sogar erhöht werden. Ausschlaggebend dafür ist die Schwere des Verschuldens. Daneben gibt es zudem sehr spezifische Aspekte in der Sanktionierung wie bspw. die Möglichkeit für sog. Whistleblower aufgrund der Kronzeugenregel eine beträchtliche Reduktion zu erhalten. Des Weiteren kann auch der Status einer Person Einfluss auf die Dauer der Sperre haben. Für Freizeitsportler*innen und schutzbedürftige Personen sind mildere Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen. Dazu gibt es jede Menge Rechtsprechung, nicht nur der DK sondern auch des CAS, da in der Praxis die vorerwähnten Aspekte oftmals Streitpunkte sind.

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Die Zukunft wird zeigen, in welche Richtung sich die Dopingbekämpfung entwickelt und ob es dabei bleibt, dass die klassischen Dopingverstösse auch die gängigen bleiben.

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