Die Kunst des Verhandelns: Was erfolgreiche Experten wie Prof. em. Dr. Michael Ambühl anders machen

Die Kunst des Verhandelns: Was erfolgreiche Experten wie Prof. em. Dr. Michael Ambühl anders machen

Cedric Frenzer
Cedric Frenzer

Mit seiner Erfahrung als Botschafter, Chefunterhändler, Staatssekretär und Professor für Verhandlungsführung gibt Prof. em. Dr. Michael Ambühl Einblicke in die Arbeit hinter den Kulissen grosser Verhandlungen. Er erklärt, welche Strategien er angesichts der aktuellen geopolitischen Lage verfolgen würde und teilt wertvolle Ratschläge, wie jede:r erfolgreicher verhandeln kann.


Themen: Chefunterhändler, Botschafter, Staatssekretär, Professor, Verhandlung, Diplomatie, Schweiz, EU, USA, Bilaterale, Schweizer Aussenpolitik, Verhandlungsführung, Ratschläge, EDA, EFD, ETH Zürich, Ambühl Meier AG.
Informationen zur Person auf Weblaw People: Michael Ambühl.
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Lesezeit: 5 Minuten.

 

Guten Tag Herr Ambühl. Mit Ihrer Erfahrung als Botschafter, Chefunterhändler, Staatssekretär und Professor für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement an der ETH blicken Sie auf eine beeindruckende diplomatische und akademische Karriere zurück. Welche Erfahrungen und Karriereabschnitte haben Sie persönlich und beruflich am meisten geprägt?

 

Beruflich am meisten geprägt hat mich meine Zeit als ETH-Doktorand in Zürich, mein Posten als 1. Sekretär auf unserer Botschaft in New Delhi und die 8 Jahre, die ich als Botschaftsrat auf unserer Mission bei der EU in Brüssel tätig war. Diese Stationen haben mich auf meine spätere Funktion als Unterhändler am meisten beeinflusst. In Zürich die theoretischen Grundlagen in der Form der Spieltheorie, in Indien die Praxis des Verhandelns im Alltag und in Brüssel die Welt der internationalen Verhandlungen.

 

In den Medien wird häufig nur das Endergebnis von Verhandlungen gezeigt. Wie gestaltet sich die tägliche Arbeit hinter den Kulissen wirklich?

 

Weniger spektakulär als man sich dies vielleicht vorstellt. Vor jeder Verhandlungsrunde muss man sich sorgfältig vorbereiten, indem man sich möglichst genau überlegt: Welches sind die eigenen Ziele, welches die – vermuteten – Absichten der anderen Seite und was ist der Spielraum, den man realistischerweise hat. Darauf basierend, wählt man jenes Vorgehen, mit dem man die eigenen Interessen am besten zu wahren glaubt. Die gute Vorbereitung der Verhandlung ist entscheidend.

 

Welches war die herausforderndste Verhandlung, die Sie geführt haben, und warum?

 

Ich habe viele Verhandlungen geführt, vor jeder hatte ich Respekt und mich gefragt, wie schaffe ich das. Besonders gross war die Herausforderung bei der Schweiz-EU Verhandlung über den Landverkehr der Bilateralen I, bei der ich nicht der Chef der Verhandlungsdelegation, sondern nur deren Antenne in Brüssel war. Die Bilateralen II Verhandlungen, die ich dann als Schweizer Chef-Unterhändler führte, waren auch nicht ganz ohne. Vor allem gab es in Bezug auf «Schengen/Dublin» starke Opposition: In Brüssel fand man zunächst, die Schweiz dürfe als Drittstaat gar nicht Teil des Systems werden, und auch zuhause gab es in der Öffentlichkeit einige Skepsis.

 

Auch in der Rechtsbranche spielen Verhandlungen eine zentrale Rolle. Wie kann man seine Verhandlungskompetenzen in diesem Bereich gezielt verbessern?

 

Indem man einen von uns organisierten Verhandlungskurs besucht (lacht). Spass beiseite: Es gibt viele gute Weiterbildungsangebote, die einem das Bewusstsein, um was es beim Verhandeln gehen sollte, schärft.  Vor allem auch Einführungsbücher stellen einen sinnvollen Einstieg in die Theorie dar. Zudem würde ich im Alltag jede Gelegenheit zum Verhandeln – und sei sie noch so belanglos – nutzen, um mich darin zu üben und systematisch zu analysieren, weshalb die Verhandlung so und nicht anders ausgegangen ist. Übung macht den Meister, die Meisterin. 

Gutes Verhandeln basiert auf der Kombination von Theorie und Kunst: nüchterne Analyse, untermauert mit Theorie, gepaart mit vernunftbasiertem Einschätzungsvermögen und diplomatischem Gespür. - Michael Ambühl

Welche Strategien erachten Sie als besonders wichtig, um Verhandlungen erfolgreich zu führen?

 

Zunächst einmal: es gibt kein Kochbuchrezept für erfolgreiches Verhandeln. Howard Raiffa, ein bekannter Verhandlungstheoretiker spricht in seiner «Negotiation Analysis» [2002] von «Science and Art» der Verhandlungslehre. Dies trifft meines Erachtens ins Schwarze. Gutes Verhandeln basiert auf der Kombination von Theorie und Kunst: nüchterne Analyse, untermauert mit Theorie, gepaart mit vernunftbasiertem Einschätzungsvermögen und diplomatischem Gespür.

 

Ein wenig konkreter: Wichtig ist, dass man zu Beginn nicht nur genau weiss, was man selbst möchte, sondern sich auch in die gegnerische Seite hineindenkt. Und damit die Struktur des Verhandlungsproblems genau analysiert. Wer ist Demandeur, wer hat welche Möglichkeiten und Druckmittel? Welches ist das sogenannte BATNA, die «best alternative to a negotiated agreement»? Was sind also meine Alternativen, wenn ich die Verhandlungen abbreche? Sind sie gut oder schlecht? Was ist das BATNA der anderen Partei? Allgemein kann man sagen, dass das BATNA ein Mass für die Verhandlungsmacht einer Partei ist. Im Fall Schweiz-EU ist es klar, dass die EU ein besseres BATNA hat (womit ich aber nicht suggerieren möchte, dass man in allem und jedem einlenken muss). Demgegenüber ist es beispielsweise im Fall eines «Geiselnehmers versus Polizei» schon schwieriger zu bestimmen, wer in der besseren Position ist, die Verhandlungen abzubrechen.

 

Und welches Vorgehen empfehlen Sie? 

 

Für die Verhandlungen würde ich eine kohärente, deduktiv aufgebaute Argumentation wählen. Gerade wenn Sie in der schwächeren Position sind (wenn sie also ein schlechteres BATNA haben [schon lässt sich ein Stück Theorie anwenden]), dann haben Sie oft nur die Kraft der guten Argumente auf Ihrer Seite. Diese müssen klar strukturiert und nachvollziehbar sein. Und wenn sich die andere Partei in Widersprüche verstrickt, würde ich diese – vorausgesetzt ich erkenne sie – erbarmungslos zerlegen. Eingestanden: Wenn die andere Seite stärker ist, lässt sie sich dadurch nicht immer beirren. So geschehen in Brüssel, wo ich einmal von meinem Verhandlungsgegenüber, den ich wegen einer Inkohärenz zu grillieren versuchte, die Gründe erfahren wollte. Er antwortete darauf lakonisch: «because we have so decided».  Und noch etwas: Tricks und Mätzchen würde ich nicht empfehlen. «Dirty Tricks» schon gar nicht. Wenn die andere Seite solche verwendet, würde ich diese höflich, aber bestimmt zurückweisen.

 

Welche typischen Fehler passieren oft in Verhandlungen und wie kann man sie vermeiden?

 

Dass man widersprüchlich argumentiert oder zu wenig klar ist, so dass Missverständnisse auftreten. Und dass man nicht genügend gut abschätzt, welche anderen Optionen man noch hat. Wenn man ein gutes BATNA hat, sollte man damit spielen. Und wenn man ein schlechtes hat, nicht einfach aufgeben. 

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Auch nach Ihrer Karriere beim Bund haben Sie sich an der ETH und dann in Ihrer Beratungsfirma Ambühl Meier AG intensiv mit Verhandlungen auseinandergesetzt. Was waren Ihre Highlights?

 

Wir beraten Firmen in ihren internen und externen Verhandlungen oder moderieren Verhandlungsprozesse von staatlichen bzw. parastaatlichen Institutionen. Ein Beispiel dazu war das Aushandeln eines Verhandlungs-Leitfadens für Abgeltungen für die Entsorgung nuklearer Abfälle. Ein anderes Beispiel betraf den «Runden Tisch Wasserkraft» des UVEKs, den wir leiteten. Hier ging es um den Prozess der Selektion der ökologisch und ökonomisch besten Wasserkraftprojekte.  Die ausgewählten Projekte wurden in der Abstimmung über das Stromgesetz vor einem Jahr angenommen. Das war für uns ein kleiner Höhepunkt. Gefreut hat uns auch, dass es der von uns geführten Task Force «Verständigungsprozess Davos und seine orthodox-jüdischen Gäste» gelungen ist, die Wogen zu glätten.

 

Wie schätzen Sie die Entwicklung der Beziehung zwischen der Schweiz und den USA nach dem Wechsel im Präsidentenamt ein, und welche strategischen Schritte sollte die Schweiz nun einleiten?

 

Ich bin überzeugt, dass es richtig ist, mit den USA gute Beziehungen zu pflegen, selbst wenn man das erratische und auch sonst irritierende Verhalten ihres Präsidenten unmöglich findet. Es ist wichtig, den Amerikanern unsere Spezifitäten darzulegen und zu versuchen, sie von den Vorteilen eines guten Verhältnisses mit uns zu überzeugen. Das ist natürlich nicht ganz einfach. Wenn wir Trümpfe haben, sollte man sie ausspielen. Einer könnte sein, dass wir als Nichtmitglied der EU leichter und schneller auf US-Positionen eingehen können, im wohlverstandenen Interesse der Schweiz.

Ich bin überzeugt, dass sich die Schweiz, die ich gerne als eine Art «EU in Miniatur» bezeichne, als solidarisches und offenes Land in Europa positionieren sollte. - Michael Ambühl

Sie waren in der Vergangenheit massgeblich an Verhandlungen mit der EU beteiligt. Wie beurteilen Sie das zukünftige Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage?

 

Ich bin überzeugt, dass sich die Schweiz, die ich gerne als eine Art «EU in Miniatur» bezeichne, als solidarisches und offenes Land in Europa positionieren sollte. Als wohlhabendes Land dürfen wir nicht Trittbrett fahren. Das tun wir in Sachen Binnenmarkt nicht, aber sehr wohl in der Sicherheitspolitik. Wir sollten unser diesbezügliches Engagement im europäischen Kontext hochfahren. Indem wir einerseits dafür besorgt wären, im eigenen Alpenraum keine Sicherheitslücken entstehen zu lassen, und wir andererseits bereit wären, europäische Peace-Enforcement und -Keeping Aktionen in der Ukraine tatkräftig zu unterstützen – sobald es dort ein Waffenstillstands-Abkommen gibt.

 

Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken, welche Lehren würden Sie jungen Fachkräften für ihren Berufsweg mit auf den Weg geben. Was würden Sie jenen empfehlen, die eine ähnliche Karriere wir Ihre anstreben. 

 

Allgemein würde ich sagen: Werden Sie zuerst mal eine gute Spezialist:in in der Disziplin, die Sie interessiert, bevor Sie dann eine Generalist:in werden. Ich glaube nämlich, man kann besser eine gute Generalistin werden, wenn man zuerst eine spezielle Sparte zu beherrschen gelernt hat. Zu meiner Karriere: Beide, Wissenschaft und Diplomatie, habe ich stets spannend gefunden, das Zusammenführen von beiden erst recht! Alle, die sich davon auch faszinieren lassen, möchte ich ermuntern, einen solchen Weg zu suchen. Die Diplomatie braucht Leute, die sich um eine wissenschaftlich fundierte, juristisch saubere Argumentation bemühen. 

 

Vielen Dank für die faszinierenden Einblicke in Ihre Karriere und die Kunst des Verhandelns. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg und alles Gute!

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