Anwälte in der Armee: Oberauditor Dr. Stefan Flachsmann gewährt Einblicke in die Militärjustiz
Lawjobs im Interview 24.10.2024 Beiträge

Anwälte in der Armee: Oberauditor Dr. Stefan Flachsmann gewährt Einblicke in die Militärjustiz

Cedric Frenzer
Cedric Frenzer
Ferhan Osseili
Ferhan Osseili

Der Oberauditor beleuchtet die Vor- und Nachteile der Arbeit bei der Militärjustiz, diskutiert die Rolle der Frauen innerhalb der Miltärjustiz und erläutert mögliche Ansätze zur Verkürzung der Verfahrensdauer.


Themen: Militärjustiz Schweiz, Oberauditor, Unabhängigkeit, Herausforderungen, Eigenständigkeit, Verfahrensdauer, Frauenintegration, Militärstrafrecht, Karrieretipps, Schweizer Armee.
Informationen zur Person auf Weblaw People: Dr. Stefan Flachsmann.
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Lesezeit: 5 Minuten.

 

Guten Tag Herr Flachsmann. Könnten Sie bitte Ihren Werdegang schildern und insbesondere erläutern, wie Sie zum Oberauditor der Militärjustiz wurden?

 

Nach meiner Promotion 1992 bei meinem Lehrer Prof. Jörg Rehberg an der  Universität Zürich  habe ich 1994 das Zürcher Anwaltspatent erworben. Anschliessend war ich zwei Jahre bei einer Versicherung tätig, bevor ich mich im Frühjahr 1997 als Rechtsanwalt selbständig machte. Der Schwerpunkt meiner Tätigkeit lag im Strafrecht, hauptsächlich in der Strafverteidigung. 

 

Seit 1989 leite ich Lehrveranstaltungen an der Universität Zürich, seit 1996 als Lehrbeauftragter. Seit 1999 führe ich neben anderen Veranstaltungen als Lehrbeauftragter die Vorlesung Militärstrafrecht und Militärstrafprozessrecht durch. 

 

Militärisch war ich bis 1992 in der Artillerie eingeteilt. Ab 1993 bekleidete ich vom Gerichtsschreiber über den Untersuchungsrichter und Auditor (militärischer Staatsanwalt) bis zum Präsidenten der ersten Instanz sämtliche Funktionen in der  Militärjustiz. Zudem war ich zehn Jahre im Fachbereich für Flugunfälle als Untersuchungsrichter tätig. Ab Ende der 90er Jahre war ich auch in der Ausbildung der Angehörigen der Militärjustiz tätig, ab 2004 als Chef Ausbildung. 2015 wurde ich vom Bundesrat zum Oberauditor der Militärjustiz gewählt. Das Amt habe ich 2016 angetreten. Da es sich um ein Vollamt handelt, bin ich heute nicht mehr als Rechtsanwalt tätig.

 

Mit welchen Aufgaben beschäftigen Sie sich in Ihrer Rolle als Oberauditor?

 

Der Oberauditor ist gemäss seinem gesetzlichen Auftrag zum einen für die Verwaltung der Militärjustiz zuständig. Zum andern überwacht er die Tätigkeit derjenigen Personen in der Militärjustiz, die in der Strafverfolgung tätig sind, und übt die Aufsicht über alle Angehörigen der Militärjustiz aus, wobei er die Unabhängigkeit der Militärgerichte zu respektieren hat. Er berät und unterstützt die Angehörigen der Militärjustiz und stellt deren fachliche Aus- und Weiterbildung sicher. Ganz grundsätzlich schafft er zusammen mit seinen Mitarbeitenden im Oberauditorat die Rahmenbedingungen für eine qualitativ hochstehende Rechtsprechung der Militärgerichte und sorgt dafür, dass die Militärjustiz ihre gesetzlichen Aufgaben erfüllen kann.

Schon gewusst?

Dr. Stefan Flachsmann widmet sich intensiv der Unabhängigkeit der Militärjustiz. In einem weiteren Beitrag erörtert er gemeinsam mit Dr. Martin Immenhauser, welche Faktoren die Unabhängigkeit der Militärjustiz potenziell gefährden und wie sie sich gegen diese Bedrohungen wappnen kann.

Zum Beitrag

Aufgrund der umfangreichen Aufgaben tragen Sie als Oberauditor viel Verantwortung. Wie gewährleisten Sie Ihre Unabhängigkeit und wie stellen Sie sicher, dass die Militärjustiz unabhängig agieren kann?

 

Die Unabhängigkeit der Schweizerischen Militärjustiz wird formell durch Artikel 1 des Militärstrafgesetzes garantiert. In der Praxis wird diese jedoch vor allem durch den Milizstatus ihrer Angehörigen gewährleistet. Nur ganz wenige in der Militärjustiz sind wegen ihres zivilen Berufs Lohnempfänger der Armee, dafür umso häufiger Anwälte, Richterinnen, Gerichtsschreiber oder Staatsanwältinnen. Dieser Status sichert die «innere» Unabhängigkeit der Person in ihrem Denken und gegen äussere Einflüsse. Eine Einflussnahme der Armee und ihrer Kommandanten auf die Entscheide der Militärjustiz ist bereits aus formellen Gründen nur sehr begrenzt möglich. Dennoch muss die Militärjustiz ihre Unabhängigkeit jeden Tag von neuem verteidigen. Alle Angehörigen der Militärjustiz müssen sich als Mitglieder der Judikative und gleichzeitig als Träger der Armeeuniform jederzeit über ihre Rolle im Klaren sein, die mentale Distanz zur Armee wahren und alle Versuche einer Einflussnahme abwehren können, auch wenn diese selten vorkommen. Meine eigene Unabhängigkeit musste ich bisher nicht verteidigen. Sie wurde weder von der Armeeführung noch von der Verwaltung je in Frage gestellt. 

 

Wie kann man der Militärjustiz beitreten und welche Voraussetzungen sind erforderlich?

 

Das Gesetz verlangt ein abgeschlossenes juristisches Studium mit einem Lizentiat oder Master einer schweizerischen Hochschule oder ein kantonales Anwaltspatent. Zusätzlich ist eine militärische oder berufliche Erfahrung im Strafrecht erforderlich. Entscheidend aber ist die Motivation, sich in die spezielle Materie der militärischen Straffälle einzuarbeiten. Für Aufgaben, die kein juristisches Fachwissen verlangen, können auch andere Angehörige der Armee in die Militärjustiz eingeteilt werden.

 

Welche Vor- und Nachteile bietet der Schritt in die Militärjustiz?

 

Lassen Sie mich mit den Vorteilen beginnen. Ich bin überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit einer alternativen Strafprozessordnung auch eine Erweiterung des Verständnisses für die Arbeit in der zivilen Strafjustiz mit sich bringen kann. Ähnlich wie in der Armee kann in der Militärjustiz früher Verantwortung übernommen werden als im zivilen Berufsleben. Die Militärjustiz übt jedoch nicht in einem juristischen Sandkasten. Sie ist immer mit realen Fällen beschäftigt, mit realen beschuldigten Personen, welche zu realen Sanktionen führen können. Schliesslich können die Angehörigen der Militärjustiz auch von einem juristischen Netzwerk profitieren, welches sich über die ganze Schweiz erstreckt.

Da die Angehörigen der Militärjustiz keine Wiederholungskurse leisten, sondern in ständiger Dienstbereitschaft stehen, ist die Vereinbarkeit mit Familie und Beruf manchmal eine grosse Herausforderung. - Dr. Stefan Flachsmann

Auf der anderen Seite will ich nicht die Herausforderungen beschönigen, die mit der Übernahme einer Funktion in der Militärjustiz verbunden sind. Da die Angehörigen der Militärjustiz keine Wiederholungskurse leisten, sondern in ständiger Dienstbereitschaft stehen, ist die Vereinbarkeit mit Familie und Beruf manchmal eine grosse Herausforderung. Für viele Angehörige der Militärjustiz ist es jedoch auch ein Vorteil, dass sie nicht mehr drei oder vier Wochen am Stück Militärdienstleisten müssen, zumal die Einsätze in der Militärjustiz mehr oder weniger planbar sind. Dennoch ist die zeitliche Belastung nicht zu unterschätzen. 

 

Die Militärjustiz strebt eine verstärkte Integration von Frauen an. Welche Massnahmen ergreifen Sie, um dieses Ziel zu erreichen?

 

Seit 2017 habe ich regelmässig Briefe an alle weiblichen Angehörigen der Armee geschrieben, um ihnen die Möglichkeiten zur Mitwirkung in der Militärjustiz aufzuzeigen. Den Juristinnen unter ihnen stehen alle Justizoffizier-Funktionen offen. Die Nicht-Juristinnen haben die Möglichkeit, als Truppenrichterinnen in einem Militärgericht mitzuwirken. Denjenigen Juristinnen, die nicht in der Armee eingeteilt sind, jedoch an der Übernahme einer Funktion in der Militärjustiz interessiert sind, offerieren wir die Möglichkeit, sie zur Militärjustiz zuzuweisen und anschliessend eine abgekürzte militärische Grundausbildung absolvieren zu lassen, bevor sie mit der Ausbildung in der Militärjustiz beginnen. 

Heute befinden sich unter den Studierenden, die meine Vorlesung besuchen, deutlich mehr Frauen als Männer. Deshalb kann und darf es sich die Militärjustiz nicht leisten, auf weibliche Angehörige zu verzichten, zumal sie diese in einigen ihrer Verfahren zwingend braucht. - Dr. Stefan Flachsmann

Bereits als ich im Herbst 1983 mein Jurastudium begonnen habe, studierten etwa gleich viele Frauen wie Männer in meinem Semester. Heute befinden sich unter den Studierenden, die meine Vorlesung besuchen, deutlich mehr Frauen als Männer. Deshalb kann und darf es sich die Militärjustiz nicht leisten, auf weibliche Angehörige zu verzichten, zumal sie diese in einigen ihrer Verfahren zwingend braucht. Schon heute beträgt der Anteil der Frauen bei den Angehörigen der Militärjustiz mehr als 10% und ist damit um ein Vielfaches höher als in der Armee. Bei den Truppenrichterinnen und -richtern liegt der Frauenanteil sogar bei über 30%. Trotz dieser positiven Entwicklung werde ich mich dafür einsetzen, dass wir den Anteil der Frauen in der Militärjustiz weiter erhöhen können.

 

In der Vergangenheit wurde darüber debattiert, die Aufgaben der Militärjustiz an die zivilen Justizbehörden zu übertragen. Welche Gründe sprechen für die Beibehaltung einer eigenständigen Militärjustiz?

 

Die letzten parlamentarischen Vorstösse zielten darauf ab, die Zuständigkeit der Militärjustiz für Zivilpersonen auf die zivile Strafjustiz zu übertragen. Der Militärstrafprozess sieht schon heute nur in ganz wenigen Ausnahmefällen vor, dass Zivilpersonen Beschuldigte in einem militärischen Strafverfahren sein können, so zum Beispiel bei der Verletzung von militärischen Geheimnissen oder dem fremden Militärdienst. Die Zuständigkeit der Militärjustiz hat sich in diesen Fällen bewährt, da es bei diesen auch um militärische Fachfragen geht. Die Militärjustiz als Fachjustiz hat deshalb auch heute noch ihre Existenzberechtigung. Letztlich ist die Regelung der Zuständigkeit zwischen ziviler und militärischer Strafjustiz jedoch eine politische Frage, die vom Gesetzgeber zu entscheiden ist.

 

Einige Untersuchungen und Verfahren ziehen sich über ungewöhnlich lange Zeiträume hin. Wie bewerten Sie diese Verzögerungen und welche Massnahmen ergreift die Militärjustiz, um dies zu beschleunigen?

 

Dass die Verfahren der Militärjustiz wie auch der zivilen Strafjustiz heute oftmals länger und manchmal auch zu lange dauern, kann nicht bestritten werden. Mir ist bewusst, dass ein Strafverfahren sowohl für die Geschädigten wie auch für die Beschuldigten eine umso grössere Belastung darstellt, je länger das Verfahren dauert. Deshalb kann ich mich mit der heutigen Situation nicht einfach abfinden. Insbesondere bei der Einhaltung des Beschleunigungsgebots können wir uns sicher noch verbessern. Dieses ist auch immer wieder Thema der regelmässig stattfindenden Controlling-Gespräche mit der jeweiligen Verfahrensleitung. Auch die fortschreitende Digitalisierung unserer Verfahren trägt zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer bei. Unsere Einflussmöglichkeiten auf die Verfahrensdauer haben jedoch ihre Grenzen. Der Rechtstaat hat in den letzten Jahren die Teilnahmerechte für Dritte und beschuldigte Personen massiv erweitert. Dieser Ausbau der Geschädigten- und Verteidigungsrechte führte natürlich nicht zu einer Beschleunigung der Verfahren. Für unsere Milizangehörigen ist es zudem nicht immer einfach, die beruflichen und privaten Herausforderungen sowie die Tätigkeit in der Militärjustiz unter einen Hut zu bringen. Das soll uns jedoch nicht davon abhalten, uns weiterhin darum zu bemühen, die Dauer unserer Verfahren so kurz wie möglich zu halten.

 

Abschliessend: Welche Ratschläge möchten Sie Personen geben, die an einer Rolle in der Militärjustiz interessiert sind?

 

Lassen Sie sich von Ihrem Vorhaben nicht abbringen – egal, was andere dazu sagen. Nehmen Sie mit uns telefonisch Kontakt auf, damit wir Ihre Erwartungen und unsere Möglichkeiten abstimmen können. Sie erreichen uns unter der Nummer 058 464 33 03. Wir beraten Sie gerne und freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme.

 

Vielen Dank für die spannenden Einblick in Ihre Arbeit und die Militärjustiz. Wir wünschen Ihnen weiterhin alles Gute.

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