Themen: Karrieretipps, Beruf und Berufung, LL.M., Harvard, Richterin, Partner LexImpact, Präsidentin AsyLex, CAS International Compliance Management.
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Guten Tag, Frau Hungerbühler. Sie sind als Richterin, selbständige Anwältin, Dozentin und im Ehrenamt bei einer NPO tätig. Könnten Sie uns bitte Ihren Werdegang schildern und dabei insbesondere erläutern, wie es zu dieser Vielseitigkeit gekommen ist?
Bereits im Studium war ich bestrebt, möglichst viele unterschiedliche Einblicke zu erhalten: Sei dies thematisch mit der Kombination von Wirtschaft und Recht an der Universität St. Gallen, sprachlich und geografisch mit Austauschsemestern in der Westschweiz und in den USA oder durch diverse Engagements in Vereinen. Nach meinem Studium absolvierte ich das Anwaltspraktikum bei Lenz & Staehelin in Zürich – dieses bestärkte mich darin, mich längerfristig mit wirtschafts- und insbesondere finanzmarktrechtlichen Themen zu beschäftigen. Kurz darauf wurde ich zur nebenamtlichen Richterin am Strafgericht Basel-Landschaft gewählt – eine ebenfalls spannende und lehrreiche Tätigkeit.
Mittlerweile bin ich als Vizepräsidentin der strafrechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts tätig. Schliesslich war es mir schon immer ein Anliegen, mich in verschiedenen Bereichen ehrenamtlich zu engagieren – so entstand schliesslich die Menschenrechtsorganisation AsyLex, welche ich bis heute präsidiere. Mit einem CAS im Finanzmarktrecht vertiefte ich meine Kenntnisse in meinem Haupttätigkeitsgebiet, und mit dem LL.M. an der Harvard Law School konnte ich meinen Horizont fachlich, sprachlich und persönlich erweitern. Heute geniesse ich die Vielseitigkeit meiner Arbeit und erfahre immer wieder, wie diese unterschiedlichen Perspektiven für alle meine Tätigkeiten einen Mehrwert stiften.
Wie gelingt es Ihnen, all diese unterschiedlichen Tätigkeiten so erfolgreich unter einen Hut zu bringen?
Tatsächlich ist das nicht immer nur einfach, und die eine oder andere Nachtschicht lässt sich nicht leugnen. Zugleich ergeben sich immer wieder Parallelen in den verschiedenen Bereichen, und was ich am einen Ort lerne, lässt sich am anderen ebenfalls zielführend und effizienzsteigernd anwenden. Allgemein bin ich überzeugt, dass unterschiedliche Blickwinkel – sei dies als Anwältin und Richterin, oder als Menschenrechts- und Wirtschaftsanwältin – zum gegenseitigen Verständnis und zum Abbau verhärteter Fronten beitragen.
Internationales Recht ist ein zentraler Bestandteil Ihrer Arbeit. Wie gelingt es, nach einer Schweizer Ausbildung eine internationale Karriere zu starten, und welche Rolle spielt dabei Ihr LL.M. aus Harvard?
Meine Tätigkeitsgebiete sind per Definition international ausgerichtet: Seien es Menschenrechte oder Standards im Finanzmarktrecht – beide greifen auf Grundlagen zurück, welche Staaten gemeinsam erarbeitet haben und die daher regional oder global Gültigkeit haben. Ein Grossteil meiner rechtlichen Arbeit beruht aber dennoch weiterhin auf Schweizer Recht. Mein LL.M. an der Harvard Law School erlaubte mir einen Einblick in das amerikanische Rechtssystem und -verständnis, vor allem aber bot er mir die Möglichkeit, Menschen aus aller Welt mit ähnlichen Interessen kennenzulernen, wovon ich bis heute privat und beruflich sehr profitiere.
Heute setzen sich bei AsyLex 15 Mitarbeitende und über 100 Freiwillige für den Zugang zum Recht für Geflüchtete in der Schweiz und weltweit ein. - Lea Hungerbühler, LL.M.
Sie sind Gründerin und Präsidentin von AsyLex. Was waren Ihre Beweggründe für die Gründung dieser Organisation?
Hierfür gab es tatsächlich ein einschneidendes Schlüsselerlebnis im Jahre 2016: Ich war auf einer längeren Reise durch Australien mit einer Kollegin, die Medizin studierte. An einem traumhaften Badestrand in einem abgelegenen Naturschutzgebiet ereignete sich ein Unfall, bei dem eine Touristin bewusstlos wurde. Meine Kollegin begann umgehend mit Herzmassage und Beatmung bis zum Eintreffen des Krankenwagens, während ich tatenlos zuschauen musste, wie vor mir ein Mensch stirbt. Da wurde mir klar, dass ich mein rechtliches Wissen – nebst dem Wirtschaftsrecht – auch für andere Menschen einsetzen will. Ich versuchte dies dann während einiger Wochen in einem griechischen Flüchtlingslager, wo ich jedoch feststellen musste, dass ich aufgrund der fehlenden lokalen Rechts- und Sprachkenntnisse wenig bewirken konnte. Daraufhin begann ich mit pro bono Menschenrechtsarbeit in der Schweiz, und angesichts der enormen Nachfrage gründete ich kurz darauf den Verein AsyLex. Heute setzen sich bei AsyLex 15 Mitarbeitende und über 100 Freiwillige für den Zugang zum Recht für Geflüchtete in der Schweiz und weltweit ein.
Für Ihr Engagement bei AsyLex haben Sie den Prix Caritas erhalten. Können Sie uns mehr über die Arbeit von AsyLex erzählen?
AsyLex wurde gegründet, um eine Lücke zu schliessen: Vielen geflüchteten Menschen mangelt es an rechtlicher Information und Vertretung – was bedeutet, dass sie ihre Rechte oft gar nicht kennen bzw. nicht durchsetzen können. Genau hier setzt AsyLex an. Wir bieten kostenlose, digitale Rechtsberatung im Asylbereich an und verbinden dabei juristische Expertise mit einem innovativen, technologiegestützten Ansatz. Unsere Arbeit basiert auf drei zentralen Pfeilern: Zugang zu Information, Zugang zu rechtlicher Vertretung und Empowerment durch Wissensaustausch. Besonders wichtig ist uns, dass auch Betroffene selbst Teil unseres Teams sind. Durch diese Kombination aus Fachwissen, Innovation und gelebtem Lernen können wir jährlich mehrere Tausend Menschen unterstützen – nicht nur in der Schweiz, sondern mittlerweile in zahlreichen Ländern und bei Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen bis hin zu internationalen Gerichten.
Besonders motivierend finde ich die Möglichkeit, komplexe rechtliche Fragestellungen gemeinsam mit meinen Klient:innen lösungsorientiert anzugehen – oft an der Schnittstelle zwischen Recht, Regulierung und gesellschaftlicher Verantwortung. - Lea Hungerbühler, LL.M.
Was umfasst Ihre Tätigkeit als Gründerin und Geschäftsleiterin von LexImpact und was motiviert Sie besonders an dieser Arbeit?
Bei Leximpact bin ich als Anwältin in erster Linie im Finanzmarktrecht tätig, darüber hinaus berate ich auch in anderen wirtschaftsrechtlichen Angelegenheiten sowie punktuell im Strafrecht und bezüglich «Business and Human Rights». Besonders motivierend finde ich die Möglichkeit, komplexe rechtliche Fragestellungen gemeinsam mit meinen Klient:innen lösungsorientiert anzugehen – oft an der Schnittstelle zwischen Recht, Regulierung und gesellschaftlicher Verantwortung.
Neben Ihren anderen Engagements sind Sie auch Dozentin an der HWZ und leiten neu den Studiengang CAS International Compliance Management. Welche Themen liegen Ihnen in Ihrer Lehrtätigkeit an der HWZ besonders am Herzen?
Ich halte es für essentiell, dass Mitarbeitende von Finanzdienstleistern die rechtlichen Grundlagen ihrer Arbeit kennen. Dies nicht nur zum Schutz der Anlegerinnen und Anleger und des Finanzplatzes, sondern auch zum Selbstschutz – Fehlverhalten fällt nicht selten auf sie zurück. Im nun neu aufgesetzten CAS International Compliance Management werden zudem Fragen des internationalen Rechts und des grenzüberschreitenden Geschäfts im Zentrum stehen. Ich freue mich sehr auf engagierte Studierende und hervorragende Dozierende aus der ganzen Welt!
Schon gewusst?
Ob als Anwältin, Richterin oder NGO-Gründerin wie Lea Hungerbühler
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Auf Lawjobs.ch finden Juristinnen und Juristen Berufe mit Sinn, Verantwortung und Perspektive.
Welche Ratschläge möchten Sie Juristinnen und Juristen geben, die ähnliche vielfältige Karriereträume haben und ein Interesse an internationaler Tätigkeit verfolgen?
Aus meiner Sicht ist es entscheidend, eine Tätigkeit zu suchen, die einen wirklich erfüllt – nicht mit dem Ziel, möglichst viel Geld zu verdienen, sondern mit dem Anspruch, einen Beitrag zu leisten, hinter dem man auch inhaltlich stehen kann. Das setzt Durchhaltewillen voraus: Viele Dinge gelingen nicht beim ersten Versuch. Ich rechne stets damit, dass etwa einer von zehn Anläufen funktioniert – entsprechend gehören Enttäuschungen und Rückschläge ganz selbstverständlich dazu. Gleichzeitig ist es wichtig, Kritik konstruktiv einordnen zu können und sich nicht entmutigen zu lassen – besonders dann, wenn man überzeugt ist, dass ein bestimmter Weg richtig ist. Dabei helfen Disziplin sowie auch Gelassenheit und die Fähigkeit, sich in andere Perspektiven hineinzudenken. Oft entstehen daraus neue Einsichten und Wege, die man zuvor nicht in Betracht gezogen hätte. Und nicht zuletzt: offen bleiben. Für neue Themen, für ungewohnte Konstellationen und für Umwege – denn gerade sie führen manchmal dorthin, wo man am meisten bewirken kann.
Vielen Dank für die spannenden Einblicke in Ihre spannende Karriere und in Ihren Arbeitsalltag. Wir wünschen Ihnen für die Zukunft weiterhin viel Erfolg und alles Gute!