Onlinekommentare 03.07.2023

Base-Jumping

Sridar Paramalingam
Sridar Paramalingam
Marcel Geser
Marcel Geser

Zitiervorschlag: Sridar Paramalingam / Marcel Geser, Base-Jumping, in: Anne Mirjam Schneuwly/Rahel Müller (Hrsg.), Bergsportkommentar, https://bergsportkommentar.ch/base-jumping, 1. Aufl., (publiziert am 3. Juli 2023).


Kurzzitat: Paramalingam / Geser, Rz. xx.


Literatur

Bram Marina/Bachmann Stefan, Tod am Matterhorn, Beobachter Natur, September 2022; Brodmann Maeder Monika/Andenmatten Simon/Sumiko Lienert Jasmin/Von Wyl Thomas/Exadaktylos Aristomenis K., BASE Jumping in the Lauterbrunnen Valley: A Retrospective Cohort Study from 2007 to 2016, in: International Journal of Environmental Research and Public Health 20/2023, S. 3214 ff.; Ellenberger Lynn/Derrer Philip/Niemann Steffen/Bürgi Flavia/Brügger Othmar, Erhebung 2021: Tödliche Sportunfälle 2000-2020, Bern, Beratungsstelle für Unfallverhütung, 2021; Gehring Kaspar, in: Hürzeler Marc/Kieser Ueli (Hrsg.), KOSS – Kommentar zum schweizerischen Sozialversicherungsrecht: UVG, Zürich 2018; Howard Ron, Stanford Strategic Decision and Risk Management, Slide 31 of 51, Risks that Increase the Annual Death Risk by One Micromort; Kieser Ueli/Gehring Kaspar/Bollinger Susanne, in: Kieser Ueli/Gehring Kaspar/Bollinger Susanne (Hrsg.), Orell Füssli Kommentar (OFK) zum KVG/UVG, Zürich 2018; Majewski Martin, Epidemiologie der Sportunfälle, Schweizerische Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie, 58 (2) 2010, S. 38-42; Müller Rahel, Haftungsfragen am Berg, Diss. Bern 2016; Parzeller Markus/Koch Horst Josef/Raschka Christoph, Todesfälle im Sport anhand von Versicherungsdokumentationen, Institut für Sportwissenschaften, Universität Frankfurt am Main, 1992; Schneuwly Anne Mirjam, Kitesurfen im Schweizer Rechtsraum, in: AJP 4/2017, S. 539 ff.; Soreide Kjetil/Lycke Ellingsen Christian/Knutson Vibeke, How Dangerous is BASE Jumping? An Analysis of Adverse Events in 20,850 Jumps From the Kjerag Massif, Norway, The Journal of Trauma: Injury, Infection, and Critical Care, 62 (5) 2007, S. 1113 ff.; Spiegelhalter David/Blastland Michael, The Norm Chronicles: Stories and numbers about danger, London 2013; Spiegelhalter David/Pearson Mike, Understanding uncertainty: Small but lethal, plus maths; Widmer Lüchinger Corinne/Wiegand Wolfgang, in: Widmer Lüchinger Corinne/Oser David (Hrsg.) Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 7. Aufl., Basel 2020.

I. Allgemeines zum Base-Jumping in der Schweiz

A. Einführung

[1]

Unter Base-Jumping werden verschiedene Formen des Fallschirmspringens von festen Objekten verstanden. Der Sprung erfolgt von einem Gebäude (building), einer Antenne (antenna), einer Brücke (span) oder einem Felsvorsprung (earth). Aus den Anfangsbuchstaben dieser vier Absprungorte bildet sich das Akronym BASE. Beim Base-Jumping von Felsen wird häufig ein Anzug (Tracking-Suit oder Wingsuit) verwendet, welcher den Springer*innen Auftrieb sowie Steuerfähigkeiten verleiht.

[2]

Base-Jumping gilt als eine der gefährlichsten Sportarten der Welt. Seit 1981 sind 458 Base-Jumper*innen ums Leben gekommen (Stand: 23. Juli 2023) (Base Fatality List). In der Schweiz sind bisher 108 Base-Jumper*innen zu Tode gekommen. Rund ein Viertel aller tödlichen Base-Unfälle haben sich in der Schweiz abgespielt. In den letzten 20 Jahren starben in der Schweiz 5 Base-Jumper*innen pro Jahr (Ellenberger et al., S. 2). Gemäss einer Studie aus dem Jahre 2007 beinhaltet ein Base-Sprung ca. 430 Mikromorts (1 Mikromort = Chance zu sterben ist eins zu einer Million) (Soreide/Ellingsen/Knutson). Zum Vergleich: Ein 27 km langer Spaziergang (Spiegelhalter/Pearson) oder das Trinken von einem halben Liter Wein (Howard) entspricht einem Mikromort, eine natürliche Geburt ca. 120 Mikromorts (Spiegelhalter/Blastland) und ein Aufstieg auf das Matterhorn ca. 2’840 Mikromorts (Bram/Bachmann).

[3]

Zu Beginn der 2000er Jahre hat das Base-Jumping aufgrund von Unfällen und Nutzungskonflikten mit anderen Luftraumbenutzern vermehrt zu Kontroversen geführt. Seit der Bildung von Verbandsstrukturen und der Aufklärungsarbeit mit lokalen Partnern haben sich die Konflikte jedoch merklich verringert. Eine gesetzliche Regulierung des Base-Jumping existiert zurzeit nicht. Die Szene reguliert sich zuweilen selbst und ist im Austausch mit dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL), um die Zukunft des Sports in der Schweiz auf nachhaltige Weise zu sichern.

[4]

Der folgende Artikel reiht das Base-Jumping in die Schweizerische Gesetzeslandschaft ein und beleuchtet insbesondere luft-, zivil-, straf- und versicherungsrechtliche Aspekte. Er richtet sich primär an mit dem Sport konfrontierte Jurist*innen, sowie Base-Jumper*innen, die den Sport in der Schweiz ausüben möchten. Da der Sport noch relativ jung ist und sich nicht dem Breitensport zuschreiben lässt, ist die rechtliche Eingliederung noch nicht verankert.

B. Der Beginn des Base-Jumping in der Schweiz

[5]

Der erste dokumentierte Base-Sprung in der Schweiz wurde 1990 vom Franzosen Dominique Gleizes absolviert. Gleizes sprang damals von einem Felsvorsprung in unmittelbarer Nähe des Staubbachs im Lauterbrunnental. 1991 begann der berühmte Schweizer Kletterer Xaver Bongard im Lauterbrunnental zu springen. Er hatte zwei Jahre zuvor den Amerikaner Will Oxx im Yosemite Valley kennengelernt und bei ihm das Base-Jumping erlernt. Im April 1994 starb Bongard bei einem Sprung von der Absprungstelle «Staubbach», nachdem er am Schirm mit dem Felsen kollidierte. Er war der Erste, der beim Base-Jumping in der Schweiz sein Leben verlor.

[6]

Von 1990 bis 2000 war das Base-Jumping eine eher unbekannte Sportart, die nur von wenigen Menschen ausgeübt wurde. Ab 2000 wurde der Sport deutlich grösser, und das Lauterbrunnental hatte mit seinen steilen Felswänden eine magische Anziehungskraft für Base-Jumper aus aller Welt. Mittlerweile werden im Lauterbrunnental schätzungsweise ca. 20'000 Sprünge pro Jahr verzeichnet (Brodmann Maeder et al., S. 2). Mit dem Beginn des «Base-Tourismus» begannen allerdings auch die Probleme mit Grundstückbesitzer*innen, der Gemeinde und anderen Luftraumnutzer*innen (Helikopter- und Gleitschirmpilot*innen, Speedflyer*innen).

C. Die Swiss Base Association (SBA)

[7]

Um die Zukunft des Base-Jumping in der Schweiz zu sichern, gründeten Moritz Schellenberg und Michi Schwery 2007 die Swiss Base Association (SBA). Ihre Idee war, den Base-Jumper*innen eine Landekarte zu verkaufen und deren Erlös an die Landwirt*innen auszuzahlen. Damit wollte der frisch gegründete Verein die Landwirt*innen für den Schaden an ihrem Land kompensieren, der durch das Landen auf ihren Feldern entstand. Als 2008 zum ersten Mal Geld an die Landwirt*innen im Lauterbrunnental ausgezahlt wurde, war dies der Beginn einer freundschaftlichen Koexistenz, die bis heute anhält. Die jährlichen Auszahlungen wuchsen von CHF 3’660 im Jahre 2008 zu CHF 14’500 im Jahre 2019.

[8]

Seit 2011 verkauft die SBA im Schnitt 400 Landekarten pro Jahr. Von 2008 bis 2018 kostete die Landekarte CHF 25. Seit 2019 wird sie für CHF 40 verkauft. Ein kleiner Beitrag aus dem Erlös fliesst in die Vereinskasse. Die SBA kümmert sich um den schweizweiten Unterhalt der Absprungstellen. Sie stellt Regeln auf, um niemanden durch das Base-Jumping zu gefährden. Sie unterhält eine Website und informiert Base-Jumper*innen über Social Media, damit alle über die aktuellen Weisungen im Bilde sind. Ausserdem steht die SBA in ständigem Kontakt mit dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL), den Gemeinden, der Polizei, den Grundstückeigentümer*innen, den Helikopterunternehmen und den Gleitschirmclubs.

D. Rechtliche Eingliederung des Base-Jumping in der Schweiz

[9]

Um das Base-Jumping ausüben zu können, sind die Base-Jumper*innen auf einen Fallschirm angewiesen. Ein Fallschirm ist ein Fluggerät, welches sich durch Einwirkung der Luft in der Atmosphäre halten kann und ist somit ein Luftfahrzeug (Art. 1 Abs. 2 LFG). Auch wenn Base-Jumping in der Nomenklatur des Luftrechts nicht explizit aufgeführt wird, ist das Bundesgesetz über die Luftfahrt (LFG, SR 748.0) mit seinen zugehörigen Verordnungen (insbesondere die Verordnung über die Luftfahrt (LFV, SR 748.01), die Verordnung des UVEK vom 24. November 1994 über Luftfahrzeuge besonderer Kategorien (VLK; SR 748.941), die Verordnung vom 22. Januar 1960 über die Rechte und Pflichten des Kommandanten eines Luftfahrzeugs (KdtV; SR 748.225.1), sowie die Bestimmungen des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 923/2012 der Europäischen Kommission vom 26. September 2012 (Standardised European Rules of the Air, SERA) die Ausgangslage für die rechtliche Eingliederung. Das BAZL klassifiziert das Base-Jumping als Unterart des Fallschirmspringens, da die gleiche Absprung- und Landetechnik angewandt und ähnliches Material wie beim Fallschirmspringen eingesetzt wird.

[10]

Fallschirme sind gemäss Anhang der Verordnung über die Luftfahrt (LFV, SR 748.01) Luftfahrzeuge, die schwerer als Luft sind und sich ohne motorischen Antrieb fortbewegen.

Anhang LFV

[11]

Die spezifischen gesetzlichen Grundlagen des Fallschirmspringens (und somit auch des Base-Jumping) sind im fünften Abschnitt, in den Artikeln 12-13 der Verordnung des UVEK über Luftfahrzeuge besonderer Kategorien (VLK, SR 748.941) enthalten.

[12]

In der Schweiz regelt das BAZL alle Luftsportarten. Auch rechtlich gilt Base-Jumping als Sonderform des Fallschirmspringens. Der Sport ist in der Schweiz grösstenteils unreguliert, respektive durch die SBA «selbstreguliert». Wenn ein Base-Jumper in der Schweiz springen möchte, wird er gebeten, sich zuerst auf der Webseite der SBA zu registrieren und einen Notfallkontakt zu hinterlassen. Die Polizist*innen in Lauterbrunnen und Walenstadt haben einen direkten Zugriff auf diese Liste, was ihnen ihre Arbeit bei Todesfällen deutlich erleichtert. Nach der Registrierung erwerben die Base-Jumper*innen ihre Landekarte für CHF 40.00. Die Landekarte gilt sowohl für Lauterbrunnen als auch für Walenstadt und ist jeweils von Januar bis Dezember gültig. Auf der Website der SBA können die Springer*innen alle Regeln nachlesen und eine Liste mit den Absprungstellen (Exit-Points) herunterladen. An allen offiziellen Exit-Points befinden sich Informationstafeln, wo die Regeln und der Schwierigkeitsgrad des Sprungs vermerkt sind. Da neun Absprungstellen im Lauterbrunnental im geschlossenen Luftraum von der Helikopterfirma Air-Glaciers liegen, müssen die Base-Jumper*innen jeden dieser Sprünge telefonisch bei Air-Glaciers anmelden, um Kollisionen zu vermeiden. Ausserdem wurde an der Mürrenfluh (Lauterbrunnental) eine Sperrzeit eingeführt, um Gleitschirmpilot*innen nicht zu gefährden. Vom 1. März bis zum 31. Oktober ist es Base-Jumper*innen von 9 Uhr bis 14 Uhr untersagt, von der Mürrenfluh zu springen.

[13]

Am 27. September 2019 reichte Margret Kiener Nellen eine Interpellation ein (Interpellation Kiener Nellen Margret, «Wäre nicht ein schweizweites Verbot von Basejumping und Wingsuit-Sprüngen angemessen?», Curia Vista-Nr. 19.4350) und wollte vom Bundesrat wissen, ob ein schweizweites Verbot des Base-Jumping angemessen wäre. Alternativ schlug sie analog zu den «anderen Alpen- und EU-Ländern» auch für die Schweiz eine Genehmigungspflicht vor und fragte, ob die kantonalen Behörden mit dem Gesetzesvollzug beauftragt werden könnten. Der Bundesrat antwortete am 27. November 2019 auf die Interpellation und erachtet es nicht als angezeigt, das Base-Jumping zu verbieten. Zur Begründung hielt der Bundesrat fest, dass die Anzahl der beim Base-Jumping tödlich verunfallten Personen im Vergleich zu anderen Freizeitaktivitäten, beispielsweise dem Bergsport, gering sei und dass die meisten Unfälle sich in unwegsamem Gelände und damit weit ab von Verkehrswegen oder Siedlungen und unbeteiligten Personen ereignen würden. Die Drittgefährdung, welche vom Basejumping ausgehe, sei somit marginal. Ausserdem sei die Einführung einer Genehmigungspflicht unverhältnismässig, zu ressourcenintensiv und würde die Unfallwahrscheinlichkeit erhöhen. Dies da anzunehmen sei, dass – zur Umgehung der Kontrollen – Sprünge vermehrt in den Morgen- und Abendstunden oder von «inoffiziellen» Sprungstellen durchgeführt werden würden.

1. Verkehrsregeln

[14]

Art. 12 VLK verweist auf die Bestimmungen in der Europäischen Durchführungsverordnung (EU) Nr. 923/2012 der Kommission vom 26. September 2012 SERA.3101, 3115, 3125, 3145, 3201 und 3205. SERA steht für Standardised European Rules of the Air.

[15]

Der einzige SERA-Artikel, welcher auch für das Base-Jumping einschlägig ist, ist SERA-3215 und besagt, dass ein Luftfahrzeug nicht so nah an anderen Luftfahrzeugen betrieben werden darf, dass die Gefahr eines Zusammenstosses besteht.

[16]

SERA.3205 ist sehr unbestimmt formuliert. Insbesondere enthält er keinerlei Vortrittsregeln, wie dies beispielsweise für Hängegleiter besteht (vgl. Art. 8 Abs. 6 VLK). Dementsprechend ist dieser Artikel offen für Interpretation.

[17]

In der Base-Jump-Szene wird oft in kleineren Gruppen von zwei bis vier Springer*innen gesprungen. Dies insbesondere bei der Verwendung von Wingsuits, die es den Springer*innen ermöglichen, mit einer Gleitzahl von bis zu 3.5 (3.5 Meter Vorwärtsflug bei einem Meter Sinken) und Geschwindigkeiten von mehr als 150 km/h von einem Berg hinabzugleiten. Bei einem solchen Flug, der bisweilen über zwei Minuten dauern kann, fliegen die Springer*innen gelegentlich dicht beieinander. Manchmal betragen die Abstände nur wenige Meter, insbesondere, wenn sich die Springer*innen gegenseitig filmen. Dennoch ist kein Fall bekannt, wo eine Kollision von zwei Base-Jumper*innen zu einem Todesfall geführt hätte. Grundsätzlich kann ein solcher Flug als Formationsflug qualifiziert werden, was auch in der Fliegerei vorkommt und zulässig ist. Man denke beispielsweise an die Kunstflugstaffel der Schweizer Luftwaffe (Patrouille Suisse). Bezüglich Formationsflug ist SERA.3135 die einschlägige Regelung. Für das Base-Jumping relevant ist jedoch nur lit. a, die besagt, dass einer der Piloten als «Flight Leader» designiert werden muss. Dies ist aus Sicherheitsgründen unter Base-Jumper*innen bereits üblich: Eine Person springt als Erste und leitet die Formation. Alle anderen folgen dem «Leader». Es gibt keine Vorgaben bezüglich der Erfahrung des Flight Leaders. Die Regel hat rein organisatorischen Charakter. Es steht ausser Frage, dass jede Form von Formationsflug ein grösseres Unfallrisiko beinhaltet. In Anbetracht der Schweizerischen und Europäischen Gesetzgebung muss ein solcher als kritisch eingestuft werden.

[18]

Bezüglich Vortrittsregeln während des Flugs (vor allem während der Gleitphase von Wingsuit- und Tracksuit-Pilot*innen, aber auch während der Flugphase am Schirm) gibt es in der Schweiz keine expliziten Vortrittsregeln. Grundsätzlich haben unmotorisierte Luftfahrzeuge Vortritt vor motorisierten Luftfahrzeugen. Unter den unmotorisierten Luftfahrzeugen haben Ballone Vortritt vor Gleitschirmen und Segelflugzeugen. Dies wird mit der stark beschränkten Steuerbarkeit von Ballonen begründet. Base-Jumper*innen sind im Luftraum wegen ihrer geringen Grösse und ihrer hohen Geschwindigkeit von anderen Luftraumbenutzern praktisch nicht zu erkennen. Gleichzeitig sind Base-Jumper*innen unmotorisiert und haben eine beschränkte Steuerbarkeit, die jedoch immer noch besser ist als jene eines Ballons. Grundsätzlich haben Base-Jumper*innen im Freifall somit vor allen anderen Luftraumbenutzern, ausser Ballonen, Vortritt. Base-Jumper*innen müssen sich aber bewusst sein, dass es anderen Luftraumbenutzer*innen praktisch unmöglich ist, ihnen den Vortritt rechtzeitig zu gewähren oder ihnen auszuweichen. Dies insbesondere dann, wenn sich Base-Jumper*innen über anderen Luftfahrzeugen befinden oder mit geringer Höhe über Grund fliegen (bspw. bei sogenannten Wingsuit-Proximity-Flügen). Wenn jedoch lokale Luftraumregelungen und bestimmte Sprungzeiten bestehen (wie im Lauterbrunnental oder in Walenstadt), gelten diese als lex specialis und verdrängen somit die grundsätzlichen Vortrittsregeln und müssen von allen Luftraumbenutzer*innen eingehalten werden. Sobald eine Base-Jumperin den Fallschirm gezogen hat, untersteht sie unseres Erachtens den gleichen Vortrittsregeln wie eine Gleitschirmpilotin. Zusätzlich ist zu beachten, dass ausserhalb von Wolken geflogen werden muss.

[19]

Gegenüber anderen Base-Jumper*innen in der Freifallphase und der Phase am Schirm gilt grundsätzlich Rechtsvortritt. Zwei sich entgegenkommende Base-Jumper*innen müssen beide jeweils nach rechts wegfliegen, ausser wenn dies – beispielsweise durch eine Felswand – nicht möglich ist. Dann muss nur derjenige nach rechts ausweichen, welcher die Felswand zu seiner linken hat. Der andere hat das Recht, geradeaus weiter zu fliegen (per analogiam Art. 8 Abs. 6 VLK i.V.m. Art. 12 der Verordnung des UVEK über die Verkehrsregeln für Luftfahrzeuge (VRV-L, SR 748.121.11).

[20]

Grundsätzlich gilt: Base-Jumper*innen dürfen nur springen, wenn die Sicht und der Luftraum frei sind. Die Springer*innen müssen den Boden und das Gelände jederzeit sehen können (kein Durchfliegen von Wolken). Sollte sich ein anderes Luftfahrzeug auf dem geplanten Flugweg befinden, muss mit dem Sprung gewartet werden, bis sich dieses entfernt hat. Der Flugweg und der Abstand zu anderen Springern ist so zu wählen, dass kein Risiko einer Kollision mit anderen Springern oder anderen Luftfahrzeugen besteht.

2. Bewilligungspflicht (Art. 12a VLK)

[21]

Gemäss Art. 12a VLK bedürfen Fallschirmabsprünge über und in der Nähe von Flugplätzen sowie in den Lufträumen der Klassen C und D einer Bewilligung. Solche Bewilligungen werden in der Regel von der zuständigen Flugverkehrskontrollstelle oder, wenn auf einem Flugplatz keine solche vorhanden ist, vom Flugplatzleiter erteilt.

[22]

Vor jedem Base-Sprung ist ein umfangreicher Pre-Flight-Check zu erstellen. Dieser Check beinhaltet meteorologische Bedingungen, Zustand und Wahl der Ausrüstung, physische und psychische Verfassung des Springers, Wahl des Exit-Points, des Flugwegs und dessen topographische und örtliche Gegebenheiten und das Rekognoszieren des Landeplatzes. Zusätzlich sollte das DABS (Daily Airspace Bulletin Switzerland, abrufbar unter: https://www.skybriefing.com/de/dabs) konsultiert werden, um sicherzustellen, dass in der geplanten Sprungregion keine militärischen Flug- oder Schiessübungen, Drohnenflüge oder sonstige Events geplant sind, welche das Risiko einer Kollision oder Luftraumverletzung erhöhen. Sollte der geplante Flugweg an einem Flugplatz oder Heliport vorbeiführen, sind unseres Erachtens die gleichen Abstände einzuhalten, die auch für Hängegleiter gelten. Das heisst, dass unterhalb einer Höhe von 2'000 Fuss (ca. 600 m) über dem Bezugspunkt eines zivilen, für Flugzeuge bestimmten Flugplatzes ohne Kontrollzone (CTR) oder mit inaktiver CTR ein Mindestabstand 5 km einzuhalten ist. Während der militärischen Flugdienstzeiten (Montag bis Freitag ohne Feiertage 07.30 bis 12.05 und 13.15 bis 17.05 Schweizer Zeit) gilt dasselbe auch für militärische Flugplätze. Für Helikopterflugplätze gilt ein Mindestabstand von 2.5 km. Ausnahmen können individuell und in Absprache mit den Flugverkehrskontrolldiensten oder den Flugplatzleitern bewilligt werden (Art. 9 VLK).

[23]

Base-Sprünge sollten immer in der Luftraumklasse G oder E stattfinden, d.h. ausserhalb von kontrollierten Lufträumen (Flugplätze und/oder Heliports, vgl. Anhang 1 der Verordnung des UVEK über die Verkehrsregeln für Luftfahrzeuge (VRV-L, SR 748.121.11)). Alle kontrollierten Lufträume, Flugplätze und Heliports sind in der Luftfahrtkarte ICAO der Schweiz einsehbar, die auch digital erhältlich ist.

3. Landeplatz bei Fallschirmsprüngen ausserhalb von Flugplätzen (Art. 12b VLK)

[24]

Gemäss Art. 12b VLK muss der geplante Landeplatz vor dem Absprung rekognosziert werden. Er muss dem verwendeten Fallschirmmuster entsprechend frei von Hindernissen und mit einem gut sichtbaren Kreuz markiert sein. Zusätzlich ist der Bodenwind mit einem Windsack anzuzeigen. Bevor ein Landeplatz markiert wird, muss jedoch unbedingt die Einwilligung der Grundstückbesitzerin eingeholt werden. Wird eine Landung in dichtbesiedelten Zonen von Ortschaften sowie auf öffentlichen Gewässern geplant, muss das Einverständnis der zuständigen Polizeiorgane eingeholt werden. Landungen auf öffentlichen Strassen sind nicht erlaubt.

[25]

Diese Regelung ist für das Base-Jumping sehr relevant, da praktisch keine Base-Jump-Landungen auf einem Flugplatz stattfinden. Die SBA bewirtschaftet in der ganzen Schweiz insgesamt 33 Exit-Points und die dazugehörenden Landeplätze. Für diese Landeplätze hat die SBA die Einwilligung der Berechtigten eingeholt. Base-Jumper*innen, welche im Lauterbrunnental oder in Walenstadt springen möchten, müssen sich vorgängig registrieren und eine Landekarte bei der SBA kaufen. Solange diese Springer*innen die offiziellen Exit-Points und Landeplätze der SBA benutzen, besteht keine Gefahr, dass sie Artikel 12b VLK verletzen. Wenn aber ein anderer Landeplatz angeflogen wird, muss zuerst die Einwilligung des Berechtigten eingeholt und der Landeplatz entsprechend markiert werden. Da dies in der Regel mit erheblichem Aufwand verbunden ist, wird empfohlen, lediglich die offiziellen Landeplätze der SBA zu benutzen.

[26]

Das «B» von Base-Jumping steht für «Building», zu Deutsch Gebäude. Im April 2022 gab es einen Fall in Ostermundigen, wo ein Base-Jumper unbewilligt vom neu errichteten 100 Meter hohen Bäretower in Ostermundigen sprang (Berner Zeitung vom 22.04.2022). Glücklicherweise ist bei dieser Aktion niemand zu Schaden gekommen, weder der Base-Jumper noch unbeteiligte Personen. Auch ein Sachschaden blieb aus. 2009 gab es einen bewilligten Sprung vom Sunrise-Tower in Zürich-Oerlikon, bei dem der weltbekannte Schweizer Base-Jumper Ueli Gegenschatz sein Leben verlor (NZZ vom 12.11.2009).

[27]

Das Springen von Gebäuden in urbanen Zonen ist nicht nur äusserst gefährlich, sondern, insofern keine Bewilligung der Polizei vorliegt, gemäss Art. 12b Abs. 3 VLK auch verboten.

4. Absprungleitung (Art. 12c VLK)

[28]

Fallschirmabsprünge sind grundsätzlich unter der unmittelbaren Aufsicht einer verantwortlichen Leitung durchzuführen und dürfen erst erfolgen, nachdem ein Beobachter vom Boden aus mittels Funk oder Signalen bestätigt hat, dass der benötigte Luftraum frei von Luftfahrzeugen ist (Art. 12c VLK).

[29]

Bei der Ausübung einer gefährlichen Sportart wie dem Base-Jumping ist es immer besser, mit einer zweiten Person unterwegs zu sein. Diese kann einerseits helfen, den Luftraum zu kontrollieren und andererseits die Rettungskräfte alarmieren, wenn es zu einem Zwischenfall kommt. Beim Base-Jumping gibt es aber keine Absprungleitung i.S.v. Art. 12c Abs. 1 VLK. Diese ist i.d.R. jedoch nur dann nötig, wenn von einem aktiven Flugplatz gestartet und darauf gelandet wird.

[30]

Von den meisten Absprungstellen kann der Luftraum von den Base-Jumper*innen vor dem Sprung selbständig kontrolliert werden. Die visuelle und akustische Kontrolle stellt sicher, dass sich kein anderes Luftfahrzeug in der Nähe befindet. Es gibt aber auch Exit-Points, bei denen ein Felsvorsprung die Sicht einschränkt oder der Landeplatz weit von der Absprungstelle entfernt ist. Hier müssen die Base-Jumper*innen eine Person am Landeplatz kontaktieren, die den Luftraum für sie kontrollieren kann. Nur wenn diese Person den freien Luftraum bestätigt, dürfen die Base-Jumper*innen ihren Flug beginnen.

E. Lizenzwesen

[31]

Eine Lizenz ist für das Base-Jumping gesetzlich nicht gefordert. Gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich eine Haftpflichtversicherung mit einer Deckung von mindestens CHF 1 Million, um Haftpflichtansprüche gegenüber Dritten auf der Erde abzudecken (Art. 21 VLK). Wer aber in der Schweiz einen Fallschirmsprung auf einem offiziellen Sprungplatz absolvieren möchte, wird bei der Registrierung aufgefordert, nebst einer gültigen Haftpflichtversicherung auch eine gültige Fallschirm-Lizenz vorzuweisen. In der Schweiz wird das Fallschirm-Lizenzwesen durch den Aero Club der Schweiz (AeCS) in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Fallschirm-Verband (Swiss Skydive) kontrolliert und umgesetzt.

[32]

Praktisch verfügen oder verfügten die meisten Base-Jumper*innen über eine Fallschirm-Lizenz, da die meisten Base-Jumper*innen die ersten Sprünge in der Regel als Fallschirmspringer*innen absolvieren. Dies wird auf jeden Fall empfohlen, bevor mit dem Base-Jumping begonnen wird.

F. Mid-Air-Kollisionen

[33]

Die Problematik von Kollisionen in der Luft besteht vor allem im Lauterbrunnental zwischen Gleitschirmpilot*innen, Helikopter-Pilot*innen und Base-Jumper*innen. An den Absprungstellen «High Ultimate» und «Low Ultimate» (Mürrenfluh) ist beispielsweise keine vollständige visuelle Kontrolle des Luftraumes möglich. Darum hat die SBA – wie bereits erwähnt – eine Sperrzeit eingeführt, um Kollisionen mit Gleitschirmpilot*innen vorzubeugen. Vom 1. März bis zum 31. Oktober dürfen zwischen 9 Uhr und 14 Uhr keine Base-Sprünge von der Mürrenfluh gemacht werden. Während dieser Zeit fliegen die Gleitschirmpilot*innen nahe an der Felswand entlang, um die thermischen Aufwinde zu nutzen.

[34]

Zwischen Lauterbrunnen und Stechelberg befindet sich zudem die Heli-Basis der Air-Glaciers (LSXL Heliport Lauterbrunnen). Neun Absprungstellen liegen innerhalb des 2.5 km Radius (siehe Abbildung unten, nicht alle betroffenen Absprungstellen sind in der Abbildung markiert). Die häufig frequentierten Exit-Points «Via Ferrata», «High Ultimate» und «Low Ultimate» befinden sich ausserhalb des Radius, wenn auch nur um wenige hundert Meter. Die SBA hat mit der Helikopterfirma Air-Glaciers eine Abmachung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 VLK treffen können. Innerhalb des 2.5 km Radius dürfen Base-Jumper*innen somit springen, solange sie ihren Sprung vorher beim Heliport telefonisch anmelden. Die Regelung gilt sowohl für den freien Fall (Gleitphase) als auch für den Flug am Fallschirm (Flugphase).

[35]

Base-Jumper*innen, die sich nicht an die Regeln der SBA halten, werden von der SBA kontaktiert und ermahnt. In seltenen Fällen werden Springer*innen auf sozialen Medien durch ein «public-shaming» sanktioniert. Springt ein Base-Jumper in den geschlossenen Luftraum des Heliports, kann es sein, dass Air-Glaciers eine Anzeige erstattet und der Springer mit einem strafrechtlichen Verfahren rechnen muss.

Der geschlossene Luftraum des Heliports Lauterbrunnen LSXL (Bild von Kenny Daniel, Quelle: https://www.swissbaseassociation.org/rules, zuletzt besucht am 16.11.2022).

II. Privatrecht

[36]

In der Regel beschränken sich die von Base-Jumper*innen verursachten Schäden auf marginale Landschäden. Die Exit-Points liegen ausnahmslos in unwegsamem Gelände in den Schweizer Alpen und die Landeplätze befinden sich meist unmittelbar unterhalb auf einem Feld. Bewohnte Gebiete werden äusserst selten überflogen. Unfälle erfolgen in der Regel beim Absprung (Aufprall auf dem Felsen nach nur wenigen Sekunden), während des Flugs (Proximity-Flying) oder bei der Landung mit dem Fallschirm. Diese Zwischenfälle verursachten bis anhin keine nennenswerten Schäden gegenüber Drittpersonen.

[37]

Art. 21 Abs. 1 VLK besagt, dass die Haftpflichtansprüche von Dritten auf der Erde vom Halter oder von der Halterin durch eine Haftpflichtversicherung mit einer Garantiesumme von mindestens CHF 1 Million sicherzustellen sind. Diese Versicherung deckt am Boden verursachte Schäden, beispielsweise, wenn Base-Jumper*innnen das Dach eines Hauses durchbrechen würden, oder auf eine sich am Boden befindende Drittperson stürzen und diese schwer verletzen oder töten würden. Auch das Beschädigen einer Hochspannungsleitung oder einer Seilbahnanlage wäre grundsätzlich denkbar. Art. 21 Abs. 3 VLK statuiert, dass der Haftpflichtversicherungsnachweis bei jedem Sprung mitzuführen ist.

[38]

Wird ein Schaden auf der Erde dadurch verursacht, dass zwei oder mehrere Base-Jumper*innen im Flug zusammenstossen, so sind diese Base-Jumper*innen den geschädigten Dritten grundsätzlich als Solidarschuldner ersatzpflichtig (Art. 66 LFG). Diese Ersatzansprüche verjähren nach den Bestimmungen des Haftpflichtrechts (Art. 67 LFG).

III. Strafrecht

A. Strafbestimmungen

[39]

Das Luftfahrtgesetz enthält ebenfalls strafrechtliche Normen, die für Base-Jumper*innen relevant sind. Ein Kommandant eines Luftfahrzeugs, der die gesetzlichen Vorschriften oder Verkehrsregeln vorsätzlich missachtet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum von erheblichem Wert auf der Erdoberfläche in Gefahr bringt, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft (Art. 90 LFG). Fahrlässiges Handeln wird mit einer Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft. Weiter kann eine Busse bis zu CHF 20’000 drohen, wenn vorsätzlich oder fahrlässig Verkehrsregeln oder Vorschriften über den Flugbetrieb verletzt werden, die der Sicherheit von Menschen oder Sachen dienen (Art. 91 LFG). Ausserdem sind Strafverfolgungsbehörden ermächtigt, Luftfahrzeuge, in unserem Fall eine Base-Jump-Ausrüstung, zu beschlagnahmen, wenn das Risiko besteht, dass dessen weiterer Gebrauch die öffentliche Sicherheit gefährden würde oder deren missbräuchliche Verwendung zu befürchten ist (Art. 92 lit. b LFG). Unseres Erachtens sind Base-Jumper*innen als Lenker*innen von Fallschirmen Kommandanten von Luftfahrzeugen i.S.v. Art. 90 LFG und fallen somit unter die obgenannten Bestimmungen. Freilich können unter Umständen auch die gängigen Straftatbestände des Strafgesetzbuches Anwendung finden, wobei lediglich die Artikel 117, 125, 129, 144 und allenfalls Art. 186 StGB einschlägig sein dürften. Auch die Anwendung von Art. 237 und 238 StGB ist denkbar, sollten durch einen Unfall der öffentliche oder der Eisenbahnverkehr gestört werden.

B. Kasuistik

[40]

In den vergangenen vier Jahren hat die Kantonspolizei Bern im Namen der Helikopterfirma Air-Glaciers fünf Base-Jumper wegen Luftraumverletzungen angezeigt. 2018 sind zwei amerikanische Wingsuit-Piloten von der Absprungstelle «High La Mousse» gesprungen, ohne Air-Glaciers telefonisch zu kontaktieren. Sie sind über die Helibasis geflogen und haben dort ihre Fallschirme gezogen. Dies ist ein klarer Verstoss gegen die Abmachung, die zwischen der SBA und Air-Glaciers getroffen wurde (im Sinne von Art. 9 Abs. 2 VLK). Die Amerikaner erhielten von der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern einen Strafbefehl und wurden mit einer Busse von mehreren Tausend Franken bestraft. 2020 waren es zwei spanische Staatsbürger, die ihren Sprung von «High La Mousse» nicht angemeldet hatten. Auch sie wurden zu einer Busse verurteilt. 2021 ist ein britischer Base-Jumper in den Luftraum von Air-Glaciers eingedrungen, ohne dies vorher telefonisch anzukündigen. Auch er musste eine Busse bezahlen.

IV. Unfall- und Sozialversicherungsrecht

[41]

Bei Nichtberufsunfällen, die auf ein (absolutes) Wagnis zurückgehen, werden die Geldleistungen um die Hälfte gekürzt und in besonders schweren Fällen verweigert (Art. 50 Abs. 1 UVV; Müller, N 386). Ein absolutes Wagnis liegt vor, wenn eine gefährliche Handlung nicht schützenswert ist oder wenn die Handlung mit so grossen Gefahren für Leib und Leben verbunden ist, dass sich diese auch unter günstigsten Umständen nicht auf ein vernünftiges Mass reduzieren lassen (BGE 141 V 37, E. 2.3; vgl. Art. 50 UVV).

[42]

Keinerlei Kürzungen finden bei den Heil-, Bergungs-, Rettungs- und Transportkosten statt (dies jedoch nur, insofern der Verunfallte über eine Unfall- und eine Krankenversicherung verfügt. Dies ist insbesondere bei ausländischen Base-Jumper*innen manchmal nicht der Fall). Gekürzt werden dagegen die Taggelder und Invalidenrenten, was oft gravierende Folgen für die Betroffenen haben kann (SUVA).

[43]

Die SUVA qualifiziert das Base-Jumping als absolutes Wagnis, ohne jedoch die Gründe zu nennen (SUVA; Schneuwly, Fn. 64; KOSS UVG-Gehring, Art. 39 N 77; Müller, Rz. 397; OFK UVG-Kieser/Gehring/Bollinger, Art. 39 N 17). Dies wurde vom Bundesgericht in einem obiter dictum implizit bestätigt (BGE 141 V 37, E. 4.1). Diese Einschätzung findet grundsätzlich Zuspruch. Auch wenn das Verletzungsrisiko gemäss der jüngsten Studie zwischen 0.05%-0.2% (Brodmann Maeder et al., S. 1) und somit tiefer als bei den meisten Breitensportarten ist (das Verletzungsrisiko beim Fussball liegt bei 1.24%, beim Tennis bei 0.38%, beim Radsport bei 2.18%, beim Volleyball bei 2.09%, beim Skifahren bei 1.95% und beim Tanzen bei 1.11% [Majewski, S. 41, mit weiteren Sportarten]), so ist das Todesrisiko beim Base-Jumpen mit 0.02%-0.08% deutlich höher als im Breitensport, wo es gemäss einer Deutschen Studie bei ca. 0.0000058% sei (Parzeller/Koch/Raschka, welche während einem Zeitraum von 16 Jahren 2374 sportbezogene Todesfälle in 70 Disziplinen untersuchten und das Resultat allen bei Sportvereinen registrierten Sportler*innen gegenüberstellten. 1431, also rund 60.3% waren auf kardiovaskuläre Ereignisse, der Rest auf traumatische oder andere Ursachen zurückzuführen).

[44]

Laut Gabriela Hübscher, ehemalige SUVA-Sprecherin, bezahlen die Versicherungen bei absoluten Wagnissen maximal 50 Prozent der Geldleistungen und im Extremfall nichts (Handelszeitung vom 01.09.2017). Dieses Problem kann jedoch mit einer sogenannten UVG-Ergänzung oder Differenzversicherung gelöst werden. Eine Differenzversicherung gleicht alle Kürzungen oder Verweigerungen von Leistungen aus der obligatorischen Unfallversicherung infolge Wagnissen oder Grobfahrlässigkeiten vollumfänglich aus (Handelszeitung vom 01.09.2017). Personen, die nicht über einen Arbeitgeber obligatorisch versichert sind, können eine Einzelunfallversicherung abschliessen, welche in der Regel auch Unfallkosten infolge von Wagnissen abdeckt. Es ist aber auf jeden Fall zu empfehlen, dass man den Versicherer vor dem Versicherungsabschluss explizit fragt, ob absolute Wagnisse, insbesondere Base-Jump-Unfälle gedeckt sind und diesbezüglich kein Ausschluss vorliegt. Dies sollte vom Versicherer schriftlich bestätigt werden.

V. Tandem-Basejumping

[45]

Wer den freien Fall erleben möchte, ohne die komplette Ausbildung zum Fallschirmspringer zu absolvieren, kann auf diversen Sprungplätzen in der Schweiz einen Tandemsprung buchen. Mit einem lizenzierten Tandem-Instruktor springt der zahlende Kunde aus einem Flugzeug oder einem Helikopter. Seit 2009 gibt es dieses Angebot auch im Base-Jumping. Der amerikanische Base-Jumper Sean Chuma hat seit 2009 über 1000 kommerzielle Tandem-Base-Sprünge von der «Perrine Bridge» im amerikanischen Bundesstaat Idaho absolviert (Geser; SBA). In Europa bietet der Italiener Maurizio di Palma Tandem-Base-Sprünge vom Monte Brento in der Nähe des Gardasees an.

[46]

2022 sind in den sozialen Medien erste Videos aufgetaucht, auf denen Base-Jumper mit Passagieren im Lauterbrunnental von einem Felsen springen. Im Juli 2023 hat ein Base-Jumper einen ersten Tandemsprung vom Pilz in der Eigernordwand durchgeführt. Es ist möglich, dass es in Zukunft immer häufiger zu Tandem-Base-Sprüngen in der Schweiz kommen wird.

[47]

Unseres Erachtens sind Tandem-Sprünge im Base-Jumping rechtlich äusserst problematisch, da ein Passagier, welcher über keinerlei Fallschirmsprungerfahrung verfügt, nur schwer in das hohe Verletzungs- oder gar Todesrisiko einwilligen kann. Vor dem Sprung müsste in jedem Fall eine umfangreiche Aufklärung des Passagiers erfolgen, die vom Passagier unterzeichnet werden müsste. Dem Passagier muss bewusst sein, dass beispielsweise bei einer asymmetrischen Schirmöffnung der Passagier und sein Pilot mit dem Felsen kollidieren können, was häufig schwere Verletzungen oder sogar den Tod zur Folge haben kann. Ebenso müsste der Passagier darüber aufgeklärt werden, dass keine Versicherungsdeckung besteht (eine Versicherung, die den Passagier schützen würde, gibt es derzeit nicht) und dass bei einem Unfall oder Tod sämtliche Kosten privat getragen werden müssten. Es ist aber zu beachten, dass nach herrschender Lehre ein Haftungsausschluss für Personenschäden sowohl bei vertraglicher als auch ausservertraglicher Haftung unzulässig ist (Müller, Rz. 374; BSK OR I-Widmer Lüchinger/Wiegand, Art. 100 N 4).

[48]

Sollte es bei einem Tandem-Base-Sprung zu einem Unfall kommen, bei dem der Instruktor überlebt, ist anzunehmen, dass der Instruktor mit grosser Wahrscheinlichkeit wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung angezeigt werden würde, da anzunehmen ist, dass regelmässig eine einverständliche Fremdgefährdung vorliegt, da der Passagier keinerlei Möglichkeit hat, in das Fluggeschehen einzugreifen (siehe bspw. Urteil des BGer 6B_208/2021, 6B_209/2021 vom 29. März 2023 E. 3.5.4, bei dem es jedoch um einen Gleitschirm-Tandemflug ging). Zudem hat der Instruktor gemäss Art. 6 Abs. 1 KdtV als «Kommandant» im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und der anerkannten Regeln der Luftfahrt alle erforderlichen Massnahmen zu treffen, um die Interessen des Passagiers zu wahren. Der Base-Jumper könnte zu einer Geld- oder gar Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren verurteilt werden. Zusätzlich wäre auch zu erwarten, dass der Passagier und/oder seine Angehörigen eine hohe Schadenersatz- und Genugtuungsforderung stellen würden. Die SBA hat im Dezember 2022 eine Stellungnahme veröffentlicht, die allen Base-Jumpern dringend davon abrät, mit Passagieren in der Schweiz Base-Sprünge zu absolvieren.

[49]

Diese Ansicht teilte das Bundesgericht auch jüngst im Zusammenhang mit einem Gleitschirm-Tandem-Unfall (Urteil des BGer 6B_208/2021, 6B_209/2021 vom 29. März 2023), wobei es jedoch den Piloten auch ausdrücklich vom Tatbestand der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 Ziff. 2 StGB) freisprach. Dies mit der Begründung, dass wenn jemand ein bestimmtes Risiko wissentlich auf sich nehme, welches sich dann manifestiere, sich keiner Gemeingefahr ausgesetzt habe. Das Bundesgericht erwähnt u.a., dass wer sich zu einem wagemutigen Stuntfahrer ins Auto setze, sich keiner Gemeingefahr i.S.v. Art. 273 StGB aussetze. Opfer im Sinne des Art. 237 StGB – so das Bundesgericht – könne mit anderen Worten nur derjenige Verkehrsteilnehmer sein, welcher von der durch den Täter gesetzten Gefährdung «zufällig» betroffen sei und im Verhältnis zum Täter die Öffentlichkeit repräsentiere (E. 5.2.4). Weiter spiele es keine Rolle, ob der Passagier den Stuntfahrer persönlich kenne oder nicht, da der Passagier in jedem Fall kein von den Gefahren des öffentlichen Verkehrs zufällig Betroffener sei. Die gleichen Überlegungen wären unseres Erachtens auch auf das Tandem-Base-Jumping anzuwenden. In jedem Fall bleiben die die Individualrechtsgüter schützenden Strafbestimmungen jedoch unberührt. Der Ausschluss von Art. 237 StGB entbindet den Piloten nicht von der Verantwortung für die Sicherheit seines Passagiers.

Zurück Weiter PDF